Migrationsforscher über Roms Asylpolitik: „Die Italiener haben Verbündete“
Mehrere EU-Länder dürften die neue Regierung bei ihrem Kurs gegen Einwanderung unterstützen, sagt Andrew Geddes. Was für Pläne wären denkbar?
taz: Herr Geddes, der neue Innenminister Italiens, Matteo Salvini, hat Flüchtlingen geraten, „schon mal die Koffer zu packen“. Er will 500.000 Menschen abschieben. Kann er das?
Andrew Geddes: Wer Menschen loswerden will, muss jemanden haben, der sie nimmt. Die Herkunfts- und Transitländer sind dabei aber sehr zurückhaltend. Und wenn sie das doch tun, wollen sie dafür eine Entschädigung. Zudem: Wenn eine Regierung Ausländer in Massen ausweisen will, wird sie dabei schnell rechtliche Probleme bekommen. Alles, was Willkür und eine Verletzung der Regeln von Verfassung und Flüchtlingsschutz darstellt, wird ihr Schwierigkeiten bereiten.
Italien war im vergangenen Jahr der Vorreiter bei der hoch umstrittenen Kooperation mit Libyen und hat vor allem dessen Küstenwache ausgerüstet. Wird die neue Regierung die Zusammenarbeit mit Libyen jetzt noch weiter ausbauen?
Tatsächlich war Salvinis Vorgänger in Libyen schon sehr aktiv, die Zusammenarbeit ist sehr eng. Libyen hat deshalb in den letzten 12 Monaten Zehntausende Flüchtlinge vom Meer zurückgeholt, die Ankunftszahlen in Italien sind in der Folge um 80 Prozent gesunken. Die neue Regierung wird den Preis zahlen, um diesen Zustand aufrechtzuerhalten und die Hilfszahlungen für Libyen weiter aufstocken.
Bislang lässt die EU die Bootsflüchtlinge von der libyschen Küstenwache aufgreifen und nach Libyen zurückbringen, wo sie interniert werden. Ist es denkbar, dass Italiens Marine künftig selbst Schiffbrüchige in Libyen abliefert?
Das wäre ein klarer Verstoß gegen internationale Asylstandards. Bislang ist ein solcher Vorschlag öffentlich nicht gemacht worden.
In Tunesien ist die Lage nicht so desolat wie in Libyen. Das Land ist immer wieder als Standort für Lager im Gespräch, in denen europäische Asylverfahren extern, also außerhalb der EU abgewickelt werden könnten. Glauben Sie, dass Italien diese Option jetzt mit Nachdruck verfolgt?
Solche exterritorialen Asylverfahrenszentren sind ein Konzept, dass die EU immer wieder aufbringt. Es ist inspiriert vom australischen Modell auf den Pazifikinseln. Spanien hat davon immer wieder gesprochen und Marokko als Standort ins Spiel gebracht. Und auch Tunesien wird in der Tat immer wieder genannt. Doch es ist extrem schwer vorstellbar, dass die dortige Regierung sich darauf einlassen würde. Für sie würde das bedeuten, auf sehr lange Zeit Verantwortung für alle Menschen übernehmen zu müssen, deren Asylanträge in diesen Zentren abgelehnt werden. Ich sehe nicht, dass es dazu eine Bereitschaft gäbe, auch nicht mit signifikanten finanziellen Anreizen. Hinzu kommt, dass Salvini Tunesien erst am Sonntag geradezu vor den Kopf gestoßen hat. Er sagte, das Land würde „Sträflinge“ nach Italien exportieren – und diese Äußerung kam genau zu der Zeit, als bei einem Schiffsunglück vor Tunesien viele Menschen, die nach Europa unterwegs waren, ertrunken sind.
ist Professor für Migration Studies und Direktor des Migration Policy Centre am European University Institute in Florenz.
Vor etwa einem Jahr drohte Italiens EU-Botschafter Maurizio Massari der EU damit, ihre Häfen für Flüchtlingsboote zu sperren. Die EU hielt dies für illegal, konnte das damals aber mit kleinen Zugeständnissen abwenden. Könnte auch die neue Regierung eine Hafensperre für eine Option halten?
Es würde zu Salvinis Rhetorik passen. Aber das wäre ein klarer Rechtsbruch. Es gäbe sofort Klagen dagegen und die italienischen Gerichte würden auch hier entscheiden, dass die Regierung italienisches Recht bräche, schlösse sie die Häfen. Hinzu kommt allerdings, dass die Italiener heute in einer anderen Position sind als vor einem Jahr. Sie brauchen nicht mehr mit solchen Maßnahmen zu drohen, weil sie mittlerweile viele Verbündete haben, mit denen sie die EU-Politik in ihrem Sinne …
… also gegen Einwanderung …
… beeinflussen kann: Österreich, Ungarn, Polen, Tschechien und noch einige mehr.
Schon die alte Regierung hat sich auf die Seenotrettungs-NGOs eingeschossen, die viele Schiffbrüchige Flüchtlinge und Migranten nach Italien bringen. Was droht denen nun?
In der Tat sind die Seenotrettungs-NGOs von der Regierung schon länger als Schlepper hingestellt worden. Die Rhetorik des neuen Innenministers Matteo Salvini ist besonders stark. Jetzt ist er in einer mächtigen Position, er wird das fortsetzen und behaupten, dass die NGOs Kriminelle seien und mit Schleppern zusammenarbeiten. Doch diese Strategie hat rechtliche Grenzen: Es gibt keine Evidenz für die Vorwürfe und die Gerichte werden das nicht akzeptieren.
Ab 2015 hat die EU in Griechenland und Italien sogenannte Hotspots eingerichtet: geschlossene Lager, in denen Flüchtlinge und Migranten nach ihrer Ankunft erfasst werden.
Die Hotspots sind nur für den vorübergehenden Aufenthalt gedacht. Dabei wird es bleiben. Die Idee ist, die Menschen nach den Hotspots in Lager zu bringen, die im ganzen Land verteilt sind. Die neue Regierung hat davon gesprochen, entsprechende Lager mit Kapazitäten von 500.000 Plätzen zu schaffen. Dort sollen die Menschen gegebenenfalls bis zur Abschiebung bleiben.
Das EU-Recht lässt die dauerhafte Internierung aber nicht zu. Wie wird Italien damit umgehen?
Europäisches und italienisches Recht verlangt, Asylanträge schnell zu bearbeiten und keine übermäßig lange Internierungsdauer zuzulassen. Entsprechend gibt es rechtliche Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Das haben Flüchtlinge in Italien in der Vergangenheit auch getan, beispielsweise 2010, als die Berlusconi-Regierung willkürliche Internierungen vorgenommen hat.
Lega und Fünf-Sterne-Bewegung haben sich hart gegen die EU positioniert – vor allem in der Migrationspolitik. Gleichzeitig brauchen sie die EU, etwa für die Aktivitäten zur Migrationskontrolle in Afrika und die innereuropäische Umverteilung. Welchen Umgang mit Brüssel wird die neue italienische Regierung in dieser Frage pflegen?
Die Kommission hat sich in ihrer Migrationsagenda vorgenommen, die europäische Verteilung von Asylbewerbern, die sogenannte relocation, auszuweiten. Das hat in der Vergangenheit nicht funktioniert und das war ein großes Problem und einer der Knackpunkte für Italien. Salvini hat bereits angekündigt, alles abzulehnen, was keine signifikante Erhöhung der Umverteilung und somit Entlastung für Italien bedeutet.
Dann wird die Kommission arge Schwierigkeiten kriegen, sowohl bei der Dublin-Reform als auch bei der jetzt anstehenden Reform des neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Denn die osteuropäischen Länder wiederum lehnen alles ab, was mit relocation zu tun hat.
Ja, Salvini will auch die geplante Dublin-IV-Verordnung, die eigentlich im Juni beschlossen werden sollte, ablehnen. Das wird der Kommission erhebliche Probleme machen. Sie werden alles neu verhandeln müssen.
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