: Schah Reza Pahlevi, seine Kaiserinnen, die Deutschen und der 2. Juni 1967
Von Christian Semler
Erstveröffentlichung in: Kursbuch Nr. 150 / Dezember 2002
Am frühen Abend rollt ein klappriger 2CV mit heruntergelassenem Verdeck die Bismarckstrase entlang, vorbei an den Demonstranten gegenüber der Deutschen Oper, die dem Schah und seinen Gastgebern einen, wie man damals so sagte, gebührenden Empfang bereiten wollen. Zwei Studenten stehen im Wagen, winken huldvoll. Sie haben Papiertüten über den Kopf gezogen, auf denen der Schah und seine Gemahlin abgebildet sind – Karikaturen. Die Demonstranten jubeln dem Kaiserpaar zu. Wenig später, als die echten hohen Gäste und die Honoratioren eintreffen, fliegen Farbeier und Tomaten uber den Damm. Ein paar von ihnen – eine sportliche Leistung angesichts der Entfernung – treffen ihr Ziel und verunreinigen die Abendgarderoben. Allgemeiner, anerkennender Beifall. Dann gibt der Polizeiprasident Dünsing den Einsatzbefehl. Was folgt, ist die allseits bekannte Geschichte des 2. Juni 1967.
Daß die linken Studenten die amerikanische Intervention in Vietnam verurteilen, daß sie sich mit zahlreichen nationalen Befreiungsbewegungen gegen den Imperialismus solidarisieren, hatte sich mittlerweile in Berlin herumgesprochen. Aber warum ausgerechnet gegen Reza Pahlevi und Farah Diba auf die Straße gehen, bloß weil sie Marionetten der USA sind? Gab es nicht lohnendere Objekte? Oder existierte in diesem Fall etwa eine spezielle Verbindung zwischen den Gästen und den deutschen Gastgebern, die den Zorn der Studenten und ihrer Freunde erregte? Genau so war‘s.
Der Pfauenthron und Deutschland: Hier ging es nach dem wirtschaftlichen Aufschwung bei uns um Geschäftspolitik und um eine Politik der Gefühle. Eigentlich war nämlich der Schah, wie Richard Blank in seiner verdienstvollen Dokumentation der einschlägigen, dem deutsch-iranischen Verhältnis gewidmeten Regenbogen-Presseübersicht festgestellt hat, nur in zweiter Linie der Herrscher des Iran. Bei Licht besehen war er unser Kaiser, nur die Ungunst der Umstände hat ihn ins Morgenland verschlagen. Denn an seiner Seite stand, wenngleich nur einige Jahre lang, die Kaiserin Soraya, das Kind von Eva Kein, einer deutschen Mutter, die in den zwanziger Jahren Khalil Esfandiary Bahktiary geehelicht hatte, einen der großen Feudalen des Landes.
“Das ist der Stoff, aus dem die Träume sind“, sagt der gebildete Detektiv Philip Marlowe über den diamantenbesetzten, goldenen Malteserfalken im gleichnamigen Roman von Raymond Chandler. Aber im Gegensatz zum Fake-Falken im Roman sind die Diamanten echt, die das Brautkleid unserer Soraya, es wurde von Dior kreiert, am Tag ihrer Eheschließung, dem 12. 2. 1951, verzieren. „Ich bin wie in Trance durch diesen Tag gewandelt“, wird Soraya später schreiben. Wie in Trance erlebten auch die Abertausende, die 1955 die Straßen Deutschlands säumten, den Staatsbesuch des Kaiserpaars. „Selbst im roten Hamburg“, so die tönende Wochenschau jener Tage, „stehen livrierte Diener vor dem Rathaus Spalier, in der Staatsoper erklingt der unsterbliche Kaiserwalzer.“ Der kaiserliche Gatte an der Seite Sorayas erweckt, wie zeitgenössische Quellen berichten, die Begeisterung von Frauen jeden Alters. Warum? Er ist so elegant und ihn schmückt „ein römisch-griechisches Profil“. Soraya bleibt fraulich bescheiden im Hintergrund, dient allerdings dem des Deutschen nicht mächtigen Monarchen gelegentlich als Dolmetscherin. Sie schlägt die Brücke zu ihren geliebten Landsleuten, die soeben erst aus Ruinen auferstanden sind und etwas Prachtentfaltung bitter nötig haben.
Sorayas Leidensgeschichte, der „Opfergang einer Kaiserin“, die ihrem Mann keine Nachkommen schenken konnte, hatte im Juni 1967 noch seinen festen Platz im deutschen Kollektiv-Imaginären. Eigentlich liebte, so hieß es, der Schah seine Deutsche weiterhin, aber er war ein Opfer der Pflicht, im Iran galt nun einmal das eherne Gesetz männlicher Erbnachfolge. Also mußte er sie 1958 verstoßen. Aber es bleibt ein Trost. Sie erhält den Titel Prinzessin sowie 17 Millionen Dollar, letzteres allerdings unter der für sie und ihre deutschen Verehrer schmerzlichen Bedingung, nicht wieder zu heiraten.
Getreulich folgt die deutsche Presse ihren Schritten ins – westeuropäische – Leben. Diese Schritte sind allerdings manchmal nicht ganz sicher. Soraya später: „Ich hatte sogar Probleme, über die Straße zu gehen. Plötzlich mußte ich auf Ampeln achten. Früher ist unsere Wagenkolonne non-stop durch Teheran gefahren, ob wir nun Vorfahrt hatten oder nicht.“ Soraya wird kein Opfer des Straßenverkehrs. Zwei ihrer späteren Geliebten hingegen, der Bankier Edmund Artar und der Vicomte de Barbot, enden durch Selbstmord. War das, so wurde gemutmaßt, der lange Arm der SAVAK, des Geheimdiensts seiner Majestät, der die Nichtwiederverheiratungsklausel des Scheidungsvertrags vorsorglich in Erinnerung rufen wollte?
Es konnte nicht ausbleiben, daß in jenem fatalen Jahr 1958 in der deutschen Presse einige Mutmaßungen zur Frage der Unfruchtbarkeit laut wurden, auch vereinzelte Schah-kritische Stimmen ließen sich vernehmen, zum Beispiel im Stern. Das war zuviel. Auf eine Intervention aus Teheran hin verabschiedete das deutsche Bundeskabinett eine Gesetzesvorlage, die die „herabwürdigende Darstellung des Privatlebens ausländischer Staatsbürger“ unter Strafe stellte, die „Lex Soraya“. Fritz Schäffer, damals CSU-Justizminister und wackerer Katholik, erklärte im Rundfunk, der Schah habe die Bundesregierung wissen lassen, „er nähme ohne weiteres an, daß die deutsche Regierung einen Ehrenschutz auch ihm und seiner früheren Gattin gegenüber übe und nachdrücklich verfolge. Der Bundesjustizminister tritt dem Schah von Persien und seinem Wunsche völlig bei.“ Der Chefredakteur des Wochenend ist gekränkt. In einem “Offenen Brief“ versichert er dem Schah, »es stimmt, daß über Sie und Ihre ehemalige Gemahlin in der deutschen Presse viel geschrieben wurde und noch geschrieben wird. Und es war viel dummes Zeug darunter. Wir haben diese Publikationen verfolgt, können uns aber nicht erinnern, daß auch nur ein einziges deutsches Blatt etwas veröffentlicht hätte, das als ehrverletzend oder ehrkränkend hätte angesehen werden können.“Zwei katzbuckelnde Deutsche, denen es ums Geschäft geht. Der erste hat den Waren- und Kapitalexport in den Iran im Auge, der sich gerade schwungvoll zu entwickeln beginnt. Dem zweiten geht es um den Emotionenhandel. Zwei wichtige Anliegen, und doch scheiterte die Vorlage schließlich – der Ehre wegen sei es gesagt – trotz absoluter CDU/CSU-Mehrheit im Bundestag. Ein solcher Fehler wäre dem iranischen Parlament bestimmt nicht unterlaufen.
Von dieser bedauerlichen Episode abgesehen, verliefen die Eingriffe des Schahs in seine deutschen inneren Angelegenheiten erfolgreich. Das zeigte sich beispielsweise in der Praxis der Stipendienvergabe für persische Studenten. Sie hatten, im Gegensatz zu anderen ausländischen Studenten, eine Bescheinigung der iranischen Botschaft vorzulegen. Diese wiederum war abhängig von einer vorher zu leistenden Loyalitätserklärung für den Schah. Auch der persische Geheimdienst durfte sich auf deutschem Territorium frei entfalten. Beim Staatsbesuch von 1967 trat er in doppelter Funktion auf: als treue Demonstrantenschar in Bonn, die „Lang lebe der Schah, Licht der Arier“ skandierte, und als Unterstützung der schwachen örtlichen Polizeikräfte in Berlin. Die Jubel- und die Prügelperser – ausnahmsweise ein gelungenes Produkt des sonst eher hölzernen studentischen Wortwitzes.
Mit dem Defilee des 2CV vor der deutschen Oper sollte gerade die innige Verbundenheit des deutschen Publikums mit dem Kaiserpaar karikiert werden. Damals stand die Rolle der Massenmedien (und nicht nur der Regenbogenpresse) bei der Produktion autoritärer Verhaltensweisen noch nicht im Zentrum der linken Kritik. Das geschah erst mit der „Enteignet Springer“-Kampagne, die, wie es sich gehörte, auf einer SDS-Resolution namens „Brecht die Macht der Manipulateure“ vom Sommer 1967 basierte. Hauptsächliches Hilfsmittel der Anti-Schah-Propaganda war ein Steckbrief, der den Schah als Mörder und Blutsauger portraitierte. Was hier summarisch mitgeteilt wurde, war keineswegs die x-te Wiederholung bekannter Sachverhalte. Selbst demokratisch gesinnten Zeitgenossen war bis dahin schlicht unbekannt gewesen, das der Schah den Iran in eine Folterhölle verwandelt hatte, in der er mittels Armee, Geheimdiensten sowie einem verästelten Patronagesystem unumschränkt herrschte. Und daß er sich die Gewinne aus dem Ölgeschaft vollständig unter den Nagel riß. Es war die damalige Journalistin Ulrike Meinhof, die über diese Anklagen hinaus den Zusammenhang zwischen dem Schah-Besuch und der massenmedialen Manipulation in Deutschland thematisierte, wenngleich in indirekter Form. Knapp zehn Jahre nach dem ersten Brief des Wochenpost-Chefredakteurs von 1958 verfaßte sie einen zweiten „Offenen Brief“ zum Gebrauch linker PH-Studenten, diesmal adressiert an die neue Gattin des Schahs, Farah Diba. Ulrike Meinhof setzte sich mit einem Interview auseinander, das die Kaiserin der Neuen Revue, einer der kaisertreuen Postillen, gewährt hatte. Das war natürlich ein Stück gewitzter, fetziger Agitation, aber nicht ohne Hintersinn. Farah Diba wurde im “Offenen Brief“ als ebenso unwissendes wie törichtes Luxusgeschöpf gezeichnet, das die Reichtümer des persischen Volkes verpraßte. Aber der „Offene Brief“ enthielt auch eine subkutane Botschaft: „Du Farah, müßtest es eigentlich besser wissen.“
Als Modell-Frau stand Farah auf der Grenzlinie zwischen dem traditionellen, durch Soraya vermittelten Frauenbild und der modernisierten Version der Traum-Monarchin. Soraya war noch ganz die Frau „an seiner Seite“, ihre Funktion erfüllte sich in der Vermenschlichung des Gatten, den sie in eine Aura der Liebe und Bewunderung hüllte. Während er der Staatsraison verpflichtet war und – leider, leider – den unmittelbaren Umgang mit seinen Untertanen aus Sicherheitsgründen meiden muß, geht Soraya „auf die Menschen zu“, lindert Schmerzen, übt sich in Caritas. Gerade solche frauliche Fürsorge liebt das deutsche Publikum. Es partizipiert. Das Leben der Olympierinnen wird zum Teil des Lebens der Sterblichen. Für all das steht auch Farah. Aus der deutschen Presse der sechziger Jahre erfahren wir, wie sie eine bedürftige Bäuerin mit einer diamantenbesetzten Brosche beschenkt – sie hat im Moment kein Kleingeld bei sich, und es gehört sich nicht, die Hofschranzen anzupumpen. Sie besucht, sogar ohne Leibwache – und hier wird‘s spannend – eine Jugendfreundin im Gefängnis (wir erfahren nicht, weshalb die dort sitzt) und erwirkt umgehend deren Freilassung. Der Schah ist außer sich. Einmal, weil sich die Kaiserin in Angelegenheiten des Strafvollzugs mischt, und der gehört schließlich zur Kompetenz des Herrschers über die drei Gewalten im Iran. Dann aber auch, weil sie sich, der Leibwächter bar, selbst gefährdet hat. Denn die Angst vor Attentaten, darüber weiß die deutsche Presse auch anläßlich des Schah-Besuchs von 1967 ihr Lied zu singen, schwebt stets und immer über dem kaiserlichen Paar. So daß die polizeiliche Sorge zum Kummer der Illustrierten den allzu engen Kontakt mit der liebesbedürftigen deutschen Bevölkerung verhindert. Nur einmal, in Düsseldorf, gelingt es der sechsjährigen Bergmannstochter Roswitha Meyer, „einen Strauß Blumen in der Hand und die ganze Unbekümmertheit ihrer Jugend im Herzen“, den Sicherheitskordon zu unterlaufen und zur Kaiserin vorzudringen. „Kaiserin“, sagt sie, „du bist so schön.“ Farah nimmt gerührt die Blumen. „Sie sah sehr jung und glücklich aus in diesem Moment. Der Schah lächelte. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Kühn (SPD) lächelte, Frau Kühn lächelte, und sogar die Sicherheitsbeamten vergaßen für einen Augenblick das amtliche Gesicht.“ Dies meldete die Frau im Spiegel im Juni 1967.
Auch Farah ist die „vollständig glückliche Kaiserin“. Aber sie ist eine Übergangsfigur. Farah hat Architektur studiert, hat das Botschaftsgebäude im auch von ihr geliebten Deutschland entworfen. Soraya hingegen war zwar polyglott und wohlerzogen, mußte aber ohne Beruf auskommen. Sie wird im Exil als Leinwandheroine scheitern, während Farah auch in diesem Metier reüssiert hätte, hätte sie nur gewollt. In den siebziger Jahren setzt sich ein Frauenideal durch, das die spanische Feministin Joanna Gallego in ihrem Buch Göttinnen aus Papier so beschrieben hat: “Sie muß die Verführungskraft des Vamp, das Arbeitsvermögen eines männlichen Arbeitstiers, die sexuelle Verfügbarkeit einer Prostituierten, die Attraktivität eines Fotomodells, die Kultur eines berufsmäßigen Intellektuellen und das Verständnis wie die allumfassende Güte einer Mutter in ihrer Person vereinen.“
Farah stellt also die Märchenprinzessin aus dem Morgenland dar, und sie versucht sich gleichzeitig an dem neuen Anforderungsprofil. Natürlich behängt sie sich mit Schmuck und sendet Botschaften vom märchenhaften orientalischen Reichtum aus. Aber sie ist auch Botschafterin der aktuellen westlichen Modetrends. Werfen wir einen Blick auf die Anti-Schah- Demonstrantinnen am Abend des 2. Juni 1967 in Berlin: Die neue Natürlichkeit – ohne Schminke, Phantasiekleidung, jede nach ihrer Façon – ist erst vereinzelt vertreten. Correge sendet seine Signale aus, Windstoßfrisuren flattern, achteckige Brillen verraten das Vordringen der Op-art, vereinzelter Kurzhaarschnitt. Aber sehen wir da nicht auch, und gar nicht so selten, die schwarzumränderten Mandelaugen, die hochgetürmte Frisur, die auch noch nach dem Ende des Pfauenthrons, wenn niemand mehr weiß, wer Mohammed Reza Pahlevi eigentlich gewesen war, den Namen ihrer Schöpferin tragen wird?
Ulrike Meinhof (auch sie trug Anfang der Sechziger die Farah-Diba-Frisur) hatte sich in ihrem „Offenen Brief“ weitgehend auf Materialien gestützt, die der iranische Autor Bahman Nirumand in seinem kurze Zeit vorher erschienenen Buch Persien, Modell eines Entwicklungslandes zusammengetragen hatte. Ein faktenreiches, gründlich recherchiertes und dabei unerwartet gut lesbares Buch, das im Wesentlichen zwei Angriffsziele verfolgte: die Herrschaft des USA-Imperialismus und des mit ihm verbundenen internationalen Erdölkartells über den Iran zu demonstrieren und das Regime des Schahs als USA-hörig, autokratisch, verschwenderisch und korrupt nachzuweisen. Insbesondere gelang es Nirumand, die “weiße Revolution“ des Schahs samt ihrer vorgeblichen Landreform als Betrugsmanöver zu entlarven. Mit seiner Kritik an der regierungsoffiziellen Propaganda, die den Schah als Motor der Modernisierung pries, zielte Nirumand auch auf den zentralen Mythos der deutschen Schah-Verehrung.
Denn dieser Mythos erschöpfte sich nicht im Bild des märchenhaft reichen, dabei freigiebigen und volkstümlichen Monarchen. Hätte die Große Erzählung vom Schah nur diesen Aspekt erfaßt, so wäre sie untauglich geblieben für die massenmediale Verarbeitung, für die Politik der Gefühle. Sie wäre auf eine ambivalente Reaktion gestoßen. Denn einerseits war es immer verführerisch gewesen, sich in der Rolle des Krösus zu imaginieren. Alles haben und nichts dafür tun – das alte, schöne Märchen. Andererseits aber gab es die schreckliche kontrollierende Instanz im Herzen. Und diese Instanz stand unter der Herrschaft der protestantischen Ethik. Einerseits wurden die kaiserlichen Schmuckstücke begehrt. Andererseits war klar, daß man in Deutschland, speziell im Nachkriegsdeutschland, seinen Reichtum nicht zur Schau stellen durfte. Flik und Flak, die beiden milliardenschweren Söhne aus dem Hause Flick, mußten sich von Zeit zu Zeit mit Erbsensuppe plus Würstchen begnügen. Der junge Krupp von Bohlen und Halbach aber, von dem man munkelte, er sei “anders herum“, verfiel der allgemeinen Verachtung, weil er öffentlich seinen Anspruch auf 2000 DM Klimpergeld täglich anmeldete. Mit einem Wort und auf soziologisch: Der ostentative Konsum war verpönt. Reichtum sollte auf Leistung beruhen. Hier dachten die linken Studenten nicht anders als die Bevölkerungsmehrheit.
Aber Reza Pahlevi war nach dem monarchischen Diskurs bei uns gar kein Götterliebling, der unverdient zu seinen Reichtümern gelangt wäre. Vielmehr ging es gerade darum, den Kaiser als ebenso unermüdlichen wie unerschrockenen Vorkämpfer für die westliche Zivilisation, ihre Standards und ihre Werte, zu malen. Dieser Kampf des Schahs, seine zivilisatorische Mission, spielte sich nach Meinung seiner deutschen Verehrer in einem absolut feindlichen Umfeld, eben im Iran, ab. In je helleren Farben die Anstrengungen des Schahs geschildert wurden, umso düsterer geriet das Bild seiner rückständigen, faulen und undankbaren Untertanen. Stets sind die Elogen auf des Kaisers jugendlichen Elan, auf seinen unstillbaren Reformeifer unterfüttert mit altehrwürdigen Stereotypen über die “Orientalen“. Zum Beispiel: „Wir Perser sind müde geworden und schlafen gern“, heißt es in Teheran. „Bei uns geschieht nichts, wenn wir keinen Wecker haben. Der alte Schah war unser Wecker. Das Klingeln des Weckers ist verstummt. Heute müßte der junge Schah Sturm läuten, um seine genial geplanten wirtschaftlichen und sozialen Reformen durchzusetzen. Leider bimmelt es nur. So bleibt vieles auf halbem Wege stecken. Wird Soraya eines Tages das Opfer des Dilemmas zwischen abendländischem Wollen und morgenländischem Können sein?“ So fragte sich besorgt das Wochenend schon 1956, nicht ohne in seine Sorge auch das Schicksal des Schahs einzubeziehen.
Noch 1965 bezeichnete die Frankfurter Allgemeine in gewohnt scharfsinniger Weise den Schah als „den einzigen Mann, der eine Chance hat, Persien der Herrschaft der reaktionären Großgrundbesitzer zu entreißen und es vor der Herrschaft der kommunistisch gelenkten Tudeh-Partei zu bewahren“. Dieses Zitat ist besonders aufschlußreich, weil es in einer entschlossenen Volte aus dem Schah nicht nur den friedlichen Modernisierer, sondern einen „Entreißer“ macht, einen Nationalrevolutionär, der die Klassenverhältnisse im Innern umpflügt. So wird dem Monarchen eine Rolle angedichtet, die in der Realität Mohammed Mossadeqh spielte, der als Premierminister zu Beginn der fünfziger Jahre die Erdölförderung und Raffinierung verstaatlichte und – nach dem prompten Wirtschaftsboykott der Engländer – den Grundstein für die Entmachtung der feudalen und den Aufbau einer eigenständigen Industrie legte. Ganz so wie in der Boulevardpresse der Sturz Mossadeqhs durch ein Komplott der CIA als Revolution der iranischen Massen zugunsten des – vorübergehend exilierten – Schahs umgedeutet wurde.
Weil der Schah und seine Gattinnen so tapfer für die uns teuren Werte kämpfen, werden in der deutschen Boulevard-Presse auch nicht die Augen verschlossen vor der entsetzlichen Armut des Landes. Genauso wenig wie der Schah sie verschließt: „Die täuschende Pracht der Paläste der Herrscher, die modernen Fassaden der Verwaltungsgebäude großer Erdölgesellschaften, deren Kapital meist in Auslandsbesitz ist, können den Schah Reza Pahlevi nicht über die oft bittere Armut seiner Landeskinder hinwegtäuschen. Die Lethargie der Orientalen, ihre blinde Ergebenheit unter den Willen Allahs, der alles schenkt und nimmt … all diese Voraussetzungen machen es dem modern denkenden jungen Herrscher nicht leicht, das Schicksal der Menschen des flachen Landes zu wenden.“ So unser Lieblingszeuge, das Wochenend, im Jahre 1955.
Also: Der Schah ist gar kein Modernisierer. Die iranisch-deutsche Propaganda erweist sich als ebenso substanzlos wie die Hoffnungen von ganz anderer Seite, nämlich der Realsozialisten von Moskau bis Peking, die Reza immerhin einiges Entwicklungspotential zutrauten. Die linken Berliner Studenten hielten es lieber mit dem alten, volltrunkenen sowjetischen Marschall Woroschilow, der bei dem Besuch des Kaiserpaars im Kreml vernehmlich gemurmelt hatte: „Auch wir hatten mal so einen Schah. Wir haben ihn einen Kopf kürzer gemacht.“ Das wäre nach dem Geschmack der linken Studenten gewesen, in deren Bild der Realsozialisten es genau paßte, daß Reza Pahlevi vor seinem deutschen Staatsbesuch in Prag, Hauptstadt der realsozialistischen CSSR, Station gemacht hatte. Weshalb auch nach dem denkwürdigen Teach-in vom 1. Juni in der FU der nahegelegenen tschechischen Militärmission ein Besuch abgestattet wurde. Verräterisch war eben nicht nur die Sozialdemokratie, deren Außenminister (Willy Brandt) den Schah eingeladen hatte, verräterisch waren auch die Realsozialisten und ihre Paladine. Nur auf die aufbegehrenden Völker der Dritten Welt, also auch des Iran, war Verlaß.
Wirklich? In Bahman Nirumands Buch findet sich ein emphatisches Bekenntnis zu einer antiimperialistisch-nationalen Revolution, die ihren Nationalismus nach vollbrachtem Werk ablegen wird, um der Solidarität unter den armen Völkern Platz zu machen. Die demokratischen Kräfte der Dritten Welt werden sich mit jenen Gruppen aus den Industrieländern zusammenschließen, die den politischen Zusammenhang von Manipulierbarkeit des Bewußtseins und politischer Unterdrückung auch in der reichen Welt verstanden haben. „Die Aufklärung innerhalb der Industrieländer kämpft wie die Bewegungen in den armen Ländern für die befreite Gesellschaft und einen neuen Menschen, der die Epoche der Ideologien und der Unterdrückung hinter sich gebracht hat.“
So weit die optimistische Generalvision. Bei seiner Analyse des Bewußtseinszustands in der iranischen Gesellschaft schlägt Bahman Nirumand einen eher pessimistischen Grundton an. „Die europäisch-amerikanischen Züge liegen wie eine giftige Dunstglocke über diesem Land … Sie ziehen als tödlicher Tumor in das Bewußtsein des erstaunten Persers ein, der in einer sich sprunghaft wandelnden Wirklichkeit seine Herkunft verlor und nun in einer überstürzten Flucht nach vorne sein Heil in der Identifizierung mit dem hoffnungslos Heterogenen sucht. Der Verzweifelte wird mit dem Bild (des Westens) nur fertig, indem er es selbst wird … Ein neuer Mensch ist geboren, der abendländische Orientale, ein Reihenprodukt aus der Retorte der importierten Kultur… Auf andere Weise ergreift der Prozeß die unteren Gesellschaftsschichten. Der Bauer, in der Hoffnung, sich endlich ein minimales Einkommen zu sichern, schämt sich in der Stadt seiner ärmlichen Kleider … Auch er möchte europäisch sein. Da er aber zum europäischen Geist kein Verhältnis finden kann, nicht einmal ein falsches, wie die europäisch erzogene Oberschicht, dokumentiert er seinen Sinneswandel durch die Ablehnung seiner eigenen geistigen und religiösen Herkunft … Keine Schicht kann der Verstümmelung auf die Dauer entgehen. Sie hinterläßt Menschen ohne Vergangenheit und Zukunft. Sie wissen nicht mehr, was sie hassen und was sie lieben sollen.“
Und Hans Magnus Enzensberger, schon immer fix in Dritte-Welt-Analysen bis hin zu seinem Saddam-Hitler-Vergleich, zieht in seinem Nachwort die Konsequenz: Das städtische Proletariat ist zu schwach, die Bourgeoisie entweder parasitär oder unterm Joch des ausländischen Kapitals, die kritischen Intellektuellen zerrieben oder im Ausland und: “Der iranische Islam ist nicht imstande, revolutionäre Energien freizusetzen. Er gehört im Gegenteil zu den Stützen des Regimes, sofern dieses Regime seine Privilegien respektiert.“ Und tut der Schah nicht gerade dies?
Nichts wäre nun billiger, als sich aus sicherer, 35jähriger Distanz über dieses Fehlurteil zu mokieren. 1967 gab es noch keine organisierte islamistische Bewegung, der Begriff „Fundamentalismus“ diente zur Kennzeichnung extrem konservativer protestantischer Strömungen. Aber schon damals hatte man in den Werken der „Iranisten“ etwas über das spannungsreiche Verhältnis von schiitischer Religion und Staatsmacht in Erfahrung bringen können. Zum Beispiel, daß schon während der frühen Neuzeit das Schiitentum zur Verteidigung gegen die (sunnitische) osmanische Hegemonie diente. Man war Muslim und trotzdem dagegen. Ferner, daß die schiitische Geistlichkeit schon immer über weltliche Autorität verfügte. Ryszard Kapuscinski, der seine Schah-in-Schah-Reportage allerdings auch erst nach der Revolution von 1979 (als wir alle klüger waren) veröffentlichte, faßte den Befund so zusammen: „Seit den Safawiden existiert im Iran eine Doppelherrschaft von Monarchie und islamischem Klerus. Die Beziehungen zwischen beiden sind unterschiedlich, aber nie gut. Wenn das Gleichgewicht der Kräfte gestört wird und der Schah versucht, dem Volk seine Alleinherrschaft aufzuzwingen – noch dazu mit Hilfe ausländischer Gönner -, dann rottet sich das Volk in den Moscheen zusammen und erklärt ihm den Krieg.“
Schon Reza Khan, der Vater des Schahs und Begründer der Pahlevi- Dynastie, versuchte sich in Reformen nach dem Vorbild Atatürks, verbot den Schleier und die traditionelle Tracht. Er stieß bei seinem Versuch, die Vorherrschaft der Scharia in Rechtsprechung und Erziehung zu brechen, auf den heftigen Widerstand der Mullahs. Sein Versuch, das Familien- und Erbrecht, also das Kernstuck der Scharia, zu säkularisieren, blieb stecken. Schließlich brachte ihn die zur Staatsideologie erhobene Idee von der “arischen Kulturkraft Irans“ in antagonistischen Widerspruch zur Geistlichkeit. Reza Pahlevi war vorsichtiger. Er bezeichnete sich als gläubig, besuchte die Moschee, pilgerte nach Mekka. Sein Familienrecht von 1967 begnügt sich damit, das Mindestalter für die Heirat von Frauen auf 15 Jahre (später 18) heraufzusetzen. Es schafft die außergerichtliche Scheidung und die außergerichtliche Polygamie ab. Das sind bescheidene Schritte, aber sie genügen, um die Geistlichkeit gegen ihn aufzubringen. Ein den exilierten Religionsführer Chomeini schmähender Artikel in einem Regierungsblatt legt schließlich den Funken an die Lunte.
Eine vergleichende Analyse der verschiedenen Aufstandsbewegungen im Iran vom „Tabak-Aufstand“ von 1905 bis zur Revolution von 1979 belehrt uns heute, daß es die Geistlichkeit stets verstand, religiösen Konservativismus mit dem Kampf gegen die Vorherrschaft der (westlichen) imperialistischen Machte zu verbinden.
Die Linke der sechziger Jahre greift mit vollem Recht den Schah als Pseudo-Modernisierer an. Aber selbst so sachkundige Analytiker wie Nirumand sehen als Folge des „Verwestlichungsprozesses“, der von keinerlei ökonomischem und sozialem Aufschwung begleitet wird, nur Zerfall des Bewußtseins, nur Anomie. Überspitzt: Wo es keine wirkliche Modernisierung gibt, gibt es auch keine konservative Reaktion. Das war der Fehler. Aber warum wurde er von den Berliner Anti-Schah-Demonstranten so begierig aufgenommen, warum kam er ihnen so zupaß?
Es ging einmal um das Bedürfnis nach klaren Fronten, nach Entscheidung. Entweder/Oder. Entweder nationaldemokratische Revolution plus Sozialismus oder imperialistische Unterdrückung plus Barbarei. Tertium non datur. Dahinter aber lag der dringliche Wunsch, mit dem Protest gegen den Besuch der iranischen Potentaten die eigenen Herrschenden zu treffen, hinter der pomphaften Inszenierung die Fratze des autoritären Staates sichtbar zu machen, samt seinem Manipulations- und Gewaltapparat. Wie wir wissen, entsprach der damalige Senat von Berlin haargenau den Erwartungen der Linken. In den Tagen und Wochen nach dem 2. Juni glich er sich fast ununterscheidbar dem Regierungssystem des Schahs an, von der Ermordung Benno Ohnesorgs über die systematischen Lügen der Polizei, das allgemeine Demonstrationsverbot, die Kriminalisierung der Demonstranten bis hin zur Berichterstattung der Medien, die eine fast durchgängige Pogromstimmung unter der Bevölkerung erzeugten. So ist es Schah Reza Pahlevi gelungen, dem Bild, das sich eine ganze Generation von der Realität der bürgerlichen Demokratie machte, seinen Stempel aufzudrücken.
Literatur
Bahman Nirumand, Persien, Modell eines Entwicklungslandes, Berlin 1967.
Richard Blank (Hg.), Schah Reza – der letzte deutsche Kaiser, Reinbek bei Hamburg 1977. Dieser Dokumentation der Regenbogenpresse sind die meisten zeitgenössischen Pressezitate entnommen.
Ryszard Kapuscinski, Schah-in-Schah, Frankfurt 1997.
Ernst Ulrich Huster (Hg.), Reichtum in Deutschland, Frankfurt/New York 1997.
Kazem Hashemi und Javad Adineh, „Verfolgung durch den Gottesstaat – Menschen und ihre Rechte im Iran – Iranische Flüchtlinge in Deutschland“, PRO ASYL , Deutschland 1998. Abrufbar über Internet.
Ali Mahdjoubi-Namin, „Die Frauen waren da und damit ein Machtfaktor“, Freitag 17, 2 1.4 . 2000.
Irene Schneider, „Frauen in der islamischen Republik“, Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg, Fachbereich Geowissenschaften, 2002, abrufbar über Internet.
Mechthild Jansen, Das Diana-Phänomen oder der Dritte Weg, München 2000.
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