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Thüringer Ausschuss präsentiert NSU-Bericht„Katastrophale Aktenführung“

Das Gutachten des Ausschusses zum NSU-Terrortrio kommt zu einem vernichtenden Urteil. Handwerkliche Fehler und Konkurrenz zwischen Behörden verhinderten die Festnahme.

Die Mitglieder der NSU-Zelle – hier auf einem Urlaubsfoto, das das BKA veröffentlicht hat. Sie entkamen den Behörden, weil sich diese in einem regelrechten Wettbewerb befanden. Bild: dapd

DRESDEN taz | Bei der Fahndung nach dem aus Jena stammenden rechten Terrortrio hat es in Thüringen gravierende Pannen gegeben. Das bestätigte der am Dienstag vorgestellte Abschlussbericht der vor einem halben Jahr von der Landesregierung eingesetzten Untersuchungskommission. Ohne diese Versäumnisse wären zumindest die Chancen für eine Ergreifung der späteren Mörder größer gewesen, sagte der Vorsitzende Gerhard Schäfer, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof.

Das Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe war am 26. Januar 1998 untergetaucht. Für eine Analyse des Behördenverhaltens im Zeitraum 1998 bis 2001 wertete die Kommission etwa 50 Aktenordner aus und hörte mehr als 40 Zeugen an. Im Ergebnis stellte die dreiköpfige Kommission nun sowohl strukturelle Probleme als auch fragwürdiges persönliches Verhalten fest. So sprach Schäfer von einer „katastrophalen Aktenführung“. „Es hat offenbar einen Wettbewerb zwischen Landeskriminalamt und Verfassungsschutz gegeben, des Trios habhaft zu werden“, resümierte Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU).

Im Einzelnen rügt die Schäfer-Kommission bereits eine erste fehlgeschlagene Garagendurchsuchung in Jena vom Januar 1998. Das Trio war durch abgelegte Bombenattrappen und eine sprengfähige Bombe am Theaterhaus Jena ins Visier der Fahnder geraten. Hier seien „handwerkliche Fehler“ gemacht worden, sagte der Kommissionsvorsitzende. Observationen und öffentliche Aufrufe in der „Kripo live“-Sendung des MDR blieben ebenso erfolglos wie eine halbherzige Zielfahndung.

Die Quellen des Verfassungsschutzes informierten sehr detailliert über Geldnot des Trios und ihre Versuche, an Waffen und Ausweispapiere zu gelangen. Eine Auswertung dieser Angaben aber erfolgte praktisch nicht, geschweige denn eine Abstimmung mit dem Thüringer LKA. Es gebe jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Mitglieder des Trios direkt mit dem Landesamt für Verfassungsschutz zusammenarbeiteten, betonte Schäfer.

Als eine erste Konsequenz soll Schäfer im Auftrag von Innenminister Geibert nun auch die aktuellen Zustände im Verfassungsschutz analysieren. Die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden müsse verbessert werden. In der kommenden Woche wollen CDU und SPD ein neues Verfassungsschutzgesetz vorstellen, dass solche Informationspflichten festschreibt und die Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission erweitert.

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10 Kommentare

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  • WG
    Wulkens Gabi

    PS, @ ich:

     

    "Mit welchem Zweck ? Welcher Bedarf ? Die Ermordung von Kleingewerbetreibende ?"

     

    Man sieht, dass Sie meinen ersten Beitrag ja nicht einmal richtig gelesen haben. Grüße noch!

  • WG
    Wulkens Gabi

    Lieber @ich,

     

    Ockham's razor ist zweischneidig: Wenn der VfS denen falsche Pässe und (mindestens) zehntausende Mark zuschanzt; wenn die bei jedem polizeilichen Zugriff wunderbarerweise kurz vorher verschwunden waren, als ob sie gewarnt worden wären; und wenn die Frau Zschärpe (oder wie sie heißt) von der Staatsanwaltschaft mit Samthandschuhen angefasst wird, so dass sie mit ihrem Schweigen größtenteils durchkommt (während RAF-Terroristen noch nach Jahrzehnten mit immer neuen Anschuldigungen re-inhaftiert werden) - dann ist es doch ganz klar, wohin Ockhams Klinge hier schneidet.

     

    Und wenn Sie wissen wollen, wofür sich unser Inlandsgeheimdienst solche Leute bereithält: das weiß ich nicht - das weiß heute noch niemand, und vermutlich werden wir es auch nie erfahren, selbst wenn ähnliche Gruppen ihren Zweck irgendwann mal erfolgreich erfüllt haben werden.

     

    Aber dieselbe Frage hätten Sie auch 1984 schon stellen können, ehe Felice Casson und andere begonnen haben, Gladio aufzudecken. In den 90ern wurde die von Ihnen gestellte Frage dutzendfach für Dutzende ähnlich gelagerter Affären in ganz Europa beantwortet, und selbst die NATO musste ihre Verstrickung mit der rechtsterroristischen Szene zugeben (wenn auch recht verschwurbelt und apologetisch). Den Wikipedia-Link dazu habe ich ja gegeben, da können Sie alles selber nachlesen. Ist alles umfangreich und größtenteils auch seriös dokumentiert.

     

    Und was die Presse und die politische Klasse angeht: ich denke tatsächlich, dass da an den wichtigen Schaltstellen - dort, wo die ganze Sache untersucht wird - dass dort "gedeckt" wird, wie sie es formulieren. Aber insgesamt geht es beim heutigen "opinion engineering" eher darum, einfach nur mitzuspielen und nicht mit "extremen" Deutungen aus der Reihe des Mainstream-Deutungsmodells zu tanzen, weil man sonst schnell mal als "Verschwörungstheoretiker" dasteht und einem die Seriosität abgesprochen wird. Zumal sich die Presse in den letzten Jahrzehnten ohnehin immer mehr zur bloßen Echokammer einer politischen Klasse entwickelt hat, die ihrerseits nicht mehr wirklich dem demokratischen Gemeinwohl dient, sondern sich Partikularinteressen andient.

     

    Wir leben heute in einem anderen Europa als noch vor 20, 30 Jahren. Wäre es in den 80ern schon so gewesen wie in unserer heutigen Postdemokratie, dann wäre Gladio schon damals nicht aufgeflogen. Gladio 2.0 wird auch weiterhin unter dem Radar bleiben, und wir werden auch weiterhin (und auch in anderen, ähnlichen Fällen, die noch kommen werden) mit dem an die Medien weitergefütterten Interpretationsstrang "Schlamperei" und "böse NPD" abgespeist werden - kein Zweifel.

     

    Wenn man das Ganze zusammennimmt, dann wird jeder, der die Nase da auch nur eine Minute lang reinhält, den Gestank wahrnehmen, der aus dieser Affäre aufsteigt. Ihre Nase riecht das vielleicht nicht, aber ich erlaube mir auch weiterhin, auf meine Wahrnehmung hinzuweisen. Wie heißt es doch in der Werbung:

     

    "Ich bin doch nicht blöd."

  • IP
    Ingeborg Poensgen

    Ihren Kommentar hier eingeben

    Ich frage mich, auf Grund welcher Feststellungen Herr Schaefer zu dem Schluss

    kommt, die beiden Behoerden hätten bei dem Versuch der Festnahme des Trios

    miteinander gewetteifert. Will er aus der katastrophalen Aktenlage diesen Schluss ziehen? Oder versucht er nicht vielmehr, hier etwas zu beschoenigen? Wenigstens

    etwas Positives wie "Wettbewerb" zu diagnostizieren? Ein kleines Verwirrspielchen,

    oder? Bei der Lage der Dinge war ja die Idee mit dem "Konkurrenzverhalten" wohl

    der einzige Entschuldigungsgrund, der sich (er-) finden liess.

  • IP
    Ingeborg Poensgen

    Ihren Kommentar hier eingeben

    Ich frage mich, auf Grund welcher Feststellungen Herr Schaefer zu dem Schluss

    kommt, die beiden Behoerden hätten bei dem Versuch der Festnahme des Trios

    miteinander gewetteifert. Will er aus der katastrophalen Aktenlage diesen Schluss ziehen? Oder versucht er nicht vielmehr, hier etwas zu beschoenigen? Wenigstens

    etwas Positives wie "Wettbewerb" zu diagnostizieren? Ein kleines Verwirrspielchen,

    oder? Bei der Lage der Dinge war ja die Idee mit dem "Konkurrenzverhalten" wohl

    der einzige Entschuldigungsgrund, der sich (er-) finden liess.

  • R
    Roewer

    Überall nachzulesen ist das die Täter bei der fehlgeschlagene Garagendurchsuchung in Jena vom Januar 1998 vom Verfassungsschutz vor der Polizei gewarnt worden sind das unwiedersprochen hier verniedlichend von „handwerkliche Fehler“ geschrieben wird ohen darauf hinzuweisen grenzt an Mittäterschaft der TAZ für zukünftige 'systematische Verfehlungen' des VS.

    Guten Morgen

  • Z
    zombie1969

    Pannen sind in der Tat massenweise zu beklagen. Besonders die ganz grosse Panne dass durchschnittlich jeden Tag ein Einheimischer von einem Zugewanderten umgebracht wird. Pannen, wahrlich tagtäglich!

  • EE
    Empört Euch!

    Staatsterror Schweine!

    Und dann die Mittel zum Kampf gegen den Rechtsradikalismus kürzen!

  • I
    ich

    "das waren Leute fürs Grobe ...bei Bedarf bedienen"

    Mit welchem Zweck ? Welcher Bedarf ? Die Ermordung von Kleingewerbetreibende ?

     

    Das "Untersuchungsausschußmanöver" gedeckt vom gesamten Politapparat und sämtlichen Medien ? Und der kompletten internationalen Presse btw. ?

     

    "Herr Richter"

    Liebe @Gabi, es wird keinen Prozeß geben. Allerdings aus anderen Gründen als Sie vermuten (werden). Versuchen Sie es doch einfach mal mit *Ockhams Rasiermesser".

  • K
    Karl

    Tatsächlich ergeben sich erhebliche Verdachtsmomente, dass diese Außendarstellung nur "Volksberuhigung" darstellt.

     

    Es wird die wohlfeile Ausrede der Schlampigkeit gebraucht, was ja sicher nicht dem Kenntnisstand vieler Leser entspricht....; zu anderen Sachverhalten wird nie etwas "vergessen" oder "verschlampt"....

     

    Glück auf!

     

    Karl

  • WG
    Wulkens Gabi

    "Der Bericht entkräfte aber zugleich Spekulationen, wonach die Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe von staatlicher Seite gedeckt worden seien."

     

    Die Erzählweise "Da ist zwar was passiert, war aber nicht böswillig, sondern nur unsere Dusseligkeit" ist angesichts der (aktenkundigen) Tatsachenlage noch die freundlichste Sichtweise auf das, was da passiert ist. Das äußerste Zugeständnis, das man von einem "unabhängigen" Bericht eines Gremiums von Apparatschiks und staatlichen Honoratioren erwarten konnte. Und genau das wird sicher auch das Endergebnis bei diesem ganzen Untersuchungsausschuss-Manöver werden.

     

    "Herr Richter: ich habe die zwar mit falschen Ausweisen versehen, mit mindestens einem von denen Kontakt gehalten und dem Trio (mindestens!) fünfstellige Geldbeträge zukommen lassen [und noch einiges mehr!]. Soweit zu dem, was Sie mir nachweisen können und ich hier zugeben musste.

     

    Aber das war alles nur ein Versehen und ein Fehler, keine böse Absicht. Sorry!"

     

    Und gut isses - das Vertrauen in den Staat ist gerettet, Gott sei Dank. Hier aber mal eine respektable andere Meinung - zwar noch aus den ersten Tagen des Skandals, kann aber noch heute so stehenbleiben:

     

    https://www.taz.de/!82387/

     

    Dieses Trio, das waren Leute fürs Grobe, die sich unser Inlandsgeheimdienst bis auf weiteres bereithalten wollte - Leute, deren man sich bei Bedarf bedienen, und von denen man sich zur Not dann auch ohne weiteres distanzieren kann.

     

    Richtig praktisch, und außerdem eine bewährte Praxis unter Europas Schlapphüten ( https://de.wikipedia.org/wiki/Gladio - immer irgendwelche Nazis und Neo-Faschisten!). Nur, dass die unter diesem Schutzmäntelchen dann eben ihr eigenes Hobby betrieben und den Bogen dabei ein bisschen überspannt haben.

     

    Was übrigens nicht erklärt, warum bei mindestens einem dieser "Milieu-Morde" auch ein Verfassungsschutz-Mensch mit im Laden war. Mir darauf einen Reim zu machen, will ich gar nicht erst versuchen. Wer in all dem nur eine "Verschwörungstheorie" sehen will, hat jetzt ja ohnehin schon genug gelesen.

     

    Hier übrigens noch eine andere Perspektive der Interpretation: https://de.wikipedia.org/wiki/Strategie_der_Spannung