: Bilder über Bilder
„Visual Industry“ bei c/o Berlin: An den urbanen Unorten, wo betonierte Erde und kahle Fassaden, billige Biederkeit und schneidige Ingenieurskunst aufeinander treffen, findet der Fotograf Max Regenberg den Menschen in der Außenwerbung
von MICHAEL NUNGESSER
Jedes Foto für sich genommen mag wenig Aufmerksamkeit erregen. Gut komponiert, großformatig, farbig und von bestechender technischer Qualität, vermittelt es auf den ersten Blick doch kaum mehr als Leere und Langeweile. Woran liegt es? Stadtbrachen, tote Ecken, Niemandsland zwischen Stadt und Peripherie, betonierte Erde und kahle Fassaden, billige Biederkeit und schneidige Ingenieurskunst: Die Menschen fehlen in dieser von Menschen geschaffenen Umwelt. Nur im im Werbebild sind sie zu entdecken. Und Werbetafeln tauchen in allen Aufnahmen auf: Einbrüche einer anderen, einer medial inszenierten Welt in die urbane Realität. Sie bilden das Leitmotiv der Fotoserie „Visual Industry“ von Max Regenberg – ausgestellt im privaten Kulturforum c/o Berlin.
Der 1951 in Bremerhaven geborene Fotograf ließ sich in Köln zum Werbefotografen ausbilden, bevor er Ende der Siebzigerjahre nach Kanada auswanderte. Dort begegnete er seinem Metier wieder. Im alltäglichen Straßenraum; in einer massiven und überwältigenden Form, wie sie in Europa damals noch kaum vorkam. So entstand die Idee zu der fotografischen Langzeitstudie zum menschlichen Abbild in der Außenwerbung. Bis heute sind rund 4.000 Negative zusammengekommen, und Regenberg besitzt zudem eine Sammlung von ungefähr 7.000 Werbeplakaten. Das Rheinische Landesmuseum Bonn hat 2000 einen Ausstellungseinblick in das Projekt gegeben; 2002 erhielt Regenberg in Anerkennung seiner Arbeit den Peter Keetmann Preis für Industriefotografie.
Die jetzt bei c/o ausgestellten Fotografien sind unter anderem in den Städten Barcelona, Berlin, Düsseldorf, Paris und Wuppertal entstanden, vor allem aber in Köln, Regenbergs Wohn- und Arbeitsort. Letztlich spielt das aber keine Rolle, denn die urbanen Plätze, die er sich aussuchte, sagen wenig oder nichts aus über die besondere Identität der jeweiligen Stadt. Es sind eher Unorte, die es überall gibt, anonyme Flecken, Leerstellen von Stadt- und Verkehrsplanung, wo manchmal noch ein Stück wilder Natur dahinvegetiert – verziert mit Verpackungsmüll. In diese Leere stoßen die Großflächenplakate und werbenden Leuchtkästen wie gefräßige Lückenfüller, Schmarotzer eines Straßenbildes, das sich haltlos in den Raum ergießt. Schmucke Models räkeln sich in gigantischer Größe vor unseren Augen, und Cowboys reiten in die weite Freiheit der Prärie.
Regenberg, dessen Serie auch von der Straßenfotografie in der Tradition eines Walker Evans kommt, arbeitet dokumentarisch-systematisch wie das Ehepaar Becher. Jedes seiner Bilder gibt Aufschluss über die räumlichen und situativen Zusammenhänge zwischen Werbung und (Stadt-)Landschaft. Die Plakate werden meist in Gänze gezeigt und ergeben in ihrer Gesamtheit einen Überblick über die Entwicklung des Mediums Werbung, für das die Fotografie ja eine herausragende Rolle spielt. Aber für Regenberg steht jedes seiner Fotos für sich, ist nach seinen eigenen Regeln konstruiert. Die Anordnung der Werbeflächen – mal eine, mal mehrere – im Bild wechselt, sie erscheinen fern oder nah, meist mehr oder weniger bildparallel, mal aber auch diagonal und in luftiger Höhe, erst nach genauerem Hinschauen erkennbar. Und eben das erlauben die Fotos: genau hinzuschauen, und damit eine intensive Wahrnehmung, die der auf schnellen visuellen Konsum durch den Passanten angelegten Werbung entgegenläuft.
Regenbergs Fotos wirken oft entlarvend. Das ist weniger Absicht denn Ergebnis einer ästhetischen Haltung. „Nicht als mahnender Weiser gibt sich Regenberg“, so Katalogautor Christoph Ribbat, „weder als Kulturpessimist noch als Orakel von Sülz, sondern als Beobachter, der hartnäckig und unaufhörlich Fragen stellt.“ Und fragen kann man sich schon, was diese kunstindustriell perfekt hergestellten Medienbotschaften anstellen, die gelegentlich wie Orwells „Big Brother“ häuserhoch gegen das blasse Firmament aufragen. Diese unerwarteten, vielleicht auch unerwünschten bunten Oberflächen okkupieren den öffentlichen Raum, reißen optische Löcher hinein, verdrängen seine unsägliche Belanglosigkeit oder überkleistern seine Alltagspoesie mit Verführungsklamauk. Man wünschte sich, dass Regenbergs Fotos überdauerten und im reinsten Sinne des Wortes zum Denkmal würden.
Bis 19. 1. 2003, Linienstr. 144, Mitte, tgl. 11 bis 19 Uhr
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