Unterschätzte weibliche Neonazis: Deutsch, weiblich, militant
Zwanzig Prozent der Neonazis sind Frauen. Häufig werden sie übersehen und unterschätzt. Ihr unpolitisches Fremdbild nutzen sie bewusst aus.
"Die Nazi-Braut galt als heißer Feger", schrieb die Bild-Zeitung in diesen Tagen über Beate Zschäpe - ganz so, als ob jene Frau, die sich Anfang der 90er Jahre der militanten rechtsextremen Szene anschloss, keine politische Überzeugungstäterin sei.
"In den Medien erscheint Beate Zschäpe als Mitläuferin oder Liebespartnerin der anderen beiden Tätern", sagt Rena Kenzo vom Forschungsnetzwerk "Frauen und Rechtextremismus". So würde in der Berichterstattung oft vernachlässigt, dass Zschäpe die Garage mietete, in der 1998 das "Sprengstofflabor" gefunden wurde.
Dabei ist Zschäpe alles andere als ein Einzelfall in der rechtsextremen Szene. In den vergangenen Jahren erfuhren sowohl die NPD wie die Freien Kameradschaften oder die Autonomen Nationalisten erheblich Zulauf von Mädchen und Frauen. Jeder fünfte Neonazi ist weiblich - Tendenz steigend.
Eine von ihnen war die heute 22-jährige Anna. In Thüringen wirkte sie in der gewalttätigen Kameradschaftsszene mit. "Die NPD war mir zu lasch", erzählt sie der taz. "Ich war auch an militanten Aktionen dabei, habe eine Polizisten bei einem Aufmarsch angegriffen." Strafrechtlich verfolgt wurde sie nie.
Kenzo überrascht das nicht: Selbst wenn eine Rechtsextremistin an einem Tatort aufgegriffen würde, würden Medien wie Strafverfolgungsstellen sie oft nicht als Täterin einstufen. In den Statistiken der Landeskriminalämter hält sich denn auch im Bereich der "Kriminalität von rechts" der Anteil der Frauen konstant zwischen 5 und 10 Prozent.
Klischee "dumpfe Nazis" aufweichen
Michaela Köttig, Professorin an der Fachhochschule Frankfurt am Main, schätzt nicht nur die tatsächliche Zahl der rechtsextremen Straftäter für höher als in der offiziellen Statistik ausgewiesen, sie meint auch, dass der Beteiligung der Frauen höher liege. Die Rolle der Frauen bei Gewalt- und Straftaten werde heruntergespielt, weil man das nicht sehen wolle. "Wir können das ja jetzt live erleben", ergänzt Kenzo.
Dieses Bild der unpolitischen Frau mache rechtsextreme Frauen auf doppelter Weise unsichtbar, ist Köttig überzeugt: "Frauen haben nach dieser Logik zum einen keine politische Überzeugung und wenn, dann sind sie keinesfalls so gewalttätig wie männliche Rechtsextremisten." Auch der Verfassungsschutz würde die Aktivitäten der rechten Frauen kaum wahrnehmen - im Fall von Zschäpe mit tödlichen Folgen.
Die falsche Einschätzung nutzen Mädchen und Frauen der Szene bewusst aus: Wenn sie nett und freundlich im unverdächtigen Chic Räume für Veranstaltungen anmieten, bei Anti-rechts-Veranstaltungen Besucher fotografieren oder bei Informationsständen Passanten ansprechen und Flugblätter verteilen. Die sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Gitta Schüßler sagt offen: "Wir wollen die Frauen ermutigen, durch die Übernahme von Mandaten das Medienklischee des ,dumpfen Nazis' weiter aufzuweichen."
Das Beispiel Zschäpe zeige, dass rechtsextreme Frauen mitnichten nur am Kuchenstand der NPD zu finden seien, sagt Kenzo. Und Köttig betont: "Die Verharmlosung spiegelt nicht nur sexistische Stereotype wider, sie verharmlost auch die rassistisch und antisemitisch motivierten Taten selbst."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag