Wirtschaft manipuliert Schüler: Vergiftete Nähe zur Erdgasindustrie
Unternehmen greifen mit Bildungskooperationen immer stärker in den Schulalltag ein. Am Weißwaschen der Frackingtechnologie sieht man die Folgen.
VERDN taz | „Wir bieten der RWE Dea keine Bühne!“, erklärt Detlev Lehmann. Man kann das Ausrufezeichen förmlich fühlen. Der Direktor des Domgymnasium in Verden (Niedersachsen) ist sehr bemüht, jeden noch so kleinen Verdacht der Einflussnahme von sich zu weisen. Der Kooperationspartner seiner Schule, RWE Dea, ist schwer in die Kritik geraten, weil er mithilfe des gefährlichen Frackingverfahrens in der Gegend nach Gas bohrt.
Es ist eine enge Verbindung zwischen Lehmanns Gymnasium und RWE, die sich sogar auf den Stundenplan auswirkt. Die Schule bietet ein Seminarfach zum Thema Energie an – und gibt dabei der Erdgas- und Erdölförderung besonders viel Raum.
Die Elft- und Zwölftklässler belegen „Energie“ als Wahlpflichtfach und bekommen dafür eine exklusive Besuchstour vermittelt: Sie sehen den Betrieb im Nachbardorf Völkersen, schauen einen Bohrplatz und die Konzernzentrale in Hamburg an und statten dem Erdölmuseum in Wietze einen Besuch ab.
Sogar die Physiklehrer wurden für die Zusammenarbeit extra geschult – bei Betriebspraktika in einem der Werke von RWE Dea. Die Mitarbeiter des Unternehmen erhalten exklusiven Zugang zu den Schulen: Sie wirken als Paten, die den Schülern bei ihrer Seminararbeit helfen, wenn diese zu Erdgas oder -öl schreiben.
Das alles lässt sich RWE Dea auch etwas kosten: 10.000 Euro fließen für die Energie- und Frackingwerbung in die Kasse des Domgymnasiums – als Sponsoring.
Das Verdener Domgymnasium ist kein Einzelfall. In der „Schulkooperation Erdöl/Erdgas“, die seit 2007 besteht, kooperieren nunmehr sechs niedersächsische Gymnasien mit den vier Unternehmen, die in Deutschland Erdgas und -öl fördern. Neben der RWE Dea sind es ExxonMobil, Wintershall und GDF Suez.
Wie das Domgymnasium liegen die Schulen in Sulingen, Lingen, Diepholz, Lohne und Vechta – allesamt Erdgasfördergebiete, die in der Nähe zu Betrieben der Firmen sind.
Initiiert hat das Ganze der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG). Großzügige Unterstützung lieferte die niedersächsische Staatskanzlei (sie wählte die Schulen aus) – und ein alter Bekannter: der damalige Ministerpräsident Christian Wulff.
Niedersachsen ist mit einem Anteil von über 90 Prozent das Zentrum der deutschen Erdgasförderung: Es profitiert von Förderabgaben in Höhe von bis zu einer Milliarde Euro jährlich.
Industrie ist erwünscht
Gerade die schwarz-gelbe Landesregierung Wulffs trieb die Öffnung der Schulen für Industriekooperationen voran. Schulen taten sich sich mit umstrittenen Branchen wie der Gentechnik und der Atomenergie zusammen. Beteiligt war – als didaktisch Begleiter – auch das Studienseminar Meppen: Es entwickelt zeitgleich mit RWE Unterrichtskonzepte für das Atomkraftwerk Emsland.
Erklärtes Ziel der Kooperation war die Nachwuchsgewinnung für eine Branche, über die in Deutschland wenig bekannt war. Und das, was bekannt war, sorgte nicht unbedingt für einen guten Ruf.
„Wir sind eine Branche, über die emotional diskutiert wird“, formuliert es der Organisator von der Erdgaslobby WEG, Hartmut Pick: „Das war schon immer so.“ Die Diskussion hat sich verschärft, seit das berüchtigte Fracking eingesetzt wird. Dabei werden Sand, Chemikalien und viel Wasser in gasführende Gesteinsschichten gepresst und gebrochen (gefrackt), um Gas freizusetzen.
Image aufbessern
Das Ziel der Schulkooperationen ist klar. Laut der eigenen Dokumentation will der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung dazu beitragen, die Reputation der Branche und die Akzeptanz vor Ort verbessern.
„Gerade die emotional geschürten Ängste, die ungenauen oder einseitigen Informationen, die in der Öffentlichkeit verbreitet sind, machen es erforderlich, dass Schülerinnen und Schüler genauere Einblicke in die wichtigen Fragen um den Energiemix der Zukunft erhalten“, schreibt das Studienseminar Meppen dazu.
Hartmut Pick erläutert es so: „In dem Moment, wo sich die Schüler mit der Branche beschäftigen, in die Betriebe gehen, sich Gedanken über einzelne Aspekte machen, trägt das automatisch zur Versachlichung bei. Und das steigert im Endeffekt auch die Reputation des Unternehmen und die Akzeptanz vor Ort.“
Ganz andere Erfahrung hat eine Bürgerinitiative in Völkersen gemacht. Sie gründete sich, als bekannt wurde, dass durch ungeeignete Rohre der RWE Dea krebserregendes Benzol in das Erdreich gelangt war.
Fragen bleiben unbeantwortet
„Je mehr wir uns mit der Arbeit der RWE Dea hier im Ort beschäftigen, desto mehr Fragen haben wir“, sagt Rainer Böttcher von der Initiative: „Wichtige Informationen werden uns aber vorenthalten.“ Eine Probe der schadhaften Rohre wurde nicht zur Verfügung gestellt. Neben der Kontamination beschäftigt sich die Bürgerinitiative auch mit möglichen Auswirkungen des Frackings in tieferen Gesteinsschichten.
Der Konflikt bewegt die Menschen vor Ort, er ist Dauerthema in den Lokalmedien. Das Domgymnasium freilich ignoriert die kritischen Aspekte des Frackings. „Dass wir jetzt diese Diskussion bei uns in der Schule führen müssen, das sehe ich nicht“, sagt Direktor Lehmann.
„Es gibt auch andere sehr brisante politische Themen, wie den Syrienkonflikt und das Kurdenproblem.“ Zudem sei der Kontakt zur Bürgerinitiative schwierig – aus politischen Gründen: „Wir sind ja zur absoluten politischen Neutralität verpflichtet.“
Die Nachbarschule des Domgymnasiums kennt diese Bedenken nicht. Die BBS Verden hat sowohl einen Vertreter der Bürgerinitiative als auch einen des Unternehmens eingeladen – damit sich die Schüler ein eigenes Bild machen können.
Schuldirektor als Lobbyist
Lehmann dagegen blockt nicht nur die Diskussion ab, sondern diskreditiert auch die Bürgerinitiative. Während die RWE Dea ein „Ansprechpartner mit Fachwissen“ sei, würden auf der Gegenseite „Fakten genommen, die eigentlich kein Beleg sind“. Irgendwie klingt der Schuldirektor Lehmann aus der niedersächsischen Kreisstadt Verden wie ein Lobbyist der deutschen Erdöl- und Erdgaswirtschaft.
Die Schule nimmt Rücksicht auf den Partner und befürchtet, dass die schlechte Presse auf sie zurückfallen könnte. Denn seit knapp sechs Jahren treten beide zusammen in der Öffentlichkeit auf und werben mit ihrer Kooperation. Das Unternehmen kann sich als transparentes und sozial verantwortliches Unternehmen präsentieren – und die Schule kann ihre praxisnahe Ausbildung betonen.
Im November 2008 war das Domgymnasium damit sogar im niedersächsischen Landtag vertreten, wo eine Ausstellung über die Kooperation präsentiert wurde.
Die 10.000 Euro, die RWE Dea jedes Jahr an die Schule überweist, sind für die Schule eine wichtige Einnahmequelle. Sie machen ungefähr ein Viertel des Gesamtetats für Material aus und ermöglichen den Kauf von Versuchsbaukästen und Notebooks. Alles Dinge, die die Schule sich ansonsten gar nicht leisten könnte.
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