: Warum Bush traurig ist
Untergang geht gut zurzeit: Andreas Kriegenburg verschenkt die „Orestie“ in der Jutierhalle der Münchner Kammerspiele an die USA. Schauspieler fliehen, und der Regisseur spielt Castorf platt
Irgendwann zwischen dem Einzug des Premierenpublikums und der ersten Pause muss der Regisseur beim Friseur gewesen sein. Kurz und grau präsentiert sich sein Haar, das zuvor noch gelblich-dünn den Kopf umwehte. Wenn sich vom Äußeren auf das Innere schließen ließe, herrschte nun vielleicht wieder Klarheit im Geist Andreas Kriegenburgs, auf dass der einst wohl poetischste Spintisierer des deutschen Theaters das dumpfe Klamauken lasse. Denn was man während seiner fünfeinhalbstündigen „Orestie“ in der Jutierhalle der Münchner Kammerspiele vor allem erfuhr, war quälende Langeweile angesichts mannigfacher Regieeinfälle.
Dennoch Jubel in München: Die Stadt hat sich auf die Rückkehr des einstigen Staatstheater-Matadors gefreut und mochte nun nicht böse sein, dass er nur den platteren Castorf gab. In einer der wenigen furiosen Szenen des Abends erwägt Ulrike Krumbiegel als wütende Kassandra die Flucht aus dem Stück, in dem alle dem Untergang geweiht sind. Wenn es sein muss, bis auf die andere Seite des Planeten. Doch überall – legt der Regisseur der Seherin in den Mund –, überall spielen sie „Orestie“.
Allgegenwärtige Kriegsgefahr, 11. September und amerikanische Cowboyallüren: Den ersten Teil von Aischylos’ Trilogie beklebt Kriegenburg so dicht mit Aktualitätszitaten, dass man recht textfest sein muss, um noch durchzublicken: Im 10. Jahr steht Agamemnons Heer vor Troja. Da pappen die Zurückgebliebenen „Steckbriefe“ an die Klagemauer von Argos (11. September) und durchsuchen Zeitungen nach Zeichen der Überlegenheit: „Wir siegen!“ Troja und der Irak rücken in diesem Schrei ganz eng zusammen. Begründet wird das nicht. Später, als Kassandra von einem depperten Kabarettistentrio aus Bush, Rumsfeld und Peter Struck erschlagen wird, ist endlich der Haken gefunden, mit dem der US-amerikanische Größenwahn und der altgriechische Familienfluch sich verkoppeln lassen: An Orests Rache an seiner Mutter Klytaimnestra, die Agamemnon tötete, der die gemeinsame Tochter Iphigenie geopfert hat … Nun ja.
Nicht nur das Bühnenbild, das Kriegenburg in diesem Fall gleich mit besorgen musste, schrumpft in Teil zwei auf Familienformat: In einer Barszene als Guckkasten im Guckkasten – also sehr kleinklein – verkündet der pelzige Gott Apollon „It’s country time!“ Diese ermöglicht verhängnisvolle Begegnungen in gespenstisch entspannter Atmosphäre, während die Inszenierung auf der Vorbühne zu einigen schönen Bildern findet. Fast wünschte man, das wäre schon genug.
Im dritten Teil aber gaukelt die Bühne Tiefe vor, der die Regie keine Taten folgen lässt. In einer malerisch überfluteten Unterwelt schwanken die Erinnyen wie totes Schilf, und der bei der Premiere für Christa Berndl eingesprungene Hans Kremer verordnet als Athene den Sieg des Logos über den Eros der Blutrache. Allerdings derart entrückt, dass man daran nicht glauben muss. Es ist nur ein schönes Märchen, wie jenes, dass Kriegenburg sich je für Aischylos interessierte. So bleibt vom Abend bloß im Gedächtnis, was der „Orestie“ geschickt entfloh: Darunter auch Michael Neuenschwanders Herold, der aussieht, als sei er gerade aus dem WTC entkommen. Weil keiner hören will, was er zu sagen hat, schicken ihn die Chorweiber per Fernbedienung quer durch die Fernsehkanäle. Dazu passt, was Eliot Weinberger im Programmheft erzählt: „Vor ein paar Tagen wurde ein Mann, der als einer der Toten des 11. September geführt wurde, in einer psychiatrischen Klinik entdeckt. Am selben Tag erzählte George W. Bush, was ‚das Traurigste‘ an seiner Präsidentschaft sei: Er habe jetzt nur Zeit, drei Meilen pro Tag zu joggen.“
SABINE LEUCHT
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