Rolle des Kapitals unterbewertet

betr.: „Das kleinere Übel“, taz.mag vom 16. 11. 02

Abgesehen davon, dass die These, das Großkapital habe die Nazis an die Macht gebracht, in dieser Eindimensionalität von niemandem mehr ernsthaft vertreten wird, zeigen sich in dem Artikel eine Reihe von Argumentationsschwächen: Die letzte Weimarer Koalition endete an eher marginalem Streit um Arbeitsrechtsfragen. Überwiegend verantwortlich war die Arbeitgeberpartei DVP. Die Machtübernahme der Nazis war nur durch Kooperation mit der DNVP möglich. Diese war maßgeblich von Unternehmern (unter anderem Medienmogul Hugenberg) geprägt.

Das ominöse Treffen im Hause des Kölner Bankiers Schröder ist falsch bewertet. Baron Schröder stand zwar einer eher kleinen Bank (I. H. Stein Bank) vor, diese war aber die persönliche Bank von Hitler und Himmler. Wichtiger noch: Es handelte sich um einen Ableger der international bedeutsamen Henry Schröder Bank, die als Verbindung zwischen Londoner Banken, der Familie Rockefeller und der deutschen Hochfinanz galt. Zu ihren Kunden zählten mit der IG Farben und dem Thyssen-Konzern bedeutende Profiteure der Nazis.

Die Rolle der „Fremdarbeiter“ für die deutsche Wirtschaft ist unterbewertet. Im Sommer 1944 stellten sie 46 Prozent der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und 40 Prozent in der Industrie. Mit ihrer Hilfe konnte zum Beispiel Siemens seinen Umsatz von 1938 bis 1944 verdoppeln. INGO KOLF, Berlin

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