Urteil in Hamburg: Richter fordern bessere Luft
Das Verwaltungsgericht gibt einer Klage statt und fordert von Hamburg Maßnahmen für bessere Luftqualität. Die EU droht mit hohen Geldstrafen.
HAMBURG taz | Hamburg muss mehr für die Luftverbesserung unternehmen. Das Verwaltungsgericht gab am Donnerstag der Klage der Umweltorganisation BUND und eines Bürgers statt. Die Stadt sei verpflichtet, „in den Luftreinhalteplan Maßnahmen aufzunehmen, die zu einer möglichst schnellen Einhaltung des Grenzwertes für Stickstoffdioxid führen sollen“.
Eine konkrete Vorgabe wie zum Beispiel die Einführung einer Umweltzone machte das Gericht nicht, die Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht wurde zugelassen. „Das ist ein guter Tag für die Lebensqualität in Hamburg“, freute sich dennoch der Landesgeschäftsführer des BUND, Manfred Braasch.
Seit 2010 verstößt Hamburg gegen die EU-Grenzwerte für die Schadstoffbelastung in der Atemluft, nach Berechnungen des BUND seien mehr als 200.000 HamburgerInnen davon betroffen. Stickstoffdioxid gilt als Auslöser für Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislauf-Krankheiten.
Für etwa drei Viertel dieser Emissionen ist unstrittig der Autoverkehr verantwortlich. Auch die Rechtsvertreter der Stadt räumten bei der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht am Mittwoch ein, dass an vier Luftmessstellen in der Stadt die Grenzwerte permanent um bis zu 50 Prozent überschritten werden. Jedoch sei der Trend rückläufig, nach 2020 könnten die Grenzwerte möglicherweise eingehalten werden. Andere und rascher wirksame Maßnahmen, um die Luftqualität umgehend zu verbessern, seien „unverhältnismäßig“.
Der Hamburger Luftreinhalteplan trat Ende Dezember 2012 in Kraft. Die wesentlichen Maßnahmen:
Ausbau von U- und S-Bahnlinien, Busbeschleunigungsprogramm, Verkehrsverstetigung/adaptive Netzsteuerung, Mobilitätsmanagement, Verbesserung der Parkraumbewirtschaftung.
Marktdurchdringung von emissionsarmen und emissionsfreien Antrieben (E-Mobilität, Wasserstoff- und Hybridfahrzeuge).
Verminderung der Emissionen des Schiffsverkehrs durch Landstrom und emissionsärmere Schiffsantriebe.
Umweltzonen, Stadtbahn, Tempo-Limits
Das aber dauert dem BUND und dem privaten Kläger aus Altona zu lange. Sie wollen Hamburg zwingen, zügig weitere Maßnahmen einzuleiten, so Braasch. Hamburg gehe es wie vielen anderen Städten in Europa.
Andernorts aber sei „ein breiter Instrumentenmix“ aus Umweltzonen, Stadtbahn, Tempo-Limits oder Förderung des Radverkehrs angewendet worden. Hamburg habe „nicht alles getan, was getan werden kann und muss“, kritisierte Braasch.
In der Verhandlung hatte der Vorsitzende Richter Claus von Schlieffen darauf hingewiesen, dass nach seiner Auffassung die Überschreitung von Grenzwerten „so kurz und gering wie möglich gehalten werden“ müsse. Ob der Plan des Hamburger SPD-Senats, nach 2025 mit dem Bau einer neuen U-Bahn zu beginnen, diesem Anspruch genüge, sei zweifelhaft. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes müssten entsprechende Maßnahmen „rasch wirksam und zielgerichtet“ sein. Welche das im Einzelnen seien, lässt das Gericht vorerst offen. Die schriftliche Urteilsbegründung liegt erst in einigen Wochen vor.
Der Gerichtsbeschluss sei „die Quittung für jahrelanges Nichtstun der SPD im Umwelt- und Klimaschutz“, kommentierte der grüne Fraktionsvorsitzende in der Bürgerschaft, Jens Kerstan. Der Senat müsse „die Gesundheit von Tausenden HamburgerInnen endlich ernst nehmen“. CDU und FDP warnten hingegen vor „grünen Anti-Autofahrer-Schnellschüssen“.
Sie kündigten übereinstimmend an, „Umweltzone, City-Maut oder Tempolimits nicht mitzutragen“. Senatssprecher Christoph Holstein erklärte schmallippig, weitere Optionen zur Verbesserung der Luft wären nicht von Hamburg, sondern nur auf Bundes- und EU-Ebene umzusetzen. Deshalb werde die Stadt Berufung einlegen.
Bis Anfang Dezember allerdings muss Hamburg der EU-Generaldirektion Umwelt mitgeteilt haben, welche zusätzlichen Maßnahmen geplant oder bereits ergriffen wurden, um den Verpflichtungen zur Luftreinhaltung nachzukommen. Dies hatte die EU im September angemahnt und Strafzahlungen in Millionenhöhe angedroht – für jeden Tag des Nichtstuns.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren