Wahl in Niedersachsen: Hauchzart für Rot-Grün
Auf den letzten Metern wird klar: SPD und Grüne haben im kommenden niedersächsischen Landtag einen Sitz mehr als CDU und FDP.
![](https://taz.de/picture/175838/14/weil_wahlsieger_2001_01.jpg)
HANNOVER taz | „Schünemann ist arbeitslos, schalalala“, tönte es minutenlang aus vielen Kehlen auf der Grünen-Wahlparty. Es war ein später Triumph am Ende einer langen Wahlnacht in Hannover. Bis kurz vor elf dauerte es, bis klar war: SPD und Grüne haben die Landtagswahl gewonnen und können künftig Niedersachsen regieren.
Ministerpräsident David McAllister ist ebenso abgewählt, wie sein Innenminister Uwe Schünemann, der auch sein Landtagsmandat verliert. Dass es so spät wurde, liegt vor allem an der SPD, die nur magere 32,6 Prozent holte. Die Grünen dagegen legten mit 13,7 Prozent gegenüber 8 Prozent 2008 gewaltig zu.
Das reichte nach den letzten Hochrechnungen und unter Berücksichtigung für 69 Mandate, 49 für die Sozialdemokraten, 20 für die Grünen. Die CDU (36,2 Prozent, 54 Mandate) und die FDP (9,9 Prozent, 14 Mandate) kommen gemeinsam auf einen Sitz weniger. Die Piratenpartei und die Linkspartei scheiterten beide deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde.
Dabei hatte noch vor wenigen Wochen alles nach einem lockeren Sieg für Rot-Grün ausgesehen. Doch Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, eingeplant als Zugpferd für den Wahlkampf zwischen Harz und Nordsee, wurde zum Klotz am Bein. Spitzenkandidat Stephan Weil rutschte in seinem ersten Dank an die Genossen heraus: „Wir haben ja unter nicht ganz einfachen Bedingungen – insbesondere in den letzten Wochen – um Wählerstimmen gekämpft.“
Richtige „Bremsspuren“ hätten die Querelen um Steinbrück aber nicht hinterlassen. In den „Tagesthemen“ sagte Weil nach Bekanntwerden des Wahlergenisses: „Wenn wir heute abend verloren hätten, wäre das eine Niederlage von Peer Steinbrück gewesen. Jetzt soll es ein Sieg von Peer Steinbrück sein“
Die Grünen ließen schon früh keine Zweifel daran aufkommen, dass sie den Abend als Erfolg betrachten. „Wir feiern heute ein wunderbares Ergebnis“, rief Spitzenkandidat Stefan Wenzel seinen Parteifreunden euphorisch zu. „Ich bin stolz auf euch: Das ist das historisch beste Ergebnis, das die Grünen jemals in Niedersachsen erreicht haben“, kommentierte er die erste Hochrechnung.
Kritik an der schwächelnden SPD? Fehlanzeige. „Schwarz-Gelb hat deutlich verloren, Rot-Grün hat stark gewonnen, vor allem wegen der starken Grünen.“ Allenfalls am Rande, wo keine Mikrofone lauerten, äußerten sich die Grünen enttäuscht, dass der Vorsprung von Rot-Grün in den letzten Wochen dahingeschmolzen ist.
Bieder wirkender Parteisoldat
Die Ursachen: Der extrem kurze Wahlkampf von nicht einmal vier Wochen hat den Amtsinhaber David McAllister begünstigt, während SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil Mühe hatte, seinen Bekanntheitsgrad überhaupt über die 70-Prozent-Marke zu hieven. Er ist ein solider, etwas bieder wirkender Parteisoldat, weder jovial noch charismatisch, dem die Attacke wesensfremd ist.
Deutlich zu sehen war das im TV-Duell der beiden Spitzenkandidaten: Obwohl bekannt ist, dass McAllister konkreten Sachfragen gern ausweicht und unter Druck versteinert, wirkte Weils Kuschel-Auftritt wie eine Bewerbung um die Nebenrolle in einer großen Koalition.
Rot-Grün hat einen klassischen Lagerwahlkampf betrieben. Beide Parteien haben sich früh auf ein Bündnis festgelegt, obwohl der grüne Spitzenkandidat Stefan Wenzel als Freund eines Bündnisses mit der Union galt, mit dem er auf kommunaler Ebene schon viel Erfahrung hat.
SPD kam nicht aus der Deckung
Der SPD ist keine scharfe thematische Abgrenzung von der CDU gelungen. In vielen Fragen liegen die beiden großen Parteien nah beieinander. Und auf den echten Konfliktfeldern ist die SPD nicht richtig aus der Deckung gekommen: Sie hat es nicht geschafft, sich an die Spitze der Bewegung für mehr Gesamtschulen zu setzen, die die CDU aus ideologischen Gründen bekämpft. Im Streit über den von der CDU forcierten Ausbau der Agrarindustrie hat die SPD es fast ganz den Grünen überlassen, für eine ökologische Agrarwende zu werben.
Dafür hat Weil die Quittung bekommen: Er hat das zweitschlechteste Ergebnis der Niedersachsen-SPD nach den katastrophalen 30,3 Prozent geholt, mit denen Wolfgang Jüttner 2008 an Christian Wulff gescheitert war - und kann dennoch regieren.
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