Zypern in der Krise: Das Brot und die Banken

Früher verkaufte sie Eis, jetzt wartet Jianna bei der Armenspeisung auf Brot. Wie in ein Land die Armut kriecht und nicht mehr fortzutreiben ist.

Banken ohne Kunden: Geldautomaten in Nikosia. Bild: ap/dpa

Nikosia taz | Zu normalen Zeiten ist der gepflasterte Platz vor der Kirche zur heiligen Barbara nicht sonderlich belebt. Ein paar Bewohner der kleinen, meist eingeschossigen alten Häuser gehen ihren Weg. Katzen streichen um die Mauern. Die gleißende Sonne wirft schwarze Schatten.

Doch die Zeiten sind nicht mehr normal in Nikosia auf der Insel Zypern.

Deshalb füllen sich zweimal wöchentlich am Nachmittag die steinernen Stufen, die zum Eingang des tiefer gelegenen Gemeindezentrums führen, mit Menschen. Erst sind es nur ein paar, dann kommen immer mehr. Wenn sich endlich die Tür öffnet, beginnt das Gerangel um die besten Plätze. Die Leute strecken ihre Hände weit nach vorne aus. Denn dort wird etwas Kostbares verteilt, das doch alltäglich ist: Brotlaibe.

Wirtschaftswunderland

Nur eine gute Viertelstunde ist verstrichen, dann zerstreut sich die Menge. Nicht alle haben einen der Kunststoffbeutel mit Broten ergattern können, die eine Bäckerei gestiftet hat. Jianna hat Glück gehabt. Die rundliche junge Frau mit langen schwarzen Haaren, gegen die Februarkälte mit einem lilafarbenen Pullover bekleidet, ist arbeitslos, so wie fast alle, die hier anstehen. Und so arm, wie es im wohlhabenden Zypern bis vor Kurzem noch völlig unvorstellbar war.

Es ist nämlich so, dass es unter den griechischen Zyprioten fast vierzig Jahre lang immer nur aufwärts gegangen ist. Erst ersetzte das Moped ein Fahrrad, dann kam der erste Kleinwagen, schließlich die Mittelklasse. Aus engen, gewundenen Hauptstraßen erwuchs eine sechsspurige Autobahn, die von der Hauptstadt Nikosia in Richtung Larnaka zum Meer führt.

Die Häuser waren einmal klein und schlecht verputzt, die Steine, geformt aus Stroh und Lehm, wusch der Winterregen mürbe. Die Petroleumöfen stanken im Winter, und Fleisch gab es vielleicht einmal pro Woche. Dann wurden die Häuser verputzt, ein Neubau mit Zentralheizung auf das ererbte Grundstück gesetzt. Zypern war Wirtschaftswunderland ohne messbare Arbeitslosigkeit.

Und jetzt das.

Jiannas Geschichte ist die vieler, die plötzlich nicht mehr können. Die 31-Jährige arbeitete erst in einer Kleiderfabrik, dann als Eisverkäuferin. Sie heiratete, bekam vier Kinder. Dann verschwand der Ehemann und ließ sie mit den Kindern allein. „Seit zwei Jahren bin ich jetzt arbeitslos“, berichtet Jianna, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Nach einem halben Jahr lief das Arbeitslosengeld aus. Jetzt erhält sie für sich und die vier Kinder im Alter zwischen 5 und 12 Jahren 720 Euro im Monat. Für alles.

Ihr Exmann hat eine neue Frau und mit ihr drei weitere Kinder, er zahlt nichts. „Ich war deshalb sogar bei der Polizei“, sagt sie. „Doch das ging nicht. Meine Tochter fragte mich, ob ich ihren Vater ins Gefängnis bringen will.“ Nur das kleine Häuschen in Kaimakli, einem Vorort von Nikosia, hat sie noch.

Die Menschen in Nikosia sind nicht auf Arbeitslosigkeit und Armut eingestellt. Zwar gibt es mehr Arbeitsämter als früher, aber trotzdem bilden sich vor dem Gebäude in der Museumsstraße Schlangen. Die Sozialhilfe ist reformiert worden, und offiziell dürfte es Frauen wie Jianna gar nicht geben. Es gibt sie aber, und täglich werden es mehr. Es existieren keine Selbsthilfegruppen, Sozialverbände sind unbekannt. Niemand hat Jianna richtig erklärt, dass sie ihre Hilfen neuerdings beim Finanzministerium beantragen muss.

Bank antwortet nicht

Die Einzigen, die den in Not Geratenen helfen, sind die Mitarbeiter der griechisch-orthodoxen Kirche – so wie die fünf Frauen an der Kirche der heiligen Barbara, die zweimal wöchentlich Brot austeilen. Moro Charalambidou, mit ihren angegrauten Haaren und der Hornbrille, ist nicht mehr ganz jung, so wie die anderen Helferinnen auch. „Vor zwei Jahren verteilten wir viermal im Jahr Lebensmittel an Bedürftige“, berichtet sie. „Heute kümmern wir uns um 90 Familien aus Kaimakli mit insgesamt 500 Menschen.“

Frau Charalambidou holt Listen hervor, in denen die Hilfsempfänger säuberlich verzeichnet sind mit Adresse, Telefon und Kinderzahl. Sie freut sich, lacht, wenn sie helfen kann. Doch dann sagt sie: „Jedes Mal, wenn ich von hier nach Hause gehe, fange ich an zu weinen.“

Wie konnte es nur dazu kommen?

Die Laiki Bank, am Eingang Nikosias gelegen, dort, wo die sechsspurige Autobahn beginnt, ist ein futuristisches Gebäude aus Glas, Stahl und Beton. Laiki, das heißt auf Griechisch Volk, doch wie bei einer Volksbank ging es hier nicht zu. Das kleine Zypern war den großen Bossen der Laiki Bank bald zu klein. Sie expandierte bis nach Russland, in die Ukraine, nach Australien. Sie kaufte kriselnde Banken in Griechenland.

Vor allem aber setzten ihre Manager, wie die anderer zypriotischer Banken, auf Staatsanleihen – ganz konservativ, nur unglücklicherweise bevorzugt auf solche aus Griechenland. Fragt man den Pressesprecher von Laiki, welche Fehler die Bank gemacht habe, erhält man keine Antwort, sondern die Bitte um die schriftliche Einreichung der Frage. Reicht man diese ein, kommt gar nichts mehr.

4,5 Milliarden Euro weg

Tatsache aber ist: Durch den griechischen Schuldenschnitt waren all die Staatspapiere an einem einzigen Tag im Oktober 2011 nur noch die Hälfte wert. So verschwanden 4,5 Milliarden Euro aus den Büchern, ohne die geringste Spur – rund ein Viertel des jährlichen Volkseinkommens der Insel. Danach wurde die Bank vorläufig vom Staat gerettet.

Doch jetzt hat auch der Staat kein Geld mehr, und die Banken benötigen neue Mittel. Die Republik Zypern hat im Juni vergangenen Jahres einen Rettungskredit bei der EU in Höhe von bis zu 17,5 Milliarden Euro beantragt.

Andreas Christou ist ein freundlicher Mann mittleren Alters im dunkelblauen Anzug. Er ist Arbeitsmarktspezialist beim Ministerium in Nikosia und kann nur wenig Hoffnung verbreiten. Natürlich habe man mit Arbeitsmarktmaßnahmen begonnen, sagt er, und wie hilfreich dabei die Kollegen aus Holland gewesen seien, die denen auf Zypern unter die Arme griffen. Doch das bringt alles nur wenig.

„Die Zahlen werden schlechter und schlechter. Es existieren kaum offene Stellen“, sagt Christou. Die Arbeitslosigkeit liegt inzwischen bei fast 15 Prozent und klettert weiter. Unter jungen Leuten beträgt sie 30 Prozent. Vor nur fünf Jahren, erinnert sich Andreas Christou im zweiten Stock des Arbeitsamts, waren es einmal lächerliche 3,8 Prozent.

Unsichtbare Armut

Viele von denen, die wie Jianna in die Armut rutschen, sind inzwischen ganz unsichtbar geworden. Bis vor Kurzem noch pendelten täglich rund 8.000 türkische Zyprioten aus dem Nordteil der Insel in den Süden, meist als Bauarbeiter und der höheren Löhne wegen. Inzwischen, sagt Andreas Christou, sind es nur noch 5.000.

Die Angst geht um, und das nicht nur bei den ganz Armen in Nikosia. Die Krise hat ein Karussell in Gang gesetzt, das sich immer schneller und schneller dreht. Die Kaufkraft sinkt, nicht nur bei Arbeitslosen, sondern bei ganz normalen Angestellten, denn Löhne und Gehälter werden gekappt. 300 Euro weniger im Monat sind keine Ausnahme, die nächste Kürzungsrunde steht bevor.

In der Haupteinkaufsmeile, der Makarios Avenue, stehen die Läden reihenweise leer. Im pompösen Einkaufstempel City Plaza sind die Rolltreppen abgeschaltet worden, weil in der zweiten, dritten und vierten Etage kein einziges Geschäft mehr betrieben wird. Die Buchhändlerin Ruth Keshishian muss ihr Geschäft nach 35 Jahren am selben Ort verkleinern, weil die Miete zu hoch geworden ist.

Noch nehmen die meisten Armen in Nikosia ihr Schicksal hin. Und sie schämen sich, so wie Panikos, dem die Tränen in den Augen stehen. Der 49-Jährige mit kurzen grauen Haaren ist zum Sitz des Erzbischofs gekommen, um Hilfe zu erbitten. „Ich bin schon lange arbeitslos, habe sieben Kinder, und meine Frau verdient nur 700 Euro im Monat“, sagt der Bauarbeiter. Panayiotis Panayiotou, der mit ihm auf der Straße diskutiert, hat die Armenspeisung der Diözese Nikosia unter sich. Monatlich verteilt er Grundnahrungsmittel wie Nudeln, H-Milch und Öl im Wert von 40.000 Euro.

800 Flehbriefe pro Monat

„Heute betreuen wir schon 1.600 Familien mit 10.000 Menschen allein in unserer Diözese“, berichtet er. „Jeden Monat werden es 50 bis 100 mehr.“ Vor gerade einmal zwei Jahren, sagt Panayiotou, seien 200 Flehbriefe im Monat bei der Diözese eingetroffen. „Jetzt sind es 800.“ Sie haben ein Lager mit zwei Räumen freigemacht, wo die Kartons und Tüten von den örtlichen Priestern abgeholt werden, die sie an die Bedürftigen in ihren Gemeinde verteilen.

Den Bauarbeiter Panikos, der auf der Straße steht, mit den Armen rudert und um Hilfe fleht, kann auch Panayiotou nicht unterstützen. Panikos präsentiert eine offene Stromrechnung über 1.700 Euro. Vor acht Tagen haben sie der Familie den Strom gekappt. Die Strompreise in Zypern sind seit der Explosion des wichtigsten Kraftwerks vor zwei Jahren mit die höchsten in Europa.

Der Mann will arbeiten und findet nichts. „Heute war ich bei der Dysi-Partei, die wollten mir nicht helfen. Jetzt bin ich hier. Die letzte Hoffnung ist hier bei Gott“, sagt Panikos. Panayiotou wird ihn zum zuständigen Metropoliten seiner Heimatgemeinde schicken. Mehr kann auch er nicht tun.

Und was wünscht sich Jianna aus Kaimakli, die Frau mit den vier Kindern, die zweimal in der Woche für kostenloses Brot ansteht? Sie sagt nur: „Dass es wieder so wie früher wird.“

Doch danach sieht es nicht aus in Nikosia auf Zypern.

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