: Serbien bleibt weiter kopflos
Zum zweiten Mal scheitern die Präsidentenwahlen an zu geringer Beteiligung. Damit verschärft sich der Machtkampf zwischen Premierminister Djindjić und Jugoslawiens Staatschef Koštunica erneut
aus Belgrad ANDREJ IVANJI
Zum zweiten Mal in Folge sind die Präsidentenwahlen in Serbien an zu geringer Wahlbeteiligung gescheitert. Nur 45 Prozent der Wähler gingen am Sonntag zu den Urnen. Das Wahlgesetz sieht jedoch eine Beteiligung von über 50 Prozent in der ersten Runde vor, damit der Wahlprozess gültig ist. Eine Stichwahl fällt demzufolge aus. Jugoslawiens Präsident Vojislav Koštunica erreichte rund 60 Prozent, der Ultranationalist Vojislav Šešelj 35 Prozent der Stimmen. Der rechtsradikale Borislav Pelević blieb unter 4 Prozent.
Somit gewann Koštunica zum zweiten Mal in zwei Monaten überzeugend und konnte den Sieg wegen des geltenden Wahlgesetzes nicht verwerten. Der sonst ruhige, zurückhaltende Mann schäumte: „Die Demokratische Partei Serbiens (DSS) und ich erkennen diese Wahlergebnisse nicht an. Die Verantwortung für diese Schande tragen allein Premier Zoran Djindjić und seine Regierung!“ Die DSS werde vor dem obersten Gerichtshof Einspruch erheben und alle Verantwortlichen für die „skandalösen“ Wahllisten verklagen.
Koštunica drohte mit vorgezogenen Parlamentswahlen. Seinen Angaben zufolge sollen sich auf den Wahllisten rund 450.000 Phantomwähler befinden, diese Verzeichnisse gehörten ins „Guiness-Buch der Rekorde“. Er beschuldigte die Regierung Djindjić die Wahlen ausgeschrieben und gegen sie agiert zu haben. Hätte man die Wahllisten auf den neuesten Stand gebracht, wäre das Quorum erreicht worden.
Der Premier wies alle Anschuldigungen zurück und bezeichnete Koštunicas Wahlkampf als „schlechtes Experiment“: Koštunica habe wohl gedacht, die Wahlen ohne Wahlkampf gewinnen zu können. Laut dem Wahlanalytiker Vladimir Goati scheiterten die Wahlen, weil die bürgerlich-liberalen Wähler für keinen der drei rechtsnationalistischen Kandidaten stimmen wollten.
Ebenso wie die Wahllisten und das Wahlgesetz ist die serbische Verfassung ein Erbe aus der Ära von Slobodan Milošević – ein zweideutiges Dokument, das sich für Manipulationen eignet. So sieht die Verfassung vor, was geschehen soll, wenn der Präsident zum Beispiel erschossen, lässt aber offen, wie es weitergeht, wenn er nicht gewählt wird.
Am 5. Januar 2003 endet das Mandat des amtierenden Präsidenten Milan Milutinović, der sich danach als einer von Milošević’ engsten Mitarbeitern zu seinem ehemaligen Chef im Gefängnis des Haager Tribunals für Kriegsverbrechen gesellen wird. Das Amt des Präsidenten wird wohl Parlamentspräsidentin Nataša Mičić übernehmen.
Das Scheitern der Präsidentenwahl vertieft die institutionelle Krise und verschärft den Machtkampf zwischen Koštunica und Djindjić erneut. Schon in Kürze will Koštunicas DSS im serbischen Parlament einen Misstrauensantrag gegen die Regierung Djindjić stellen. Das Zünglein an der Waage werden dann mehrere kleine Parteien sein, das Ergebnis ist ungewiss. Beunruhigend für Premier Djindjić ist, dass über ein Drittel der Wähler für rechtsnationalistische Kandidaten gestimmt haben.
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