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Streit um FluggastdatenGegen Rasterfahndung am Himmel

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte reicht Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung ein. Der Europäische Gerichtshof soll darüber entscheiden.

Gespeichert wird immer Foto: dpa

Freiburg taz | Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) will mit sechs Musterklagen die seit 2017 geltende Vorratsdatenspeicherung für Fluggastdaten zu Fall bringen. Vor allem der Abgleich mit ominösen „Mustern“ berge die Gefahr von Falschverdächtigungen.

Der italienische Datenschützer Emilio De Capitani, ein pensionierter EU-Beamter, will im November von Brüssel zu einem Arbeitstreffen nach Berlin fliegen. Per Unterlassungsklage will er nun dem Bundeskriminalamt (BKA) verbieten, die Daten, die bei diesem Flug anfallen, fünf Jahre lang zu speichern, wie es gesetzlich vorgesehen ist: „Ich sehe nicht ein, warum es erforderlich sein soll, von einem unbescholtenen Bürger wie mir über Jahre bei einer Polizeibehörde meine Telefonnummer, meine E-Mail-Adresse, meine Gepäckangaben, meine Zahlungsinformationen, ‚allgemeine Hinweise‘ und viele weitere Daten zu speichern und zu verarbeiten.“

Ähnliche Klagen haben die Kolumnistin Kübra Gümüsay, die Anwältin Franziska Nedelmann, GFF-Generalsekretär Malte Spitz, die niederländische GroenLinks-Abgeordnete Kathalijne Buitenweg und der österreichische Netz-Aktivist Alexander Sander eingereicht. Teilweise wenden sie sich auch gegen die Datenweitergabe durch Fluggesellschaften.

De Capitanis Klage geht zunächst an das Verwaltungsgericht Wiesbaden. Ziel ist aber eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der schon mehrfach die anlasslose Massenüberwachung der gesamten Bevölkerung wegen Verletzung des EU-Grundrechts auf Privatsphäre beanstandet hat.

Die GFF will mit diesen konzertierten Klagen die EU-Fluggastdaten-Richtlinie von 2016 und das deutsche Fluggastdaten-Gesetz von 2017 kippen. Danach werden pro Fluggast bis zu 19 Datengruppen erfasst und gespeichert: zum Beispiel Reiseziel, Reisepartner, Telefon, E-Mail, Kontodaten. Die Daten werden fünf Jahre lang gespeichert. Nach sechs Monaten werden die Daten zwar „depersonalisiert“, können aber jederzeit wieder „repersonalisiert“ werden.

Fluggastdaten sollen für spätere Ermittlungen vorrätig sein

Die EU-Richtlinie erfasst alle Flüge in die EU oder aus der EU heraus. Das deutsche Gesetz geht aber noch weit darüber hinaus und erfasst auch alle Flüge zwischen den EU-Staaten. Statt 65 Millionen Passagieren sind so 170 Millionen Fluggäste pro Jahr erfasst. Nur bei rein innerstaatlichen Flügen sollen die Passagier-daten nicht gespeichert werden.

Die neue Massendatenspeicherung dient nicht nur der Terrorbekämpfung, sondern zielt auch auf sonstige „schwere Kriminalität“. Dazu zählen Korruption, Beihilfe zur illegalen Einreise sowie jede Form des Drogenhandels. Dabei sollen die Fluggastdaten mit Fahndungsdateien abgeglichen werden und auch für spätere Ermittlungen vorrätig bleiben.

Das BKA soll aber auch Personen „identifizieren, die den Sicherheitsbehörden noch nicht bekannt waren und die mit einer terroristischen Straftat oder einer Straftat der schweren Kriminalität in Zusammenhang stehen könnten“, so die Gesetzesbegründung. Dies soll gelingen, in dem die gespeicherten Fluggastdaten mit sogenannten Mustern kriminellen Verhaltens abgeglichen werden.

Wer zum Beispiel die gleichen Reiserouten nutzt wie Drogenkuriere und sich auch sonst wie ein Drogenkurier verhält, muss mit einer „individuellen Überprüfung“ rechnen. Die Bundesregierung schätzt, dass nur 0,1 Prozent der Fluggäste betroffen sein werden. Bei 170 Millionen gespeicherten Fluggästen pro Jahr sind das 170.000 Personen.

So weit das deutsche Gesetz über die EU-Richtlinie hinausgeht, kommt laut GFF auch eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht in Betracht. Bei der Speicherung von Intra-EU-Flügen müsste dann das deutsche Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geprüft werden.

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