: Stimmlose Forschungsobjekte
betr.: „Der Designer war schuld“ (zur Ausstellung: „Besondere Kennzeichen: Neger? Schwarze im NS-Staat“ im Kölner Stadtmuseum), taz vom 16./ 17. 11. 02
Als Historikerin/Besucherin der Eröffnungsveranstaltung, der Ausstellung und einer weiteren Diskussionsrunde, die im Rahmen der Langen Nacht der Museen im EL-DE-Haus stattfand, hatte ich mehrfach Gelegenheit, mich mit der inhaltlich und didaktisch unerträglichen Aufbereitung des Ausstellungsmaterials auseinander zu setzen. Das Fehlen einer kritischen historischen Konzeption macht es den Besucher/innen unmöglich, eine bislang unbekannte Ereignisgeschichte angemessen nachzuvollziehen.
Schwarze deutsche Geschichte beginnt nicht etwa, wie die Ausstellung glauben machen will, mit der Besetzung des Rheinlandes im Jahre 1918, sondern spätestens mit der Inbesitznahme deutscher Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent im Jahre 1884. Dieser historische Ausgangspunkt ist für das Verständnis einer bereits zu diesem Zeitpunkt einsetzenden Verknüpfung kolonialistischer und eugenischer Konzepte grundlegend und erlebte mit den Zwangssterilisationen und der Ermordung hunderter Menschen afrikanischer und asiatischer Herkunft in der NS-Zeit lediglich einen traurigen Höhepunkt. Derartige historische Verbindungslinien sind in der Ausstellung aufgrund des Ausblendens der kolonialen Epoche gänzlich gekappt.
Die konzeptionelle Unfähigkeit reicht jedoch sehr viel weiter: Entgegen dem selbst gestellten Anspruch, die Ausstellung bemühe sich um eine Rekonstruktion des Lebens schwarzer Menschen im NS-Staat, ist festzustellen, dass jedweder Ausdruck einer selbstbestimmten schwarzen deutschen Realität getilgt wurde. Die Reduzierung von Opfern und Überlebenden auf stimmlose Forschungsobjekte, deren Anwesenheit fast ausschließlich durch eine bloße Aneinanderreihung völkischen und nationalsozialistischen Propagandamaterials erfahrbar wird und darauf beschränkt bleibt, wird zusätzlich unterstützt durch die von Martin/Alonzo verfassten Kommentare. Eine immer wiederkehrende Benutzung von rassenkundlichen bzw. faschistischen Termini in Anführungszeichen – O-Töne aus der NS-Zeit und Kommentare von 2002 sind im Duktus oftmals kaum zu unterscheiden – und das Fehlen eines alternativen, wertfreien Vokabulars stellen mitnichten eine historische Distanzierung dar und wären für andere Opfergruppen undenkbar.
Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit historischen Befangenheiten, vor allem aber die Einbeziehung signifikanter Grundlagenforschung, die im Übrigen im deutschsprachigen Raum seit Mitte der Achtzigerjahre ausschließlich von schwarzen deutschen Historiker/innen und anderen Geisteswissenschaftler/innen unternommen wurde, hätte einen wichtigen Beitrag für eine noch immer ausstehende Diskussion über die schwarzen deutschen Opfer des Holocaust auslösen können. […]
NICOLA LAURÉ AL-SAMARAI, Berlin
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