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Politkommissar Berlusconi

Zwischen Milzschnittensuppe, Globalisierungsprotesten und politisch korrektem Kaffee: In „Napule“, seinem neuen Tschonnie-Tschenett-Roman, entwirft Kurt Lanthaler ein Sittengemälde Italiens

„Da gehören immer zwei dazu, wenn einer den anderen übers Ohr haut“

von GERRIT BARTELS

Viele Kriminalromane leben in hohem Maß vom Profil ihrer Hauptfiguren, den ermittelnden Kommissaren und Privatdetektiven. Da kann die Handlung noch so undurchsichtig sein, die Geschichte noch so schwach – wenn der einsame Marlowe in seiner Junggesellenbude über L. A. sinniert, Maigret mittags ein Bier in einer Bar trinken geht oder Brunetti im trauten Kreis seiner Familie hockt, wird alles gut. Am Ende ist es meist egal, ob und wie der Fall aufgeklärt worden ist, Hauptsache man ist seinem Lieblingskommisar mal wieder begegnet, hat sich an seinen Schrullen, Sprüchen oder biederen Freundlichkeiten erfreut und mit ihm zusammen so manche Lebensunbill durchgestanden.

Der in Bozen geborene und in Berlin lebende Schriftsteller Kurt Lanthaler hat mit seinen Tschonnie-Tschenett-Romanen diese Konzentration auf einen profilstarken Helden zur höchsten Kunstform erhoben: Zuerst kommt Tschenett, der unablässig sein Tun kommentiert, mitunter gern auch in dialogischen Selbstgesprächen. Dann kommt wieder Tschenett, der für seine Freunde ein Abschiedsessen kocht oder seinen zwei Berufen als Matrose und Lkw-Fahrer nachgeht. Tschenett zeichnet sich nämlich durch zwei widersprüchliche Eigenschaften aus: Er ist ein rastloser, getriebener Mensch; und er ist ein passionierter Müßiggänger, der mit Hingabe eine Milzschnittensuppe zuzubereiten weiß oder tagelang in schummerigen Kneipen versacken kann.

Zu guter Letzt dann entwickelt sich irgendwann auch mal so was wie ein Kriminalfall, in den Tschenett meist zufällig reinstolpert und in dem es wahlweise um Zigarettenschmuggel, Menschenhandel, Grundstücksspekulationen oder andere gesellschaftliche Schlechtigkeiten in Italien, Albanien, der Schweiz oder Deutschland geht.

Nachdem Tschenett es über fünf Jahre in einer kleinen Wohnung am Hafen von Saloniki ausgehalten und er sich mal als italienischer Übersetzer und Vermittler am Hafen oder als Koch in einer Ouzeria betätigt hatte, verschlägt es ihn in Lanthalers neuem Tschenett-Roman „Napule“ nach Neapel – „einfach weil es mal wieder an der Zeit war“, wie er sagt.

Einmal mehr ist Lanthaler nicht daran gelegen, seinen Roman Fahrt aufnehmen zu lassen oder einen zielgenauen Plot zu entwerfen. Das merkt man allein schon an dem für Tschenett-Romane obligaten Glossar, das sich in gewohnt wissenswerten, gesellschaftskritischen oder statistischen Abschweifungen verliert, dieses Mal aber nicht vom Autor, sondern den Figuren selbst bestritten wird (und die Frage aufwirft: Warum es nicht gleich in den sowieso nicht besonders stringenten Roman integrieren?)

Lanthaler entwirft ein Sittengemälde Italiens im Allgemeinen und Neapels im Besonderen. Berlusconi, die Camorra, der neapolitanische G-8-Gipfel, („der Testlauf für Genua“), die knüppelnde Polizei, die Globalisierungsgegner; aber auch der Pizzabäcker, der von seiner Frau betrogen wird und als Schlossgespenst endet, der 16-Jährige, der zwar ein guter Schüler ist, aber ein schlechter Fußballer und schließlich zu Tode kommt, das „Quartieri spagnoli“, in das sich selten ein Tourist verirrt.

Manchmal aber kommt „Napule“ eine Idee zu eifrig und zu korrekt um die Ecke. Seine Protagonisten sind fast durch die Bank gutherzige Menschen und wackere Antifaschisten, die von „Revolte“ reden und viel um die Machenschaften korrupter Politiker, der Camorra und scheinheiliger Fernsehmagier wissen. Oder sich aus freien Stücken um die Besatzung eines beschlagnahmten russischen Kreuzfahrtschiffes kümmern. Sie alle beschwören gern die bunte Kiezkultur und verdammen die kalte, globalisierte Welt – sozusagen die 47 Arten, den Kaffee griechisch zu kochen, gegen das immer gleiche Nichts von Kaffee in den 5.150 Starbuck-Filialen auf der Welt.

Wenigstens der geschwätzige Tschnett hält da immer mal wieder gegen und kritisiert einmal sogar das unentwegte Abarbeiten am einstigen Staubsaugervertreter und jetzigen Superministerpräsidenten Berlusconi: „Als ob unser Italien an nichts anderem kranken würde als an diesem kranken Deppen. Erscheint mir eher unwahrscheinlich. Da gehören immer zwei dazu, wenn einer den anderen übers Ohr haut.“

So was kann natürlich nur ein Loner sagen, der sowieso immer nur am Rande steht und gern damit kokettiert, nie wirklich schlau zu werden. Am Ende anderthalb bewegter neapolitanischer Tage sitzt Tschenett in einem Café bei Zigaretten und Wein und probiert sein Glück mit einem Lottoschein. Was aber die Zukunft bringt, ja, was aus dem armen Italien wird und schließlich auch aus ihm: Das interessiert ihn in diesem Moment nicht die Bohne.

Kurt Lanthaler: „Napule“, Haymon-Verlag, Innsbruck 2002, 220 S., 17,90 €

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