piwik no script img

jenni zylka überDas Leben in vollen Zügen genießen

Sex & LügenWahre Geschichten über Menschen, die bei der Wahl ihrer Partner auf das Schicksal vertrauten

Ein Abkömmling einer norwegischen Geisteswissenschaftlerin und eines englischen Naturwissenschaftlers erzählte mir neulich, wie seine Eltern sich kennen gelernt haben. Das war Ende der prüden 50er, die Norwegerin wollte mit der „Hurtigrute“ gen Norden fahren, der Engländer war auf Forschungstour. Genau zwei Schiffe legten an diesem Tag ab, eines nach Norden und eines nach Süden. Und aus unerfindlichen Gründen verwechselte die Geisteswissenschaftlerin die Schiffe und ging beim falschen an Bord, fuhr nach Süden anstatt nach oben und lernte dabei ihren zukünftigen Mann kennen. Man könnte also sagen, es war so betrachtet vielleicht doch das richtige Schiff.

Ich weiß nicht, und der Erzähler wusste es leider auch nicht, ob die Mutter an dem Tag vielleicht verkatert war, ob sie ihre Brille vergessen hatte oder ob sie einfach ein zerstreutes Wesen besaß. Jedenfalls erinnerte mich die Geschichte sehr an „Wie angelt man sich einen Millionär?“, den Billy-Wilder-Film, in dem Marilyn Monroe aus Versehen das Flugzeug nach Kansas City anstatt das nach Atlantic City nimmt, weil sie zu eitel ist, ihre Brille aufzusetzen. Und dann den Mann ihres Lebens kennen lernt, der in ebenjenem Flieger nach Kansas City sitzt.

Zu gerne würde ich jetzt daraus ableiten, dass man immer nur schön dem Schicksal seinen Lauf lassen sollte, möglichst nichts so macht, wie man es geplant hat, bloß keine Termine einhalten und einfach darauf vertrauen sollte, dass unverhofft oft kommt. Kann ich aber nicht. Ich habe im Gegenteil die Erfahrung gemacht, dass solche Zufälle nie passieren, und wenn man darauf vertraut, dann stirbt man allein.

Dabei habe ich es eine Zeit lang an lustigen Zufällen nicht mangeln lassen: Ich habe jede Menge Termine sausen lassen, habe mich verspätet in Taxen gestürzt (aber nie gefiel mir der Fahrer), bin an falschen U-Bahnhöfen ausgestiegen (aber nie verliebte ich mich in den, den ich nach dem Weg fragte), stand ohne Regenschirm bei Wolkenbrüchen auf der Straße (aber nie fragte mich jemand Sympathisches, ob ich mit unter seinen Schirm wollte) und verklingelte mich bei Gesellschaftsbesuchen (aber nie wohnte in der Nachbarwohnung jemand Aufregendes). Einmal stand ich sogar vor der Philharmonie in Berlin, ich wollte in ein schönes, modernes Russenkonzert, Schostakowitsch oder so, und meine Freundin mit den Karten tauchte nicht auf. Mir gegenüber stand ein einsamer Mann mit zwei Tickets in der Hand. Nach dem dritten Klingeln zum Konzertbeginn kam er herüber und fragte mich, ob ich seine zweite Karte geschenkt haben wollte. Klar, sagte ich, und guckte mir den Mann genau an. Er war recht unscheinbar, aber das muss ja nichts heißen, so einer kann trotzdem ein Vulkan sein, und etwa in meinem Alter. Als das Konzert anfing, wurde mir allerdings klar, dass nicht nur der Mann absolut indiskutabel war: Ich hatte offensichtlich den Termin verwechselt und saß nun bei geschlossenen Türen in einem Commedia-dell’Arte-Mittelalter-Konzert fest, voller grässlicher Venedig-Masken, Napoleon-Hüte, Krummhörner und enger Strumpfhosen an dünnen Männerbeinen. Der fremde Gönner wurde mir immer unheimlicher. Ich beschloss, das erste und bis jetzt einzige Mal in meinem Leben meine ach so zarte Konstitution als Dame vorzuschieben, und behauptete in der Pause, mir sei „nicht gut“ und ich müsse „leider nach Hause“.

Ich hätte etwas aus dieser Geschichte lernen sollen. Stattdessen fixte mich die eingangs erwähnte hübsche Love-Boat-Story der beiden Wissenschaftler so an, dass ich kürzlich fast extra in den Zug nach Frankfurt an der Oder anstatt nach Frankfurt am Main gestiegen wäre. Wäre doch gelacht, hatte ich mir in meinem jugendlichen Leichtsinn zusammenklamüsert, wenn man seinem Schicksal nicht einen kleinen Schubs geben könnte. Natürlich werde ich nie erfahren, ob ich in diesem Zug das Glück gefunden hätte, denn mich verließ kurz vorher der Mut, und so hatte ich eine stinknormale, langweilige Vierstundenfahrt nach Frankfurt am Main, mit einem Taschenbuch und einem aus Energiemangel fiependem Laptop als Begleiter. Die einzige Abwechslung war ein kurzer Streit mit einer jungen Mutti und ihrem Kind, denn ich hatte selbstverständlich in dem bequemen und geräumigen Mutti-und-Kind-Abteil Platz genommen, und als sie herausbekam, dass ich statt eines Babys nur ein aus meinem Schal, Mütze und Handschuhen bestehendes, in ein buntes Tuch eingewickeltes Bündel auf dem Arm trug, das ich immer beruhigend wiegte, wenn der Schaffner kam, schlug sie Alarm und pochte auf den Platz, diese Schnepfe. Aber das ist eine andere Geschichte, die rein gar nichts mit Liebe zu tun hat.

Fragen zu Sex & Lügen?kolumne@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen