: Entführung auf Pferden
Donnernde Hufe: Aus Nordkorea und Russland kommen die glänzenden Artisten des „Grossen Asiatischen Circus“
In den Zirkus gehen heißt an früher denken. Früher erzählte meine Großmutter, wie sie einmal zum Zirkus wollte und den Artisten dafür den Wohnwagen putzte. Abends durfte sie dann mit in die Manege, auf einer Kugel tanzen. Ihr Vater hat sie dafür fürchterlich vertrimmt. Aber die Geschichte war gut; und immer, wenn ich meine Eltern nicht leiden konnte, stellte ich mir vor, nicht ihr echtes Kind zu sein; sondern sie hätten mich beim Zirkus gekauft. Und eines Tages käme meine wahre Familie auf Pferden und nähme mich mit.
Mein echter Vater hätte dann so mit der Peitsche geknallt, dass alle die Gänsehaut kriegen, wie Tamerlan Nugzarov. Er ist der Herr über die Djigittengruppe, die mit 25 Reitern im „Grossen Asiatischen Circus“ die „Legende der Liebe“ aufführt. Natürlich mit entführten Prinzessinnen, Säbelkämpfen und Bauchtänzen.
Das Wichtigste aber ist der Wind, der mit den Pferden hereinstürmt, die sich im Galopp ganz flach in das Rund der Manege biegen. Der Kreis wirkt viel zu klein für ihre Kraft; als ob man einen Wirbelsturm in eine Kiste packen wollte. Die Reiter stehen derweil auf dem Rücken der Pferde oder verstecken sich unter dem Bauch der Tiere. So springen sie durch Reifen, und man glaubt es kaum: Hinterher ist noch immer alles dran, Kopf, Hals, Beine.
Nugzarov Pferdetheater hat einmal Gold gewonnen auf dem „Internationalen Circusfestival von Monte Carlo“. Früher gab es Zirkusdirektoren, die immer ein bisschen unglaubwürdig von der Zirkusfamilie schwatzten. Heute gibt es nur noch eine Moderatorenstimme aus dem Off, die alle Preise der Artisten aufzählt. Damit protzt der „Nationalcircus von Nordkorea“, der mit seinen Trapezkünstlern und Schleuderbrettnummern zum „Grossen Asiatischen Circus“ gehört, wie ein Verband von Sportfunktionären.
Dabei sind ihre Sprünge so fesselnd und gewagt, dass man bald selbst die schreckliche Musik vergisst. Sie schießen als klein zusammengefaltete Päckchen durch den Raum, hochkatapultiert vom Schleuderbrett. Sie fliegen als elegant gebogene Linie von Trapez zu Trapez. Ihre Saltos sind doppelt, dreifach, vierfach gar, manchmal dazu gezwirbelt und verschnörkelt um die Längsachse. Auf drei Ebenen schwingen sie unter der Kuppel, drei Flugbahnen verschränken sich, immer komplexer greifen ihre Kurven ineinander und plötzlich bin ich richtig froh. Doch noch einmal zurückgekehrt zu sein zu diesem Ort.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Grosser Asiatischer Circus, Festplatz am Kurt-Schumacher-Damm, bis 5. Januar, Reservierungen Tel.: 41 19 96 12
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