Russland und die Krim: „Zum Schutz unserer Bürger“
Fast sechs Jahre nach seinem Krieg gegen Georgien hat Russland erstmals wieder den Einmarsch in einen souveränen Staat erlaubt.
MOSKAU dpa | Im tief schwarzen Kleid verkündet Moskaus Föderationschefin Valentina Matwijenko, dass russische Soldaten nun in der Ukraine einmarschieren können. Zwar hat Kremlchef Wladimir Putin den Marschbefehl noch nicht unterschrieben. Er hat aber jetzt die offizielle Erlaubnis, Streitkräfte auf der von Spannungen erschütterten Halbinsel Krim einzusetzen. Begründung: Der Schutz russischer Bürger und der dort stationierten Schwarzmeerflotte.
Es ist das erste Mal seit dem Südkaukasuskrieg 2008 gegen Georgien, dass das Riesenreich einen solchen Schritt erlaubt. Damals schützten die Russen Bürger in der von Georgien abtrünnigen Region Südossetien vor einem Angriff der Ex-Sowjetrepublik. Und es ist Matwijenko, die diesmal die geopolitische Dimension verdeutlicht: Russland lässt sich von den USA gar nichts verbieten.
Die treue Gefährtin Putins schimpft über US-Präsident Barack Obamas Worte, dass Russland einen solchen Militäreinsatz werde teuer bezahlen müssen. „Das ist keine Achtung unseres Volkes“, betont sie. Schon zuvor hatte die Frau, die ihren Namen von ihrem ukrainischen Ehemann hat, in einem Interview betont, dass schon viel russisches Blut für die Krim geflossen sei.
Als Matwjienko nun spricht, ist die schon zu Zeiten von Sowjetdiktator Josef Stalin gespielte Melodie der Nationalhymne im Föderationsrat gerade verklungen. Faschisten und Extremisten seien in der Ukraine an die Macht gekommen und zwar mit Hilfe der USA und anderer westlicher Länder, tönen die Senatoren des Oberhauses vor, während und nach der Sitzung, die das Staatsfernsehen übertrug.
Und die Politiker lassen keinen Zweifel daran, dass ihre einstimmige Entscheidung für einen Einmarsch russischer Soldaten auf der Krim vor allem abschrecken soll. Abschrecken, sich mit Russland anzulegen und hier vielleicht als nächstes einen gewaltsamen Machtwechsel zu unterstützen.
Janukowitschs Hoffnung
Der in der Ukraine vor einer Woche gestürzte Präsident Viktor Janukowitsch unterstützt in seinem russischen Exil den Entschluss der Russen. Und er hofft darauf, als Staatschef in die Ukraine zurückkehren zu können. Doch die Ex-Sowjetrepublik, ein für die EU wichtiges Transitland für russische Gaslieferungen, dürfte schon bald nicht mehr dieselbe Ukraine wie vor dem Machtwechsel sein. Davon sind die Machthaber in Moskau überzeugt.
Die Konfrontation mit dem Westen im Streit um die Ukraine hat ihre bisher höchste Eskalationsstufe erreicht. Die Erlaubnis bezieht sich zwar ausdrücklich auf einen Militäreinsatz zum Schutz russischer Bürger auf ukrainischem Territorium. Ausdrücklich um Hilfe gebeten hat aber bisher nur die russisch geprägte Halbinsel Krim. Der neue moskautreue Krim-Regierungschef Sergej Aksjonow befürchtet, dass im Auftrag der neuen Regierung in Kiew Übergriffe auf die russische Bevölkerung zunehmen könnten.
Viele Russen halten die Krim auch 60 Jahre nach der Übergabe an die Ukraine weiter für ihr Territorium. Dass Kremlchef Nikita Chruschtschow die Halbinsel 1954 einfach seiner Heimat zuschanzte, sieht die große Mehrheit der Menschen in Putins Reich als Ungerechtigkeit. Verbreitet ist daher in Moskau die Meinung von einer „historischen Chance“, sich das Gebiet nun zurückzuholen.
Und nicht wenige Russen meinen angesichts der sich überstürzenden Ereignisse, dass sogar die russischsprachigen Gebiete im Osten und Süden der Ukraine sich abspalten und wieder an Russland fallen könnten. Um Schutz ersucht haben sie beim Kreml aber bisher nicht.
Ukraine vor dem Staatsbankrott
Föderationsratschefin Matwijenko und viele andere Senatoren rechtfertigen ihren Entschluss. Sie wollen die ukrainischen Brüder und Schwestern retten vor dem Untergang. Es werde auch „humanitäre und finanzielle Hilfe“ geben für Krim-Bewohner, von denen viele keine Renten und Löhne mehr erhielten, sagt Matwijenko.
Die Ukraine selbst steht vor dem Staatsbankrott und gilt nach Monaten eines Machtkampfes mit mehr als 80 Toten und Hunderten Verletzten als geschwächt bis auf die Knochen. Die vom Westen intensiv unterstützte Absetzung von Staatschef Janukowitsch löste von Anfang an tiefste Empörung in Moskau aus. Führende russische Politiker verglichen das Vorgehen mit revolutionären Umbrüchen in der arabischen Welt.
Dabei hatte Putin stets deutlich gemacht, dass er gewaltsame Machtwechsel wie etwa in Libyen, in Ägypten oder im Irak ablehne. Auch im syrischen Bürgerkrieg hält er bis heute am umstrittenen Machthaber Baschar al-Assad fest.
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