Nach dem Volksentscheid: Parlament folgt Volk
Bürgerschaft streitet darüber, wie die Energienetze zurückgekauft werden sollen. Die Opposition ist misstrauisch.
Der Volksentscheid über die vollständige Rekommunalisierung der Energienetze gilt – darüber sind sich die fünf Fraktionen in der Hamburgischen Bürgerschaft einig. Über die Umsetzung indes gibt es keinen Konsens. Die Befürchtung von Links wie Rechts: Senat und SPD würden den Konzernen Vattenfall und E.on weit überhöhte Preise zahlen, um das Problem rasch vom Tisch zu bekommen. Die Zeche müsse dann der Steuerzahler begleichen, kritisierten CDU, Grüne und Linke am Mittwoch in der Bürgerschaft.
Allerdings wurde in letzter Minute ein möglicher Kompromiss skizziert: Die Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) wird alle Fraktionen und auch die Initiative „Unser Hamburg - Unser Netz“ zu einem Runden Tisch einladen. Dort soll „ein einvernehmlicher und transparenter Prozess zur Umsetzung des Volksentscheids vereinbart werden“. Dazu gehört auch die gemeinsame Auswahl von ExpertInnen für Anhörungen im Umwelt- und im Haushaltsausschuss. „Damit ist uns die Angst weitgehend genommen worden“, sagte die Fraktionschefin der Linken, Dora Heyenn, warnte aber zugleich: „Wir bleiben wachsam.“
In Trotz-Haltung indes bleibt vor allem die CDU. „Die Energiepolitik des Senats ist gescheitert“, konstatierte CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich. Er müsse nach der Niederlage nun das Gegenteil dessen tun, wofür er gekämpft habe. Das führe, sagte Wersich, zu Rechtsunsicherheit, zum Aufschub von Investitionen und zur Verunsicherung der Beschäftigten in den jetzigen Betreibergesellschaften. Im Ergebnis drohe „Energiechaos statt Energiewende“.
Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) versuchte die Wogen zu glätten. Er werde „zügig“ mit Vattenfall und E.on darüber sprechen, ob die Unternehmen ihre drei Viertel an den Netzgesellschaften an die Stadt verkaufen wollen. Wenn nicht, würden die Ende 2011 geschlossenen Verträge rückabgewickelt. Im dann anstehenden neuen Vergabeverfahren werde die Stadt mit einer eigenen Betreibergesellschaft „die beste Bewerbung aller Konkurrenten vorlegen, die so gut ist, dass keine Behörde sie ablehnen kann“.
Ebenso wie der Erste Bürgermeister sagte auch SPD-Fraktionschef Andreas Dressel der Opposition ein transparentes Verfahren und eine „zeitnahe und angemessene parlamentarische Beratung ausdrücklich zu“. Hinter verschlossenen Türen werde „nichts besprochen – außer Verhandlungsdetails, welche eventuelle Mitbewerber nicht erfahren sollten“.
Volksentscheide sind laut Hamburger Verfassung verbindlich. Sie müssen von Senat und Bürgerschaft umgesetzt werden:
Das Votum: Beim Volksentscheid über die Energienetze am Sonntag stimmten 443.538 HamburgerInnen (50,9 Prozent) für die vollständige Rekommunalisierung der Netze für Strom, Gas und Fernwärme. 428.343 Menschen (49,1 Prozent) stimmten dagegen.
Das Verfahren: Hamburg kann mit Vattenfall und Eon verhandeln, die Netzanlagen zu einem angemessenen Preis zu kaufen. Der Preis kann von Bundesnetzagentur, Bundeskartellamt und Gerichten überprüft werden.
Die Konzessionen: Die Konzessionen für Strom und Fernwärme laufen Ende 2014 aus, die für das Gasnetz ist zu Ende 2016 kündbar. Die Stadt muss die Neuvergabe europaweit ausschreiben und ein transparentes und diskriminierungsfreies Vergabeverfahren durchführen.
Für diese Form der Zusammenarbeit sagten daraufhin auch die Grünen und Die Linke ihre Unterstützung zu – immer mit dem warnenden Unterton, Senat und SPD genauestens auf die Finger schauen zu wollen. Das soll nach den Herbstferien ab Mitte Oktober im Haushalts- und im Umweltausschuss geschehen.
Auch die Initiative „Unser Hamburg - Unser Netz“ forderte eine Einbindung der Öffentlichkeit. Der Kaufpreis müsse transparent ermittelt werden: „Der Preis muss stimmen“, sagte Manfred Braasch von der Netzinitiative und versicherte: „Wir sind gesprächsbereit.“
Letztlich sagte auch die FDP, welche die Rekommunalisierung als Vollverstaatlichung ablehnt, ihre Mitarbeit „aus Respekt vor dem Volk“ zu. Allerdings müsse die Volksgesetzgebung „fortentwickelt werden“, forderte Fraktionschefin Katja Suding. Die Netzinitiative habe suggeriert, dass ein Netzrückkauf ganz einfach möglich wäre, was aber nicht stimme. Deshalb müssten bei künftigen Volksentscheiden „klarere Formulierungen“ zur Abstimmung gestellt werden.
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