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Beruf: „Unterleibsreporter“

Das Dorf den Dörflern: Martin Schacht war Astrologe, Klatschkolumnist und Produzent von Erotikfeatures. Sein umwerfend komischer, merkwürdig gelangweilter Roman „Mittendrin“ gewährt intime Einsichten in die vergangenen Hightimes von Mitte

Ganz wie im echten Leben strampeln sich Schachts Helden im Prinzenbad ab

von OLIVER KOERNER VON GUSTORF

Im Zuge des nicht enden wollenden Eighties-Revivals mag sich so mancher noch an den Ratschlag erinnern, den Olympia Dukakis einst in „Mondsüchtig“ ihrer Filmtochter Cher mit auf den Weg gab: „Scheiß nie dort, wo du isst!“ Doch auch Mütter können irren: Selbst wenn man besser nicht die Hand beißt, die einen nährt, Sex und Karriere trennen sollte und die geheimen Laster seiner Freunde und Kollegen lieber für sich behält, gibt es da eine Spezies, die gerade diese Regeln gründlich missachtet – und damit ausgesprochen gut überlebt. Als Fossilien der modernen Klatschkultur haben Hedda Hooper und „Lolly“ Parsons Maßstäbe für journalistische Indiskretion gesetzt. Vorbilder wie Andy Warhol oder Joan Rivers ebneten mit Tagebüchern und Talkshows den Weg für nachfolgende Generationen von bösen und begabten Homosexuellen, die spritzige Selbstironie und schamlose Enthüllung zur Kunstform erhoben.

So richtig bis zur Perfektion hat das in Deutschland bisher nur einer getrieben: der Berliner Szene-Chronist Martin Schacht, der sich laut eigenem Bekunden dem „gehobenen Unterleibsjournalismus“ verschrieben hat und hierbei „noch nie für etwas zu schade war“. Das klingt verdammt nach harter Arbeit. Ist es auch: Wenn die „Schachtel“ auf einer Party in einer Levi’s-Jacke erscheint, kann man beinahe sicher sein, dass es anschließend zur Promo-Veranstaltung des Herstellers geht. Ganz gleich ob Universal-Music an die Spree zieht, ein Parfumlabel gelauncht wird oder in Mitte eine Besenkammer eingeweiht wird – über allem ruht der merkwürdig gelangweilte Blick Schachts. Nur wenn die Kamera auf ihn gerichtet ist, hellen sich die Gesichtszüge mit einem einstudierten Lächeln auf und kombinieren den knabenhaften Charme Wolfgang Joops mit der erotischen Ausstrahlung eines Wasserbetts.

„Wenn das Leben dir Zitronen schenkt, mach Limonade“ lautet dementsprechend das Credo des unermüdlichen PR-Arbeiters, von dem Freunde scherzhaft behaupten, „nichts an ihm sei natürlich.“ Das kann den Astrologen, Stylisten, Trendscout und frisch gebackenen Rowohlt-Taschenbuchautor kaum aus der Ruhe bringen. Es gäbe nichts Störendes an seinem Äußeren, das „sich nicht beheben ließe“, betont Schacht, und den Vorschuss für die Fortsetzung seines ersten Berlin-Romans „Mittendrin“ hat er auch schon in der Tasche.

Fragt man ihn jedoch, als was er denn wiedergeboren werden wolle, antwortet er: „Als irgendetwas ohne natürliche Feinde.“ Kein Wunder, führte doch seine Anfang der Neunziger für die Stadtzeitung Prinz ausgeübte Tätigkeit zu Morddrohungen und Gerichtsklagen. Unter dem Pseudonym Carla Azard trieb er mit seinen innovativen Klatschkolumnen Stars und Sternchen von A- und B-Listen direkt in den Wahnsinn. Den Abschied nahm seine Kunstfigur 1993 mit der Performance „Akteneinsicht“, bei der er seinen Opfern in Stasi-Manier aufbereitete Fotos und Informationen zum Kauf anbot. Ein Großteil der Akten wurde gestohlen. Neben seinem Fotoband „Stars in Heaven“, in dem Prominente wie Inga Humpe oder Salomé in morbiden Sterbeszenen abgelichtet wurden, sind seine in den Neunzigern für „Liebe Sünde“ produzierten Erotikfeatures wahre Kronjuwelen des Entertainments. Für hundert Mark war damals noch eine Menge zu haben – der authentische Einblick, den Schacht lieferte, indem er bekannte Szenegesichter gegen Bezahlung über absurde sexuelle Praktiken plaudern ließ oder bei ziemlich merkwürdigen Swingerpartys filmte, bleibt unbezahlbar.

Mit Sicherheit finden sich in Schachts Wohnung in der Linienstraße Stunden von Videobändern mit hohem Erpressungspotenzial, und bestimmt gehört er nicht nur räumlich in die nächste Nachbarschaft zu jeder Art von Prominenz, die Berlin zu bieten hat. Mitte ist ein Dorf, und schon lange vor der Veröffentlichung von „Mittendrin“ pfiffen die Spatzen von den Dächern rund um den Hackeschen Markt, wer nun in diesem Enthüllungsroman verunglimpft würde: Romy Haag, Joop, Shawne Borer-Fielding und mit ihnen all die anderen. „Die Leute finden sich in den komischsten Dingen wieder“, meint dazu Schacht. Tatsächlich gewährt sein Roman ziemlich intime Einsichten in die vergangenen Hightimes von Mitte. Wer die Insider-Geschichten über Modemacher, Models, Dealer, Fernsehstars, PR-Agenten und Medienfuzzis lediglich nach der Ähnlichkeit zu lebenden Persönlichkeiten absucht, verpasst jedoch etwas: „Mittendrin“ ist ein umwerfend komisches und genial geschriebenes Stück deutscher Popliteratur, das amerikanischen Klassikern wie „Großstadtsklaven“ von Tama Janowitz das Wasser reichen kann. Ganz wie im echten Leben strampeln sich Schachts Helden ganz unglamourös im Prinzenbad oder im ziemlich öden Wurmfortsatz der Unterhaltungsindustrie ab, in einer Metropole ohne richtige Stars und zündende Einfälle. Mit genüsslichen Detailreichtum lässt Schacht seine Glückssucher von einer Schlappe in die andere stolpern, und diesen Spaß kann uns nur einer vermitteln, der diese Stadt liebt und ihre Fallen wirklich kennt. Das Tolle an „Mittendrin“ ist, dass in der Fortsetzung „Straßen der Sehsucht“ alles nur noch schlimmer werden kann. Der Roman beschreibt lediglich die Vergangenheit, vor uns liegt das gegenwärtige Grauen, und bestimmt verhandelt Schacht schon über die Filmrechte.

Martin Schacht: „Mittendrin“. Rowohlt Taschenbuch, 2002, 218 S., 12 €

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