NGO-Mitarbeiterin über Russland: „Man nimmt uns als Bedrohung wahr“
Das Vorstandsmitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial, Swetlana Gannuschkina, über die Folgen staatlicher Kontrolle uns was sie vom Westen erwartet.
taz: Frau Gannuschkina, haben Sie die Überprüfungen erwartet?
Swetlana Gannuschkina: Ja, ist doch Memorial eine von elf Organisationen, die sich an den Europäischen Menschengerichtshof gewendet haben mit der Forderung, uns als potenzielle Opfer des sogenannten Gesetzes zu ausländischen Agenten anzuerkennen. Gleichzeitig sind wir als eine der führenden Menschenrechtsorganisation schon lange im Blickfeld der Behörden.
Wie sind diese Überprüfungen abgelaufen?
Die Behörden sagen, diese Überprüfungen seien vorab geplant. Das sind ja schöne Pläne: Im ganzen Land werden innerhalb eines Monats viele Nichtregierungsorganisationen von diesen Kontrolleuren, die wie Überfallkommandos auftreten, aufgesucht. Eine konstruktive Zusammenarbeit von Behörden und NGOs sieht anders aus.
Was bedeuten diese Überprüfungen für Memorial?
Dem Staat gefällt nicht, dass wir so leben und handeln, wie wir es für richtig halten, und dass wir mit unserer Arbeit Einfluss auf die Gesellschaft und die Machthaber nehmen. Offensichtlich nimmt man uns als Bedrohung wahr. Die Machthaber registrieren die wachsende Unzufriedenheit in der Gesellschaft und versuchen, uns für die Missstände verantwortlich zu machen. Unser Ansehen leidet unter diesen Überprüfungen. Viele nehmen uns nun als seltsame Organisation wahr, in der Hausdurchsuchungen stattfinden, die ihr Geld aus dem Westen bezieht. Immer häufiger wird die Vermutung geäußert, wir würden für die CIA arbeiten.
Wie reagiert ihr unmittelbares Umfeld?
Kürzlich wollte ein Anwalt von seinem Kollegen wissen, warum er eigentlich noch für Memorial arbeite. Angesichts der jüngsten Hausdurchsuchungen, so der Anwalt, müsse man doch nun davon ausgehen, dass diese Organisation in der nächsten Zeit geschlossen werde. Das Gesetz zu ausländischen Agenten hat doch nur eine Funktion: Es ist Propaganda gegen uns. Und mit den Überprüfungen hat man der Stimmung gegen uns weiteren Vorschub geleistet.
Was soll der Westen tun?
Vom Westen erwarte ich mir Solidarität. Doch das ist wahrscheinlich vergeblich. Denn der Westen zeigt schon lange, dass ihm seine Interessen wichtiger sind als seine Werte. Durch sein Nichreagieren ist er mit dafür verantwortlich, was hier abläuft. Dabei müsste der Westen doch begriffen haben, dass er von einer großen Nähe zu Putin nichts hat.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören