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„Ich frier mir hier den Arsch ab“

Petra Zint hat ihren Eierstand in der Eisenbahnhalle gekündigt. Ihr Umsatz reicht nicht mehr für die Miete

Wo am 1. Mai die Steine fliegen, läuft das Kiezleben den Rest des Jahres geruhsam. Man kennt sich und trifft sich – meist beim Einkauf in der Eisenbahnhalle. Die 111 Jahre alte, denkmalgeschützte Markthalle liegt nur wenige Schritte vom Lausitzer Platz entfernt. Hier hat Petra Zint ihren Eierstand – aber nicht mehr lange. Die 39-jährige Kreuzbergerin hat gekündigt, weil sie die Miete nicht mehr zahlen kann.

Über ihrem Stand preisen Leuchtschilder „Frische Eier“ und „Bio-Säfte“ an. Rot- und Weißweinflaschen liegen in geflochtenen Körben auf Kniehöhe vor der gemauerten Theke. Die Tapete an der Rückwand des Hundefutterstandes gegenüber imitiert efeuberanktes Mauerwerk. Rund 30 Jahre liegt die letzte General-Renovierung der Stände zurück. Beim Blick nach oben zeigt sich die Halle jedoch in ihrem alten Glanz. Blaugrüne Metallsäulen tragen die kirchenähnlich gestufte Dachkonstruktion aus hell gestrichenen Holzlatten und Sprossenfenstern.

Am Nachmittag ist nicht viel los. Bekannte kommen zum Plaudern vorbei, auch mit den anderen Händlern gibt es einiges zu besprechen. Dabei ist das beherrschende Thema die Diskussion wenige Tage zuvor in der Emmaus-Kirche am Lausitzer Platz. „Halbe Miete – volle Halle“ war das Motto, denn in der Wirklichkeit ist es genau umgekehrt. Die Miete von mehr als 30 Euro pro Quadratmeter kann sich kaum einer der kleinen Stände mehr leisten, die Halle steht zu 60 Prozent leer.

Petra Zint ist von dem Abend enttäuscht: „Letztendlich kam nichts dabei heraus“, sagt die kleine Frau und fuchtelt nervös mit ihrer Zigarette. Nur ein Hoffnungsschimmer bleibt: Auf politischem Weg soll eine weitere Mieterhöhung abgewendet werden, und eine Arbeitsgruppe will ein Konzept entwickeln, um die Halle mit Werbung und Aktionen wieder voll zu kriegen. Zint fragt sich allerdings, wer die Werbeaktionen bezahlen soll. Sie selbst hat seit zwei Monaten die Miete nicht mehr überwiesen, und die Abzahlung für den Eierladen, den sie im März 2001 übernommen hat, stockt auch.

Eine junge Frau bringt Pfandflaschen zurück und kauft Wein ein. Sie lobt die Wärme in der Halle. „Ich könnte dir jetzt was anderes erzählen“, sagt Zint, „ich frier mir hier den Arsch ab.“ Die Hallenheizung schalte bei 15 Grad ab. Das sei die Verordnung der Betreiber-Genossenschaft. Unter dem dicken Fleece-Pulli und der Jeans trägt die Händlerin Angora-Unterwäsche.

Das Telefon klingelt. Eine Kundin ist dran, mit der Petra Zint abends eine Jacke für den neuen Hund kaufen soll. Der alte ist vor knapp zwei Monaten gestorben. „Und wen hat sie angerufen? Mich“, sagt Zint. „Aber wir sind hier auch Sozialarbeiter.“ Die Händlerin vom Tante-Emma-Laden in der nächsten Reihe schicke mittags ihre Töchter los, um alten Kunden, die nicht mehr laufen können, die Bestellungen nach Hause zu brigen, erzählt sie weiter. Vielleicht ist es den Markthändlern zu verdanken, dass der Kiez um den Lausitzer Platz kein Quartiersmanagement braucht.

Um halb sieben hat sich der kurze Feierabend-Ansturm beruhigt, in der Halle sind kaum noch Kunden. Petra Zint zählt die Tageseinnahmen. „Mit neunzig Euro kommste nicht weit“, sagt sie und kurbelt das Rollo des Eierstandes runter. „Zur Zeit möchte ich den Laden morgens eigentlich gar nicht mehr aufmachen.“ Sie ist nicht die Einzige. Auch die Tante-Emma-Händlerin hat die Kündigung schon geschrieben. Dazu hat sie der Genossenschafts-Geschäftsführer aufgefordert, als sie über Mietnachlass verhandeln wollte. Zint hat bisher vergeblich auf ein Angebot der Genossenschaft gewartet. Wenn nichts passiert, kurbelt sie Ende März die Rollos zum letzten Mal herunter. ANGELA MISSLBECK

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