Clever begriffsverdrehende Attacke

betr.: „Aus dem Elephanten-Haus“ (Was gutgläubige Nazis von früher mit Kriegsgegnern verbindet), taz.mag vom 7./8. 12. 02

Was mag die taz wohl bewogen haben, dieses clevere Pamphlet gegen die Gegner von Angriffskriegen abzudrucken? Vermutlich, um Leserbriefe zu provozieren. Da kann ich nicht widerstehen.

Bohrer sagt, es gibt einen Nationalcharakter. Der Deutsche war immer schon doof, denn er begreift nicht, dass die Welt komplex ist, dass Angriffskriege manchmal nötig sind. Hitler hat die Deutschen mit dem Versprechen der autistischen Idylle für sich gewonnen. Und diese Haltung erleben wir heute wieder in der Friedensbewegung: ein moralisierendes, blindes Propagieren des „Friedens um jeden Preis“.

Ich denke, Bohrer muss sich einiges fragen lassen. 1. Was ist ein Nationalcharakter? Zeigten die Wochenschauen auch bei den Reichsparteitagen oder im Sportpalast nur friedlich-gemütlich-naive Gesichter? Gab es seit Friedrich II., Bismarck, 1914 und Carl Schmitt keine Praxis und Theorie des gewollten Krieges? 2. Ist das Grundgesetz ein Dokument der deutschen Naivität, sein Kriegsverbot „eine verquaste Formel“? 3. Ist nicht der mächtigste Gutmensch zurzeit der amerikanische Präsident? Wer reduziert die Komplexität der Welt am meisten? 4. Wer den kriminellen Charakter des Naziregimes betont, vermeint laut Bohrer, „die Gegenwart davor zu schützen, indem er politische und ideologische Auffassungen ähnlicher Art nicht mehr zulässt.“ Will er sie zulassen, und wenn ja, welche? 5. Was hat er gegen Sympathie Deutscher mit den ehemaligen Kolonialvölkern, warum dürfen Franzosen für die arabische Welt Verständnis zeigen? 6. Warum darf man Freunde nicht an ihre eigenen Prinzipien erinnern, die man einmal von ihnen gelernt hat?

Wir müssen tatsächlich, da die verbrecherischen Fakten auf dem Tisch sind, immer genauer erforschen, aus welchen auch scheinbar unschuldigen, naiven, neutralen Elementen sich der wahnsinnige Cocktail des Naziregimes zusammensetzte. Aber in dem, was Bohrer als Erklärung vorlegt, wird wahrhaftig nicht die Komplexität der Phänomene anerkannt. Es soll eben doch nur eine clever begriffsverdrehende Attacke gegen heutige Kritiker der amerikanischen Politik geritten werden.

EDZARD OBENDIECK (geb. 1927), Dortmund

Die Deutschen als die Romantiker und Friede suchenden Nazinachfolger? Die Friedensbewegung als die schlicht gestrickte Einfaltspinselei? Hier steht ja wohl alles Kopf!

Die schlichteste und naivste Denkungsart ist doch die Hau-drauf-Mentalität, wie sie im Weißen Haus und anderswo zu finden ist. Und wie war das zu Nazizeiten: „Räder müssen rollen für den Sieg“, „Kanonen statt Butter“ und „Wollt ihr den totalen Krieg?“ „Jaaa!“ (brüllt das Volk) – ich habe es noch wie gestern im Ohr. Dass die Deutschen jetzt nicht mehr so für Kriege zu begeistern sind, liegt sicher nicht zuletzt daran, dass sie die bitteren Folgen von Machtwahn und Kriegseuphorie am eigenen Leibe erfahren mussten. HANNELORE TÜMPEL, Westerholz

Ich finde es interessant, Bohrers Aperçu nachzuvollziehen, dass sich bei Deutschen Teile der naiven Wahrnehmung ihrer selbst und Hitlers im Jahr 1938 wiederfinden lassen in der naiven Wahrnehmung ihrer selbst als kampfunlustig und anderer Nato-Staaten als kampflustig im Jahr 2002. Aber seine weiteren Argumente hören sich für mich dann so an, als sei diese Naivität und Kampfunlustigkeit ein unverzeihlicher Mangel, den es schnell wettzumachen gilt, um so aggressiv zu werden wie die USA, England und Frankreich. Ich finde deutsche Peaceniks beim Demonstrieren in Berlin auf der ARD auch nicht so sexy wie US Marines in Action in Massar-i Scharif auf CNN, aber Bohrer scheint an diesem Pluralismus der Werte in der internationalen Politik keinen Gefallen zu haben. MATTHIAS GERBERDING, Chicago, USA

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