NSA überwacht US-Mails und Telefone: Eine gigantische Schnüffelei
Inzwischen ist die „Guardian“-Recherche bestätigt: Mit dem Überwachungsprogramms Prism beobachtet die US-Regierung die Kommunikation ihrer BürgerInnen.
WASHINGTON taz | Ausgerechnet während Barack Obama den chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Kalifornien trifft, wo er die chinesische Cyber-Spionage in den USA kritisieren will, kommt heraus, dass die US-Regierung selbst der größte Schnüffler ist: Mithilfe des bislang geheimen Überwachungsprogramms Prism beobachtet sie die elektronische Kommunikation ihrer BürgerInnen auf mindestens neun großen Internetunternehmen - darunter Google, Microsoft, Skype und Apple. Das hat ein Whistleblower enthüllt. Bereits am Tag zuvor war herausgekommen, dass die Telefongesellschaft Verizon zig Millionen Telefondaten an den Geheimdienst NSA übermittelt.
Während einige Bürgerrechtsgruppen gegen die Schnüffelei protestieren, rechtfertigt die Obama-Regierung sie. Und der Geheimdienst reagiert mit Flucht nach vorn - und einer Drohung gegen den Whistleblower, der die Informationen an die Medien weitergegeben hat. Chefspion James Clapper, Direktor der National Intelligence, verurteilt die Veröffentlichung - und benutzt das in solchen Fällen übliche Argument: "Die Weitergabe der Informationen ist verwerflich und bringt bedeutende Risiken für die Sicherheit der Amerikaner."
Zugleich verteidigt sich Clapper gegen den Vorwurf, er habe den Senat belogen. Im März war er dort gefragt worden: "Geht die NSA durch jede Art von Daten von hunderten von Millionen von Amerikanern?" Und hatte geantwortet: "No, Sir." Jetzt interpretiert Clapper sich selbst so: "Ich habe gesagt, dass die NSA nicht voyeuristisch durch E-Mails geht. Dazu stehe ich."
Ob voyeuristisch oder nicht: Fest steht, dass die Schnüffelei gigantische Ausmaße hat. Den Anstoß zu den neuen Enthüllungen gab nicht etwa eine US-amerikanische Zeitung, sondern der britische Guardian. Dessen Autor Glenn Greenwald hat am Dienstag veröffentlicht, dass Verizon systematisch Daten über alle seine KundInnen an die NSA weitergibt - darunter die Nummer, mit der telefoniert wurde, sowie Datum und Dauer der Gespräche.
Regierung bestätigt die Recherche
Anonyme Regierungsstellen in Washington haben inzwischen die Guardian-Recherche bestätigt. Die Telefondatensammlung läuft seit vergangenem November. Die dabei weitergegebenen Daten enthalten nicht die Inhalte der Telefongespräche. Allerdings hat in diesem Frühjahr ein Mitarbeiter der CIA in einem Interview mit dem Fernsehsender CNN bestätigt, dass die Telefongesellschaften die Inhalte aller Gespräche aufzeichnen, abspeichern und jederzeit vorlegen können. Details wollte er nicht bekannt geben.
Am Freitag liefert der Guardian - dieses Mal zusammen mit der Washington Post - einen zweiten Skandal, der weit über den ersten hinausgeht: Danach benutzt die NSA ein Programm namens "PRISM/US-984XN", mit dem sie Agentur-Mitschnitte von Gesprächen, Fotos, Videos und Live-Chats von mindestens neun großen Internetunternehmen direkt auf den Severn der Unternehmen abholen kann. Prism existiert seit 2007. Ursprünglich war es unter Präsident George W. Bush bewilligt worden - doch unter Obama wurde die Genehmigung erneuert. Noch im selben Jahr stieg Microsoft ein, Yahoo folgte 2008, Google, Facebook und Pal-Talk 2009, YouTube 2010, Skype und AOL 2011 und Apple im Herbst 2012. Mit jedem neuen Unternehmen ging die zusätzliche Datenmenge für das NSA rasant in die Höhe.
Der Guardian veröffentlicht Ausschnitte aus einer Power-Point-Demonstration, mit der NSA-Beschäftigte für die Arbeit mit Prism ausgebildet werden. Mithilfe eines Kontext-Menüs können sie entscheiden, was mit Mails, Chats, Videos, Fotos usw. passiert. Prism ist ein immer wichtigeres Instrument der NSA: Laut Washington Post ist es die Quelle mindestens jeder siebten Geheimdienstinformationen.
Nach Bekanntwerden des Skandals wollten SenatorInnen am Donnerstag von Justizminister Eric Holder wissen, ob auch ihre Telefonleitungen kontrolliert worden sind. Holder antwortete weder mit Ja noch mit Nein. Sondern schlug vor, das Thema in einem "angemessenen Rahmen" zu besprechen. Will sagen: geheim. In einem Interview mit dem Fernsehsender MSNBC beklagt ein Senator aus Maine, dass ein Whistleblower nötig war, um von dem Programm zu erfahren. "Es macht mich nervös, dass die NSA all diese Telefondaten hat", sagt Angus King. Die Demokratin Jane Harman bestätigt, dass die zuständigen Komitees über die Terrorismus-Überwachung "regelmäßig gebrieft" worden seien - verlangt aber jetzt eine "größere Debatte".
Nach Informationen von US-Journalisten hat die Person, die Prism enthüllt hat, die "unerträgliche Verletzung des Privatlebens" als Motiv angegeben. Auf die Suche nach dem Whistleblower dürften sich gegenwärtig viele in Washington konzentrieren. Verantwortliche verschiedener Internetunternehmen erklärten, dass sie nichts von Prism wussten. Das Weiße Haus bestätigte und rechtfertigte die Schnüffelei dagegen. Laut erstem Direktor für nationale Geheimdienste, Dennis C. Blair, hat es bei Obamas Amtsantritt "wenig Diskussionen" über den Fortgang der unter Bush begonnenen Telefon- und Internetüberwachung gegeben.
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