ulrike herrmann über Non-Profit: Wer sich verteidigt, hat verloren
Es ist interessant, Mobbingopfer zu beobachten – nur reden müssen möchte man mit ihnen nicht
So kennen wir Frank gar nicht. Er sieht gehetzt aus, bleich, abwesend. Unsicher. Bisher hatte er oft aufgetrumpft. Wenn unser Stammtisch Probleme diskutierte, dann war sein Standardspruch „Weißt du, …“, und es folgte ein Kurzvortrag. Denn er hat es durchaus weit gebracht und arbeitet als Minimanager, als Vorstandsassistent. Fünf Frauen waren daher meist zu überwältigt, um nicht überzeugt zu lauschen.
Jetzt hat er schon eine Stunde nichts gesagt. Das fiel irgendwann auf. Aber auf die Frage „Ist was?“ kommt nur ein „Nein, gar nichts“. Also sind wir fünf ganz sicher, dass doch etwas ist. Schließlich haben die meisten von uns Brüder.
„Gib’s doch zu!“ Wahrscheinlich ist seine Freundin schwanger, die wir alle heimlich und eifersüchtig beneiden.
Frank sieht nur in sein Glas.
Wir müssen wohl offensiv werden, eine Stellungnahme erzwingen. „Du wirst Vater!“
„Nein!“ Das kann er dann doch nicht auf sich sitzen lassen; es läuft bestens nach dem Standardverfahren von großen Schwestern. Dazu gehört als Schritt zwei immer die freundliche Inquisition. „Also?“
Frank druckst noch ein wenig, dann bricht es heraus: Sein Kollege würde nur noch auf Fehler von ihm lauern, ihn beim Chef anschwärzen. Er würde sogar lügen, um ihm die Schuld zuzuschieben. Gerade erst heute wieder. Die Werbeagentur hatte Entwürfe für neue Etiketten geschickt, „Big Boss“ war unzufrieden. Okay, die Grafik war nicht gelungen, darüber hätte man ja diskutieren können. Das kommt vor. Aber ein Gespräch gab es nicht – jedenfalls nicht mit ihm. Stattdessen traf sein Kollege den Big Boss zufällig in der Kantine und behauptete einfach, dass Frank die Werbeagentur falsch informiert hätte.
Fünf Frauen finden es faszinierend, dass Geheimgespräche anscheinend nie geheim bleiben. „Woher weißt du das?“ Ein weiterer Kollege hatte am Nachbartisch gesessen. „Aber die beiden wussten nicht, dass wir uns kennen.“ Wir versuchen uns diese Welt der Großunternehmen vorzustellen, die groß genug ist, damit jeder zum Gelegenheitskonterspitzel werden kann.
Aber Frank ist längst wieder beim Thema: „Das stimmt nicht!“
Bestimmt stimmt es nicht, dass er die Werbeagentur falsch informiert hatte. Trotzdem sehen wir ihn lieber nicht an. Seine Vehemenz verstört uns. Es scheint, als würden doch Fehler auf seinem Gewissen lasten. Wer sich verteidigt, hat eben schon verloren. Diese fiese Grundregel gilt selbst an einem Stammtisch. Säße Frank nicht so verzweifelt vor uns, dann hätte Lilly sicher schon längst erläutert, dass jedes Gegenargument zwingend voraussetze, dass man das Argument für denkbar hält. Sie ist unsere Hobbypsychologin und drückt sich gern philosophisch aus.
So aber wollen wir bloß weg vom Thema. Birgit fällt ziemlich schnell eine ziemlich elegante Lösung ein. Sie erzählt einfach von sich selbst. Sie habe auch einen Kollegen, der ihre Arbeit ständig kritisiere. Und zwar „total ungerecht“.
„Ist er mächtig?“ Das ist eine typische Lilly-Frage, sie denkt immer über mögliche Allianzen nach. Eigentlich ist das gar nicht schwer, und trotzdem staunen wir stets neu. Auch Birgit stutzt. „Nein, ein Wicht.“ Niemand würde ihn ernst nehmen. „Wahrscheinlich liebt er dich in Wahrheit!“ Kirsten hat seit neuestem einen Partner und ist sowieso romantisch veranlagt. Vier Frauen sehen sie ein wenig zweifelnd an, aber sie bleibt dabei, dass es ganz bestimmt „Hassliebe“ sei.
„Hassliebe gibt es nur zwischen Frauen“, kommentiert Monika bissig. Eigentlich hat sie Glück. Sie ist eine der ganz wenigen, die eine Chefin haben. Der Traum der Emanzipation wurde wahr. Bisher allerdings nur theoretisch. Praktisch versteht sie jetzt, was der dumme Spruch bedeutet, dass Frauen „einsame Spitze“ seien. „Sie fördert keine anderen Frauen, sondern nur Männer.“
Irgendwann enden wir bei der taz. Ob wir uns auch mobben würden, will Lilly wissen. Die Antwort ist schlicht: „Nein.“ Wir haben ja noch nicht einmal Essenmarken. Kein Geld, keine Hierarchie, keine hausinternen Karrieren. Da lohnen sich Intrigen nicht.
Inzwischen hat Frank schon wieder eine Stunde lang geschwiegen. Aber das fällt nicht mehr auf. Wir sind gern mit uns selbst beschäftigt.
Eine Mobbing-Seite im Internet drückt es so aus: Die Opfer könnten „nicht erwarten, dass sich jemand anderes ihres Problems annimmt“. Das scheint wirklich sehr wahr zu sein.
Fragen zu Non-Profit?kolumne@taz.de
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