: „Ich folge meiner Muse“
Es ist gesund, produktiv zu sein: Beck Hansen über sein neues Album „Sea Change“, den Charme schlechter und die Schönheit einfacher Songs und den notwendigen Austausch mit seinem Publikum
Interview MICHAEL TSCHERNEK
Herr Hansen, die düstere Nachdenklichkeit Ihres neuen Albums steht im starken Kontrast zu der extrovertierten Funk-, Sex- und Partystimmung des Vorgängers „Midnite Vultures“. Müssen Sie mit jedem Album eine musikalische Kehrtwende vollziehen?
Beck Hansen: Ehrlich gesagt: Mir ist im Moment danach, möglichst viele Alben aufzunehmen. Ich werde vielleicht sogar mehrere Alben pro Jahr erschaffen.
Warum?
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es für Musiker einfach gesünder ist, wenn sie etwas produktiver sind. Das hat den Vorteil, dass nicht jeder Ton gleich auf die Goldwaage gelegt wird. Die Rolling Stones haben früher mindestens ein Album pro Jahr veröffentlicht. Als sie 1969 bei „Let It Bleed“ angelangt waren, hatten sie bereits zehn oder elf Alben aufgenommen. Und da hatten sie doch gerade erst angefangen!
Bleibt in der Masse nicht die Qualität auf der Strecke?
Manchmal macht es einfach Spaß, einen miesen Song zu schreiben. So, wie es Spaß macht, ein schäbiges Paar Schuhe anzuziehen. Und manchmal musst du auch erst ein paar schlechte Songs schreiben, bevor es dir gelingt, einen guten zu schreiben.
Wann haben Sie Ihren letzten schlechten Song geschrieben?
Ich hatte neulich einen, der „Hollywood Nights“ heißt – ich habe den Produzenten, der den Song mitgeschnitten hat, beinahe aus dem Studio geschmissen (lacht). Außerdem habe ich vor ein paar Tagen bei einem Auftritt in Salt Lake City einen miesen Song gespielt. Dort wurde gerade ein neues Shopping Center eröffnet, und da habe ich kurzerhand einen Song über dieses Zentrum aus dem Ärmel geschüttelt.
Das dürfte den Leuten dort gefallen haben. Ist es Ihnen wichtig, auf diese Weise eine Verbindung zum Publikum aufzunehmen?
Meine Musik verändert sich, sobald die Leute sie hören. Sobald sie nach draußen in die Welt gelangt, wird sie zu einer anderen Sache. Für mich ist ein Album im Grunde unfertig, solange es die Leute nicht zu hören bekommen haben. Und ein Song, von dem ich vielleicht selbst nicht so sehr überzeugt bin, gewinnt, wenn ihn jemand anderes zu schätzen wusste.
Denken Sie beim Schreiben oft schon an Ihr Publikum?
Im Grunde kenne ich mein Publikum gar nicht, ich muss beim Schreiben einfach meinem Instinkt folgen. Wenn ich Musik schreibe, dann wird mein gesamter Körper, mein gesamtes Wesen von einem bestimmten Sound angesprochen. Es bleibt mir gewissermaßen gar keine andere Wahl, ich folge einfach meiner Muse.
Es genügt Ihnen aber nicht, nur allein für sich selbst Musik zu machen?
Nein, dann hat es einfach keine Bedeutung, dann bleibt es statisch. Es geht um den Austausch.
Die nachdenkliche Stimmung Ihres neuen Albums ist auch darauf zurückzuführen, dass es nach dem Ende einer langjährigen Beziehung (zu seiner Freundin Leigh Limon, d. Red.) entstanden ist …
… und die Hörer setzen das in ein Verhältnis zu ihren eigenen Erfahrungen. Aber ich kann diese Gefühle sehr gut nachvollziehen (lacht). Es geht in erster Linie um das uralte Thema der Emotionen: um Gefühle der Enttäuschung, des Verlusts, wenn einem von irgendetwas oder irgendjemandem das Herz gebrochen wird. Mein neues Album ist sicher nicht dazu gedacht, wachzurütteln. Es bietet vielmehr einen Ort der Entspannung.
Kennen Sie den Künstler Bill Viola?
Ja, Warum?
Nun, er macht diese Videoinstallationen. Er hat beispielsweise einen großen schwarzen Raum errichtet, in dem es Projektionen zu sehen gab von weiß gekleideten Menschen, die in Pools mit schwarzem Wasser fielen. Diese Bilder lässt er vollkommen verlangsamt ablaufen: Die Leute fallen nicht einfach nur ins Wasser, sondern treffen in Zeitlupe auf der Wasseroberfläche auf, und jede Blase, jeder Tropfen hebt sich nahezu schwerelos von ihnen ab. Man kann sogar beobachten, wie sich das Licht ganz langsam bewegt. Du fühlst dich fast so, als ob du dich noch in einer Fruchtblase aufhalten würdest.
Sie meinen, das sind Bilder, die zu Ihrem neuen Album passen würden?
Ja, ich mag diese Stimmung. Musik, die aufdringlich, laut, grell, spaßig und albern ist, habe ich bereits gemacht. Jetzt wollte ich einfach Musik machen, die dich auf andere Ebenen führen kann.
Was haben Sie als Nächstes vor?
Ich will unbedingt noch mal ein Album mit alten Bluessongs und traditionellen Songs aufnehmen. Als ich etwa 20 Jahre alt war, habe ich solche Songs gespielt, und da sind mir Leute begegnet, die mich gefragt haben, warum ich denn diesen Led-Zeppelin-Song spielen würde. Und ich musste ihnen erklären, dass es sich nicht um Led Zeppelin, sondern um Blind Willie McTell oder Skip James handelt (lacht).
Meine Generation hat gerade erst begonnen, diese Art von Musik zu würdigen. Aber ich halte es für nötig, dass diese Musik überlebt, denn sie ist einfach von einer Qualität, wie man sie heute nicht mehr findet. Im Verhältnis zu dieser reichhaltigen Musik von damals sehe ich im heutigen Angebot heute häufig nur eine gewaltige Leere.
Stücke von Hank Williams oder Skip James flechten Sie auch heute noch ins Programm ein. Warum?
Ich denke, dass mich die direkte Sprache und Einfachheit von Songwritern wie Hank Williams oder Hoagy Carmichael, die mit einfachen Worten so viel sagen konnten, zu meinen neuen Stücken inspiriert haben. Mein neues Album ist sehr prosaisch und wortwörtlich zu verstehen.
Aber ich liebe Coverversionen, grundsätzlich. Früher gingen doch aus jedem guten Song mindestens zehn verschiedene Versionen hervor: Da gab es eine Big-Band-Version, eine Jazz-Version, eine Pop-Vocal-Version, eine Rockabilly-Version.
Eine Mambo-Version.
Richtig, eine Mambo-Version (lacht). Das ist doch großartig, wenn so ein Song weit über den Autoren und ersten Interpreten hinauswächst. Ich würde mich freuen, wenn die Leute Songs von meinem neuen Album interpretieren würden. Ich sollte vielleicht ein Schild aufstellen: „Hier gibt’s neue Songs“ (lacht).
Beck: „Sea Change“ (Motor/Universal)
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