: Das Pfeifen im Ohr
Explosive Startpunkte dessen, was heutzutage ist: Die DJs Henry und Dyce widmen sich der alten Schule von Acid House – heute Abend im Click
„Oldschool“, erklärt DJ Henry, „ist wie ein Container. Ein Sammelbegriff, mit dem man Musik bezeichnet, die um die 15 Jahre alt ist.“ Damit kann Acid House gemeint sein, Techno oder auch HipHop. „Es ist die Wurzel von dem, was heute ist.“ Oldschool war die Popstunde Null, eine musikalische Explosion im Computerzeitalter – und ein schrilles Pfeifen im Ohr. Henry, der seit 14 Jahren in und außerhalb Hamburgs Techno- und Houseplatten auflegt, hat die Druckwellen gespürt, die die Explosion Mitte der achtziger Jahre ausgelöst hat.
Damals sah Henry im Fernsehen ein Video von MARSS‘ „Pump Up The Volume“ und war so begeistert von den Samples, den Stimmen und der Power des maschinellen Beats, dass er bald darauf in den Plattenladen ging, um sich ein Exemplar von „Pump Up The Volume“ zu kaufen. Anderen erging es offenbar ähnlich, denn im Plattenladen traf er Kalle Schultze alias DJ Dyce, einen begeisterten Sammler von Acid House-Platten. Die Musik wurde damals bereits in den Clubs gespielt. Auch wenn es die Bezeichnung Dancefloor noch gar nicht gab, existierte in Hamburg eine kleine Clubszene. In Läden wie dem Shack, dem Opera House, dem Theaterkeller und später dem Front wurde zu Oldschool-Platten getanzt.
Von heute aus erscheint es schwerlich vorstellbar, wie sich Tänzer zu den knochentrockenen Snare Drum-Wirbeln und jähen Keyboardriffs bewegten. Aber sie taten es und bejubelten Klaus Stockhausen, einen der ersten deutschen DJs, der House überhaupt im Mix spielte. Damals, erzählt Henry, seien Leute extra aus München angereist, um zu Stockhausens Mixen im Front zu feiern und zu tanzen. Anders als heute, hatten – wenn überhaupt – Clubs ein Identifikationspotenzial. Inzwischen ist es eher der DJ, der die Leute anzieht, weil er bestimmte Musik spielt.
Der Begriff Oldschool macht seit den Neunzigern immer wieder die Runde, und damit ist inzwischen nicht mehr nur die gute alte Zeit gemeint, sondern auch eine bestimmte, nämlich weltoffene Haltung. Es gibt heute sehr viel Musik, die sich auf die Oldschool bezieht, sie re-interpretiert oder ihre Fragmente zu Werken ausformuliert.
Wenn es um die wenig erforschten Ursprünge von Acid House geht, oder um die neuen Sounds, die sich auf die alten beziehen, ist Henry eine Schnittstelle. Glück für ihn, dass er seine Oldschool-Platten aufgehoben hat und – Glück für uns – dazu noch DJ Dyce, den geradezu fanatischen Acid House-Archivar gleich mit zum Auflegen überreden konnte. Wenn beide jetzt Oldschool spielen, geht es ihnen aber weder dogmatisch noch nostalgisch um Urtümlichkeit. Es geht auch nicht um den Wiedererkennungswert, sondern einfach um den Spaß an der Sache. Dafür, sowie für das obligatorische Pfeifen im Ohr, sollten dringend Trillerpfeifen mitgebracht werden ins Click.
Julian Weber
Sonnabend, 23 Uhr, Click (Nobistor 24)
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