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Verdi vor dem BundeskongressAusgelaugte Gewerkschaft

Die aktuelle Verdi-Führung gibt eine schlechte Figur ab – konzeptionslos und müde. Ein Neuanfang ist jedoch nicht in Sicht.

Steht seit 2001 an der Verdi-Spitze. Und braucht vielleicht mal ne Pause: Frank Bsirske. Foto: dpa

Berlin taz | Das Motto des kommenden Verdi-Bundeskongresses soll Optimismus verbreiten: „Stärke. Vielfalt. Zukunft.“ Ein Fall von Autosuggestion. Denn bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft läuft es derzeit alles andere als rund. „Stärke“ und „Zukunft“ gehören nicht gerade zu den naheliegendsten Begriffen, wenn es um die mit knapp 2,1 Millionen Mitgliedern immer noch zweitgrößte deutsche Gewerkschaft geht.

Um es deutlicher zu formulieren: Verdi befindet sich in einer veritablen Krise. Das Führungspersonal um den Dauervorsitzenden Frank Bsirske, der seit der Gründung von Verdi 2001 an der Spitze steht, und seine beiden StellvertreterInnen Andrea Kocsis und Frank Werneke wirkt konzeptionslos und ausgelaugt. Doch hoffnungsvolle Nachwuchskräfte, die an ihre Stelle treten könnten, sind nicht in Sicht. Alle drei müssen nicht mal mit einer Gegenkandidatur rechnen.

Dabei wäre es höchste Zeit für einen Neuanfang. Dafür spricht die dramatisch schlechte Figur, die die Verdi-Spitze zuletzt in gleich zwei zentralen Arbeitskämpfen abgegeben hat: im Tarifkonflikt im Sozial- und Erziehungsdienst und in der Auseinandersetzung bei der Post. Das Ergebnis war das gleiche. In beiden Fällen hat die Führung ihre Mitglieder in den unbefristeten Streik geführt – und ist dann jeweils zum völligen Unverständnis ihrer kämpferischeren Basis vor den Arbeitgebern eingeknickt.

Hinter vorgehaltener Hand heißt es, die Streikkosten seien dem Vorstand zu teuer geworden. Auf fast 100 Millionen Euro werden sie bei der Post und den Kitas bislang geschätzt. Jedenfalls hat Kocsis, die den Poststreik organisiert hatte, bis heute keine plausible Erklärung geliefert, warum sie einen Tarifabschluss unterschrieben hat, über den sich nur die Post-Aktionäre freuen konnten. Nicht einmal in die Schlichtung ist sie gegangen. Nach dem klaren Votum der Mitgliederbefragung wird im Sozial- und Erziehungsdienst die Verdi-Spitze jetzt mehr herausholen müssen. Ob ihr das gelingt?

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10 Kommentare

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  • Über den Artikel "Ausgelaugte Gewerkschaft" bin ich unangenehm berührt auch wegen seiner unsolidarischen Einordnung der Geschehnisse. Der Autor Beucker überzeugt mich nicht, wenn er in seiner Wahrnehmung bei der gegenwärtig wieder aufgenommenen Tarifauseinadersetzung im TVöD nicht gleichzeitig berichtet, das die dort Streikenden ... egal wie sie sich verhalten, nie "den Arbeitgeber" treffen, weil jeder gestreikte Tag Personalkostenersparnisse für "den Staat" bedeuten. Die kommunikative Seite dieser Tarifauseinandersetzung hat keine Gewerkschaft (unter den 3 konkurrierenden) besser bewältigt als Verdi. Bis zur Aufgabe des BAT war ein solcher Streit fast nicht denkbar ohne die Beteiligung der "Müllabfuhr" "die UNS immer die Kohlen aus dem Feuer" holte, weil sie am besten für die Öffentlichkeit dafür sorgen konnte, das es für die Beschäftigten nicht reicht .. um mithalten zu können. Jetzt dreht es sich sogar um weitergehende Ziele ... denn Anerkennung + Wertschätzung umfassen mehr als nur die (nahezu ausschließlich) kommunizierten Prozentränge.

    Die vor mir kommentierenden sind aber auf die Absichten von Herrn Beucker und seine (vermutlich beabsichtigte) Intention entsprechend eingegangen. Es wird von vielen Leuten gerne den lieben langen Tag auf die "unmöglichen Gewerkschaften mit ihren noch unmöglicheren Sekretären" rumgehackt. Keiner dieser KommentatorInnen läßt aber erkennen, was gewerkschaftliche "MACHT" im (scheinbar alternativlosen) Unternehmerstaat wie besser ausrichten kann.

    Ich bin dankbar dafür, das wir unsere innergewerkschaftliche Demokratie gewahrt haben und nun eine Tarifauseinandersetzung fortführen wollen, bei der h o f f e n t l i c h noch mehr herauskommt als es mit der Schlichtung angedeutet wurde .. und auch aus meiner Sicht bisher unzureichend ist.

    Unterstützt UNS ... und klagt nicht über gestrige Ereignisse!

    PM

  • Verdi hat es vor ein paar Jahren gewagt, Bänkern ein Angebot unter der Inflationsrate als Sieg zu verkaufen. Die Konzeptionslosigkeit hat also System -- zuleiden vor motivierter Basis und mittleren und unteren Gewerkschaftsbeschäftigten.

  • Gegen Windmühlenflügel kämpfen ist erlaubt, aber sinnvollerweise solche Windmühlen zu demontieren, ist streng verboten. Eine solche Struktur bezeichnet man als Gewerkschaft.

     

    Wo ist denn die Gewerkschaft, die massiv und vorrangig gegen den stetigen Abbau der Sozialsysteme, gegen die Zerschlagung der Rentensysteme und gegen den in HartzIV mit enthaltenden menschenverachtenden Unsinn kämpft? Denn genau das würde bewirken, daß sich die Lohnentwicklung praktisch als Nebenprodukt von selbst einpendelt!

  • Mit Hilfe von Streiks können Gewerkschaften Konzerne, die im Geld schwimmen, daran hindern, dass der ganze Reichtum unter die Vorstände und Aktionäre verteilt wird. Wenn der Streik dem Konzern genügend „weh tut“, dann wird er schon einlenken.

     

    Anders im öffentlichen Dienst.

    Staat, Länder und Gemeinden schwimmen eben nicht im Geld. Um die Forderungen zu erfüllen, müssten anderswo Löcher aufgerissen werden, und dann würden Andere aufschreien.

    Die Löhne zunehmend aus Krediten zu bezahlen geht auch nicht: Das hat Griechenland dorthin geführt, wo es heute steht.

    Und die Leidtragenden des Streiks sind nicht irgendwelche Vorstände und Aktionäre, sondern die normalen Bürger, die nichts in der Hand haben, um sich zu wehren.

     

    Es wird Zeit, dass sich kluge Leute Gedanken machen, wie Tarifkämpfe auf die Tarifparteien beschränkt werden können und die Lasten nicht auf unbeteiligte Dritte abgewälzt werden!

    • @Pfanni:

      Die öffentlichen Arbeitgeber schwimmen nicht im Geld, weil die Regierenden es nicht wagen, die Einnahmenseite zu erhöhen. Bei immer weiter steigenden Konzerngewinnen wird es Zeit, dass sich dass ändert. Dass hingegen die Beschäftigten einlenken sollen, um die verfehlte Steuerpolitik der Regierenden abzufedern geht in die falsche Richtung.

       

      Vielmehr sollte der Staat mit gutem Beispiel vorangehen und sinnvolle Arbeitsbedingungen anbieten.

      • @Arne Babenhauserheide:

        @Arne Babenhauserheide: Richtig ist, dass die Regierenden es nicht wagen, die Einnahmeseite der öffentlichen Haushalte zu erhöhen, also Steuern zu erhöhen.

         

        Nötig wäre das, möglich wäre es auch; eine seriöse Berechnung zeigt, dass die Regierung Schröder-Fischer die Steuern vor allem für die Besitzenden und Vermögenden um ca. 60 Mio. € reduziert haben.

         

        Nur, darauf hat eben Ver.di keinerlei Einfluss. Und deshalb wäre es wichtig, gerade im Bereich des Öffentlichen Dienstes vorbehaltlos und undogmatisch zu analysieren, welche Auswirkungen andere Arten von Arbeitskämpfen haben, um dann eine "passendere" zu finden. - Aber mit einer "ausgelaugten" Führung und in einer, wegen dem ständigen Verlust von Mitgliedern angstbesetzten Organisation ist dies kaum möglich. Zumal man sich bei Ver.di anscheinend gedanklich und in den internen Gesprächen und Diskussionen der Weltrevolution verschrieben hat, und die kleinste Abweichung davon als "Abweichlertum" und als "Verrat an der Arbeiterklasse" gebrandmarkt wird.

  • Ver.di und die anderen DGB-Gewerkschaften sind doch schon vor über 15 Jahren voll auf den neoliberalen Kurs eingeschwenkt und haben bislang noch alles aus dieser Ecke nach ein bisschen Verbalgeplänkel für die Mitglieder brav abgenickt.

  • Die Streikkasse ist bei ver.di sicherlich nicht so dick wie bei der IG Metall, aber es hätte schon gereicht.

     

    Aber eines ist klar: Hätte Bsirske diese Forderungen mit zäher und harter Hand ins Spiel gebracht, die Beziehungen und die Verhältnisse zum Staat, zu den Parteien und zu den kommunalen Arbeitgeberverbänden wären auf Jahre verdorben gewesen.

     

    Und davor hatte die Edeletage bei ver.di eben Angst. Aber eine Gewerkschaft muss bei einem Erzwingungsstreik einfach durchhalten. Alles andere ist e i n e Niederlage.

    Und danach sieht es aus. Wie viele Kollegen werden das nochmals mitmachen? Wie viele können das überhaupt? Wer hält diesen Stress aus?

     

    Wer den Streik bei den Kitas z.B. verfolgt hat, der hat Menschen mit befristeten Verträgen getroffen, die dabei waren. Die hatten auch Angst, die wurden teilweise auch unter Druck gesetzt ... aber das hat sie nicht vom Streik abgehalten.

     

    Also ich kann mir nicht helfen, aber diese Gewerkschaft sollte sich anders verhalten, schließlich gab's noch kurz vor Einberufung der Schlichtung kein einziges Signal von den öffentlichen Arbeitgebern für Verhandlungen, für irgendeine Einigung - nicht mal für eine 'normale' Schlichtung. Die Öffentlichkeitsarbeit von ver.di war absolut unterstes Niveau.

     

    Dabei wäre es schon damals drinnen gewesen, die Arbeitgeber auf eine Verhandlungslinie zu zwingen. Die Schlichtung wurde übrigens auch ganz bewusst von der Arbeitgeberseite instrumentalisiert und zerstört, weil sie eben gar nicht verhandeln wollten. Deswegen gab's ja den Erzwingungsstreik, der bei ver.di auf der Chefetage vom ersten Tag an, nicht geliebt wurde. Jetzt kann sich der Ver.di-Vorstand gar nichts mehr leisten, wenn's so weiter geht, wird es Konsequenzen haben.

    • @Andreas_2020:

      Hat mal jemand gefragt, ob das Absicht war - ob die Führung bei verdi darauf abzielt, die Streikbereitschaft abzubauen und damit asozialen Änderungen den Weg zu ebnen?

      • @Arne Babenhauserheide:

        Das ist übers Ziel geschossen, aber ver.di kennt die öffentlichen Arbeitgeber in ihrer Basis-Essenz.

         

        Und deren Kernmarken sind recht einfach zu berechnen:

        SPD + CDU + CSU + FDP + Grüne = Niedrige Löhne, Gehorsam, Unterordnung und längere Arbeitszeiten, stärkere Belastung pro Stunde, pro Arbeitskraft.

         

        Und mit so einer Position kommen dann Kompromisse heraus, die eben keine mehr sind, weil sie das ja auch gar nicht sein sollen.