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„In der Politik gibt es ja nur sehr wenig Liebe“

Während sich die Kirchenoberhäupter streiten, halten in Moskau die meisten Gläubigen beider Konfessionen den Konflikt für Haarspalterei

MOSKAU taz ■ Die Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis in Moskau macht ihrem Namen alle Ehre. Fast blütenweiß ist sie aus Ruinen auferstanden, 1999 frisch geweiht und neuerdings Sitz des katholischen Erzbischofs. Im Kellergeschoss herrscht reges Kommen und Gehen. Hier befindet sich das „Familienzentrum“, verwaltet von Gemeindesekretärin Larissa, einer schmalen Mittvierzigerin. Nein, sagt Larissa, bedroht fühle sich hier niemand von den Demonstrationen ultraorthodoxer Gläubiger vor dem Gotteshaus. Dennoch habe sich das Klima in der Gemeinde verändert: „Zu unseren Messen kommen immer viele mit orthodoxen Freunden. Früher haben die sogar an der Kommunion teilgenommen. Aber heute fordert unser Pfarrer sie auf, von dem Sakrament Abstand zu nehmen. Niemand soll uns vorwerfen, dass wir missionieren.“

Auf Abwerbung Gläubiger lautet der Hauptvorwurf des Moskauer Patriarchats gegen die katholische Kirche in Russland. Larissa findet das albern: „Ich selbst habe orthodoxe Wurzeln und achte diesen Glauben. Jeden Tag sehe ich, dass unsere Kirchen hier Probleme haben, die sie gemeinsam bewältigen könnten. Da ist vor allem die Armut, die viele Familien zerrüttet. Auch kämpfen wir täglich mit dem Unwissen der Menschen auf dem Gebiet der christlichen Ethik. Schließlich sind wir ja alle in einer glaubensfeindlichen Umgebung aufgewachsen.“

Auch Larissa wurde nicht christlich erzogen. Aber warum hat sie später ausgerechnet zum katholischen Glauben gefunden? Jedenfalls sei sie nicht missioniert worden, versichert Larissa. „Das hat wohl Gott so gewollt.“ Die Psychologin Natascha meint dazu: „Dem Geiste nach stünde den meisten russischen Katholiken die Orthodoxie eigentlich näher. Aber einige orthodoxe Geistliche sind ausgesprochen intolerant gegenüber anderen Konfessionen. Und so verstoßen sie gerade intellektuelle Gläubige.“

Natascha selbst praktiziert den orthodoxen Glauben, ihr Mann Alexander, ein Philosophiedozent, ist Katholik. Und was ist mit Sohn und Tochter? „Die haben wir unter uns aufgeteilt“, lacht Natascha: „Ich gehe mit Mascha in die orthodoxe Kirche und Aljoscha mit Wanja in die katholische. Und das klappt!“ In Nataschas und Alexanders Ehe gibt es nur einen Religionskonflikt, den beide eher komisch finden: Sie wenden unterschiedliche Fastenregeln an. Alexander: „Wenn Natascha schon fast einen Monat kein Fleisch mehr isst und ich welches verspeise, macht sie das traurig, und das wiederum verschlägt mir der Appetit.“ Alexander und Natascha haben in den Siebzigerjahren, als Studenten, in fast verschwörerischen christlichen Zirkeln zueinander gefunden. Dies verbindet sie mehr, als ihre Religionen sie trennen. Manchmal nehmen sie an Familienausflügen der katholischen Kirche in der Umgebung Moskaus teil.

Dorthin kommen auch rein orthodoxe Familien. Einige davon sind Mitglieder der als liberal geltenden Gemeinde von Vater Lapschin. Der empfängt uns in seiner nur einen Steinwurf vom Kreml entfernten Kirche in einem für einen Popen ungewöhnlichen Aufzug: sportliche Hose und kariertes Hemd. Er selbst fährt jährlich mit einer Gruppe von Gemeindemitgliedern in eine ökumenische Gemeinde nach Frankreich und hofft, dass dies auch so bleibt.

Was den aktuellen Kirchenkonflikt angeht, so hält Vater Lapschin die Gründung der vier katholischen Bistümer vom Februar diesen Jahres zwar für unangebracht. Aber „was sich derzeit da oben abspielt, geschieht ja bloß auf der Ebene der kirchlichen Politik. Auf das praktische Leben hat es vorerst Gott sei Dank keinen Einfluss. In der Politik gibt es ja nur sehr wenig Liebe.“ BARBARA KERNECK

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