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Blair im Krieg, aber nicht gegen Irak

Der Gegner New Labours sind die britischen Gewerkschaften, die sich um die streikenden Feuerwehrleute zu scharen beginnen. Das weckt schlechte Erinnerungen. Doch Blairs Hoffnung, der Streik sei unpopulär, ist im sündhaft teuren London vergeblich

Ältere Menschen im Regen beschwören das Gemeinschaftsgefühl aus Kriegstagen

aus London ULRIKE WINKELMANN

Selbst das Tatütata der „grünen Göttinnen“ klingt anders als das der roten Feuerwehrautos – irgendwie kurzatmig. Insgesamt aber hat die britische Armee mit ihren dunkelgrünen Uraltfeuerwehrwagen, die für die streikende Feuerwehr einspringen, bis gestern gute Arbeit geleistet.

Am Tag vier des großen Feuerwehrstreiks war zwar das landesweit sechste Todesopfer zu beklagen. Aber die Streikenden kümmert das nicht: Das entspreche dem Durchschnitt, und „wenn wir nicht streiken würden, hätte man von den Todesfällen nichts gehört“, sagt Russell Colley. Der 37-jährige Feuerwehrmann im Ostlondoner Viertel Bethnal Green steht mit einem guten Dutzend Kollegen vor seiner Wache um ein altes Ölfass herum, aus dem ein Holz- und Papierfeuer Ascheteilchen bläst.

Wie zwei Drittel seiner Kollegen kann auch Colley es sich nicht leisten, von seinem Gehalt im teuren London zu wohnen. Während seiner Viertageschicht schläft er in der Wache und bei Freunden und fährt dann zurück nach Hause in Northamptonshire, Mittelengland. Der auf acht Tage angesetzte Streik nimmt ihm täglich rund 50 Pfund (80 Euro) Lohn – „das ist hart, gerade wenn Weihnachten vor der Tür steht“.

Mit ihrem Streik verlangen die 50.000 britischen Feuerwehrleute eine Gehaltssteigerung von 21.500 auf 30.000 Pfund im Jahr (knapp 35.000 auf 50.000 Euro) – eine Steigerung von 40 Prozent. Nicht viele Autofahrer hupen, um Unterstützung zu zeigen. Aber über das Wochenende haben Londoner genug Kekse, Bonbons und Schokolade in ihre lokalen Feuerwachen getragen, um die Streikenden in süßer Solidarität zu betten. Und das, obwohl 22 besonders tief liegende U-Bahn-Stationen und alle öffentlichen Fahrstühle geschlossen sind, um Brandrisiken zu minimieren.

Wer dachte, die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs in London würden nun endgültig verzagen, irrte. Selbst das unerklärliche Aussterben von Buslinien, die eigentlich die U-Bahnen ersetzen sollten, mobilisiert bürgerliche Tugenden: Ältere Menschen in strömendem Regen unter kleinen Haltestellendächern beschwören das Gemeinschaftsgefühl aus Kriegstagen.

So gesehen ist Tony Blairs Problem sogar noch größer als sowieso in diesem ärgsten Streit, den Labour seit dem Amtsantritt 1997 mit den Gewerkschaften hat. Konnte der Premierminister zunächst hoffen, dass sich die öffentliche Meinung gegen die Streikenden richten würde, musste er gestern in einer Pressekonferenz sehr gute Gründe anbringen, warum die Regierung die Gehaltsforderungen ablehnt. Eine Erhöhung um 40 Prozent, erklärte Blair, hätte „düstere“ Folgen, weil dann Krankenschwestern, Lehrer, Soldaten und Polizisten Gleiches verlangen würden. „Und was soll ich den Krankenschwestern sagen? Dass ihr Fall nicht so besonders ist, dass sie keine Leben retten?“ Alles, was über vier Prozent hinausgehe, werde durch Modernisierungsmaßnahmen finanziert werden müssen.

Darin, dass der öffentliche Dienst Ärger machen könnte, irrt Blair sich nicht. Auch andere Gewerkschaften organisieren bereits Proteste und Urabstimmungen: Wer wegen erhöhten Brandrisikos nicht arbeiten kann oder will, solle seinem Arbeitsplatz fernbleiben dürfen, verlangt das Personal der Stromkonzerne, der U-Bahn, der Flughäfen. Die Lehrer wollen morgen sowieso streiken, das Personal der Londoner Hochschulen befindet sich bereits im Arbeitskampf, und auch in den Krankenhäusern werden neue Gehaltsforderungen formuliert. Die New-Labour-Regierung ist schwer damit beschäftigt, die Geister zu bekämpfen, die durch den Streik aus der Flasche gelassen wurden: Old Labour und die Macht der Gewerkschaften. Die Presse wird nicht müde, Parallelen mit den 70er- und 80er-Jahren zu ziehen, als erst Labour und dann die konservative Premierministerin Margaret Thatcher sich erbitterte Kämpfe mit den Gewerkschaften lieferte – zuletzt 1984–85 mit den Bergarbeitern, was Thatcher schließlich gewann.

Blair wies gestern entschieden Vorwürfe zurück, er habe „die Maggie gemacht“. Doch werde die Regierung eine Gehaltserhöhung für die Feuerwehr nur akzeptieren, wenn sie kostenneutral ist: Die Feuerwehrleute sollen Überstunden machen können, nach flexiblen Schichten arbeiten und Erste Hilfe leisten.

An der Feuerwache in Bethnal Green hat man dazu schon eine Meinung. „Was sie Modernisierung nenen, sind in Wirklichkeit Einschnitte“, sagt Colley, und alle anderen stimmen zu. „Wir streiken für mindestens 16 Prozent, ohne Haken und Ösen“. Bis Samstag. Mindestens.

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