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Umstrittenes Tierwohllabel1 Quadratmeter für 100 Kilo Tier

Erstmals gibt der Landwirtschaftsminister Details zum „Tierwohllabel“ bekannt. Manche Tierschutzverbände unterstützen es nicht mehr.

Nein, Schweinchen, soviel schöner wird es nicht mit dem neuen Siegel Foto: dpa

Berlin taz | Das geplante staatliche „Tierwohllabel“ für Fleisch soll nach dem Wunsch von ­Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) vor allem mehr Platz im Stall garantieren. Das sieht sein Entwurf der Kriterien für die Schweinehaltung vor.

Anders als private Siegel soll das Label durch ein Gesetz geregelt werden und deshalb glaubwürdiger sein. Erklärtes Ziel ist, dass mehr Verbraucher als bisher durch ihre Kaufentscheidung zu einer besseren Tierhaltung beitragen.

Ein Fortschritt ist nach Schmidts Plan, dass Schweine je nach Gewicht 14 bis 33 Prozent mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben bekommen sollen. Ein 100 Kilogramm schweres Tier könnte dann auf 1 Quadratmeter leben. Das soll für die Einstiegsstufe des Labels gelten. Die „Premiumstufe“ verlangt 70 bis 100 Prozent mehr Platz und teilweise Auslauf im Freien.

Sauen dürfen weiter in den Käfig

Eingeschränkt werden soll die Haltung von Sauen in Kastenständen. Das sind Metallkäfige, die so eng sind, dass sich die Tiere nur schwer hinlegen können. Laut Agrarministerium dürfen Sauen dort derzeit für 28 Tage nach der Besamung eingesperrt werden. Die Einstiegsstufe des Labels soll lediglich 4 Tage erlauben. Doch vor und nach der Geburt der Ferkel dürfte die Sau doch wieder wochenlang in den Käfig gesperrt werden, damit sie keinen ihrer Nachkommen erdrückt.

Gesäugt werden sollen die Ferkel in der Eingangsstufe mindestens 4, in der Premiumstufe 5 Wochen. Derzeit seien nur 3 Wochen die Regel, schreibt das Ministerium. Männliche Ferkel werden meist kastriert, damit ihr Fleisch später nicht unangenehm riecht. Schmidts Siegelkriterien erlauben das Abschneiden der Hoden nur noch mit Betäubung. Das ist ab 2019 in Deutschland gesetzlicher Standard. Das Label soll aber auch verbieten, ohne Narkose kastrierte Ferkel aus dem Ausland zu halten.

In der Eingangsstufe dürfte den Tieren weiterhin einen Teil des Schwanzes amputiert werden, damit sie sich nicht gegenseitig verletzen. Einzige Bedingung: „Labelbetriebe müssen den Einstieg in den Ausstieg dokumentieren.“ Nur die Premiumstufe verbietet das sogenannte Schwanzkupieren.

„Betrug für Mensch und Tier“

„Schwanzkürzen, Schweinehaltung auf Beton ohne Einstreu und die wochenlange Fixierung von Sauen im Kastenstand sind in der Einstiegsstufe des Labels weiterhin erlaubt … Das ist Betrug für Mensch und Tier“, kritisierte Denise Schmidt, Kampagnenleiterin des Tierschutzverbands Vier Pfoten, der wie ProVieh seinen Austritt aus Schmidts Label-Arbeitsgruppe erklärte.

Der Deutsche Tierschutzbund teilte mit, er könne das Siegel „aktuell“ nicht unterstützen. Viele Tierschützer werfen Schmidt vor, er habe in seiner bisher dreijährigen Amtszeit versäumt, sich für wesentlich strengere Haltungsvorschriften einzusetzen, die für alle Tiere gelten würden.

Sowohl der Bauernverband als auch der grüne Agrarpolitiker Friedrich Ostendorff bezweifelten, dass der von Schmidt erwartete Preisaufschlag in Höhe von 20 Prozent reichen wird. Ungewiss ist auch, ob das Label überhaupt Gesetz wird. Selbst Schmidt behauptet nicht, dass der Bundestag bereits in dieser Legislaturperiode zustimmen werde. Und Ostendorff hält es für unwahrscheinlich, dass Schmidt nach der Wahl noch im Amt sein wird.

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9 Kommentare

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  • Dieses ganze heuchlerische Gerede über Tierwohl aus dem Munde von Massen- Fleisch - und Tierproduktessern ist kaum noch auszuhalten. Mir kommen manchmal nur noch die Tränen.

    Mit diesen gigantischen Mengen an Fleisch und Kuhbabymilch, die die Konsumenten gedankenlos von morgens bis abends in sich reinstopfen und kippen ist nicht mal an ein Mindestmaß an Tierwohl zu denken. Da können wurstliebende Politiker, Verbände und Konsumenten noch so gutgläubig reden.

    Ein wenig mehr Platz für ein gefangengehaltenes Tier ist allerhöchstens ein Fünkchen weniger bestialische Tierquälerei.

    Es ist ein Verbrechen was wir den Tieren antun. Menschen, wacht endlich auf ! man kann das nicht schönreden. Ein Verbrechen muß gestoppt werden. Und das geht einzig und allein nur mit Tierproduktverzicht. Je mehr desto besser, am Besten der Totalverzicht.

  • Die Haltung von Sauen im Ferkelschutzkorb während der Säugezeit ist eine Abwägung zwischen der Bewegungsfreiheit der Sau und dem Wohlergehen der Ferkel. So werden die Ferkel vor den Erdrücken und Knochenbrüchen geschützt. Tierwohl gilt auch für Ferkel. Ferkel aus Haltungen ohne Ferkelschutzkorb erkennt man noch als Mastschwein am Schlachthof, da sie deutlich sichtbare mehr oder weniger gut abgeheilte Knochenbrüche (Rippenbrüche) haben. Ich stelle es mir nicht sonderlich schön vor, wenn ich als Ferkel mit Rippenbrüchen leben muss, die zum Teil in den Brustkorb hineinragen und die Lungenfunktion beeinträchtigen.

  • Das Problem ist doch nicht dieses oder jenes Siegel, sondern das Einkaufverhalten der Bundesbürger. Der Rest regelt sich dann schon von selbst, aber es geht eben nicht zum Nulltarif.

  • Anders als suggeriert, geht es bei der Konzeption dieses Siegels überhaupt nicht um bessere Information des Verbrauchers, sondern um das exakte Gegenteil. Es wird nur noch ein weiteres Siegel in den Dschungel geworfen, damit der Verbraucher noch weniger durch sieht.

     

    Aufgabe der Politik aber, ist es nicht Siegel immer neu zu erfinden, sondern klare und dem Tierwohl entsprechende Richtlinien zu erlassen.

     

    Was Verbraucher- und Qualitätssiegel angeht, sollten diese nur erlaubt sein, wo der gesetzliche Standard deutlich überschritten wird. Das ganze kann man gerne Stufen auf 50% (bronze), 100%(silber) oder 200%+(gold). Für alles andere darunter sollten das führen von Qualitätssiegeln verboten werden.

  • Das solch ein Label nur Augenwischerei ist, war doch zu erwarten. So sollen nur die vielen Leute, die zu Vegetariern geworden sind, wieder zum Fleischkauf angeregt werden. Tierwohl an sich hat damit eher nichts zu tun. Das Tier ist weiterhin nur eine Sache, es existiert einzig zu dem Zweck der Gewinnerzielung. -- Aber das dürfte sehr schnell nach hinten losgehen. Warum wohl essen immer mehr Menschen kein Fleisch mehr? Genau - sie haben angefangen nachzudenken. (Mich selbst eingeschlossen). Braucht der Mensch denn wirklich Berge von Leichenteilen, um zu überleben? Eher nicht. Das ist inzwischen erwiesen. Der einzige Weg zu mehr Tierwohl ist eben der weitgehende Verzicht auf Fleisch, besonders auf Billigfleisch. Die meist ...bildungsfernen Trotz-Fleischesser werden schon noch merken, dass sie damit nicht unbedingt besser fahren. So ist es ja auch beim Rauchen gelaufen.

  • Seit Einführung des EG-Biosiegels geht es nur noch darum, Siegel zu schaffen, die den großen Playern, bzw den koventionellen Schurkenkonzernen, den Zugang zum Biosortiment zu ermöglichen. Auch wenn's hier kein Biolabel ist, ist's doch der selbe Mechanismus.

  • 8G
    80537 (Profil gelöscht)

    Das einzige was wirklich hilft, ist der konsequente Boykott dieser Haltungsformen. Und das nicht nur für das Tierwohl sondern generell für das Überleben der Menschheit und die Gesundheit des einzelnen Konsumenten. Eines der Hauptprobleme diesen Planetes ist der übertriebene Fleischkonsum.

     

    Der Veggieday war der falsche Ansatz. Ein Fleischtag wäre besser gewesen und in der grünen Tradition auch angemessener. Wer aber schon auf einen Veggieday zurückweicht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er komplett überrollt wird.

  • Die Tierwohl Standards liegen eindeutig über den gesetzlichen Standards. Das die aber so niedrig sind hat direkt etwas mit CDU Agrarpolitik zu tun. Seidem die modernen Tierhaltung erstmals Mitte/Ende der 1970er Jahre in die Kritik geraten ist steht die CDU und der Bauernverband konsequent auf der Bremse. Es hat zwar Verbesserungen (keine Dunkelställe mehr, ständiger Zugang zu Tränkewasser, normierte Stallböden, bessere Lüftung/Heizung) gegeben aber da wo wir heute sind hätten wir schon vor 20 Jahren sein können.

  • Diese Kostenfanatiker und Wirtschaftsliberalen reden immer nur über die Produktionskosten (die sind natürlich immer zu hoch...), aber niemals über die Kosten der Subvention, wenn der Überschuss abgebaut werden muß. Es wäre für die EU gar kein Problem, alle Tiere frei auf der Weide laufen zu lassen und Garantiepreise für die Bauern festzulegen. Selbst dann würde noch Überschuss entstehen. Die Preiserhöhungen wären aufgrund Wegfall der Subventionen äußert moderat. Man sollte schliesslich nicht vergessen, dass das Hühnchen momentan für einen Gewinn von 8,2cent sein Leben lassen muss. Was hat das denn mit Tierwohl zu tun?