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Weihnachten in der Krise

Trendforscher melden: Die Kunden „kleben in diesem Jahr am Geld“. Doch weil es darum geht, die Lieben zu beschenken, wird das Weihnachtsgeschäft wohl wieder laufen

Teelichtgläser und Kuscheldecken: Was Stimmung und Wärme erzeugt, scheint in kriseliger Zeit gefragt

von KAIJA KUTTER

Vater kauft superguten Computer bei Aldi, obwohl er einen guten hat. Anschließend kneift das Gewissen. Er fragt seine erwachsene Tochter, ob sie den alten gebrauchen könnte. Sie sagt ja, er ist beruhigt: „Gott sei Dank. Dann macht der Kauf ja Sinn.“

„Die Leute kleben in diesem Jahr am Geld“, sagt Oliver Perzborn vom Hamburger „Trendbüro“. Aber er rechne damit, dass das Weihnachtsgeschäft trotzdem gut läuft, weil man beim Geldausgeben „eher eine Hürde überspringt, wenn es um andere geht“.

„Nicht wenige haben in diesem Jahr weniger Weihnachtsgeld“, sagt auch Ulf Kalkmann vom Hamburger Einzelhandelsverband. „Aber wir merken es im Augenblick nicht.“ Die Menschen hätten Reserven angespart, mit 11 bis 12 Prozent sei Deutschlands Sparquote „so hoch wie in keinem EU-Land“.

Beliebt zum „besonderen Fest“ sind laut Kalkmann „besondere Dinge“ – „vom Kaschmir-Pullover bis zum 8000 Euro teueren Flachbildschirm“. Auch DVD-Player, die neuerdings für unter 100 Euro zu haben sind, seien „der Renner“. Trendbeobachter Perzborn ist da skeptischer: „DVD und Foto-Handy sind Thema“, räumt er ein. Aber bei solch „netten kleinen Spielereien“ seien die Verbraucher „in der abwartenden Position“. Manche lassen bewusst Entwicklungssprünge aus. Perzborn: „Es wird viel hinterfragt, was brauche ich wirklich.“ Die Aufgabe von Marketing sei es, diese vernünftige Haltung der Leute zu durchbrechen, damit sie trotzdem kaufen. Statt „kleiner Gimmiks“ wollten die Menschen nachhaltigen Konsum, „Sachen, die Sinn machen. Bücher und Bildung sind ein großes Thema.“

Die Buchläden als Gewinner der Krise? „Wir sind vorsichtig. Es wird wohl zu Weihnachten keine Trendwende geben“, sagt Klaus Dieter Lühn von „Heine Buch“ in der Grindelallee. Dennoch rechnen die Buchhändler mit einigen wenigen anspruchsvollen Titeln – die angekündigte Autobiografie von Gabriel Garcia Marquez zum Beispiel.

Der Pisa-Schock hat sein übriges dazu getan, dass auch bei Kinderspielzeug wieder auf Sinn geachtet wird. So bewirbt ein anspruchsvoller Versand neuerdings ferngesteuerte Autos mit dem Hinweis, die Schalterbedienung würde die Verbindung von, „rechter und linker Gehirnhälfte“ trainieren. Auch im Spielzeugladen „Die Druckerei“ im Schanzenviertel hat pädagogische Aufklärung offenbar Folgen, und zwar in Sachen Jungssozialisation. „Bei uns ist das Thema Ritter in diesem Jahr sehr beliebt“, sagt Verkäufer Rainer Burmester. „Wir verkaufen sogar Schwerter aus Holz, obwohl wir grundsätzlich keine Pistolen haben.“ Wer Sinnvolles sucht, ist in dem benachbarten Kinderbuch- und Spielzeugladen sicher richtig. Hier wird – weil‘s 2002 ebenso gut ist wie 2001 – mit „Carcassonne“ der Spielepreissieger aus dem Vorjahr empohlen. Und für weihnachtliche Stimmung „Äpfel, Nuss und Schnellballschlacht“ – Geschichten, Lieder und Gedichte für die ganze Familie von Rotraut Susan Berner.

Was Stimmung und Wärme erzeugt, scheint in kriseliger Zeit ohnehin gefragt. „Teelichtgläser, hochpreisig und mundgeblasen von Türkis bis Dunkelrot“ seien sehr beliebt, hört man beispielsweise beim Geschenkeladen „Konos“ in der Bahrenfelder Straße. Dazu passt die mit Petroleum zu füllende Winterfackel aus Glas in Form einer Eistüte, die sogar den Schnee im Garten bescheinen kann. Auch Decken, einfarbig, in Fischgrät oder kariert, aus Merinowolle oder Fleece sind „der Hit“, wie Inhaber Henrik Schulte erklärt.

Kuschelig ist auch der neueste Trend, den Renate Augustin ausgemacht hat: „Die jungen Frauen stricken wieder, wie verrückt“, berichtet die Inhaberin von „Purpurwolle“ im Heußweg. Am beliebtesten seien zweieinhalb Meter lange Schals, für die in der City bis zu 150 Euro verlangt würden und die Trendbewusste partout um den Hals wickeln sollten. Stricken regt übrigens „beide Gehirnhälften gleichzeitig an“, wie Augustin erfahren hat, „macht geistig fit und schlau“.

Egal was Konsumforscher sagen, auch zu diesem Fest werden Gimmiks gekauft, auf die wir nicht unbedingt in schlaflosen Nächsten gewartet haben. Bei „Lindli“ in Ottensen zum Beispiel gibt es eine Barbie als Nachtlicht. Und für 6 Euro 99 ist ein Mini-Tannenbaum aus Pappe zu erwerben, dessen Nadeln bei Wasserzufuhr sprießen. Kein nachhaltiges, sondern ein anschließend eher wegzuschmeißendes Produkt, das allerdings manch unschuldigem echten Baum das Leben retten könnte.

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