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Migranten im BildungssystemHohe Erwartungen, hohe Hürden

Bildungsfern? Von wegen. Menschen mit Migrationsgeschichte haben oft hohe Bildungsambitionen. Es mangelt oft an Unterstützung.

Bildung ist der Schlüssel für ein gelungenes Leben, meinen die meisten Menschen mit Migrationshintergrund. Doch die Realität ist oft ernüchternd. Bild: dpa

BERLIN taz | Nach der Grundschule bekam Mostapha Bouklloua von seinen Lehrern eine Hauptschulempfehlung. Seine Mutter nahm das nicht hin; sie setzte durch, dass ihr Sohn eine höhere Schulart besuchte.

Diese Episode aus dem Schulalltag des gebürtigen Marokkaners steht prototypisch für viele Schulkarrieren von Kindern mit Zuwanderungshintergrund. 45 Prozent von ihnen klagen über verlorene Jahre, weil sie aufgrund falscher Schulempfehlungen Umwege in Kauf nehmen oder Schuljahre wiederholen mussten, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Studie der Universität Düsseldorf.

Die Wissenschaftler untersuchten mit finanzieller Rückendeckung der Vodafone-Stiftung und der Stiftung Mercator Bildungsziele und -erfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund. Sie interviewten dazu 120 Menschen persönlich und führten 1.700 Telefoninterviews durch. Dabei ordneten sie die Probanden nach sozialer Lage und Lebensstil acht unterschiedlichen Milieus zu; von „religiös-verwurzelt“ bis „hedonistisch-subkulturell“.

Und sie stellten fest: Egal ob Moscheebesucher oder Partygänger, ehemaliger Gastarbeiter oder Intellektuelle – Bildung wird durchweg und von fast allen Befragten als Schlüssel für ein gelungenes Leben betrachtet. „Ein für uns überraschendes Ergebnis, denn im öffentlichen Diskurs ist ja oft von Bildungsfernen oder gar Verweigerern die Rede“, berichtet Heiner Barz, der den Bereich Bildungsforschung und Bildungsmanagement an der Uni Düsseldorf leitet. Diese Menschen möge es zwar geben, allerdings hätten die allermeisten Befragten hohe bis sehr hohe Bildungsaspirationen.

Defizite stehen im Fokus

Diese treffen allerdings auf hohe Barrieren. So verzweifeln gerade schulunerfahrene MigrantInnen an der schlichten Unübersichtlichkeit der deutschen Schulsysteme. In der Schule selbst herrscht nach wie vor ein defizitär geprägter Blick auf Menschen mit Migrationsgeschichte.

„Welchen Sprache sprichst du?“, würden Kinder oft gefragt, erzählt Bouklloua aus dem Schulalltag. Und wenn die Kinder antworteten „Russisch, Arabisch oder Türkisch“, dann hieße es von Lehrern häufig: ach, das seien ja keine Fremdsprachen.

Das System Schule und die Lehrkräfte müssten sich interkulturell öffnen, fordert Bouklloua, der am beruflichen Gymnasium unterrichtete und derzeit als Landeskoordinator des Netzwerks „Lehrer mit Zuwanderungsgeschichte“ in Nordrhein-Westfalen abgeordnet ist. Rund 500 Lehrerinnen und Lehrer sind in dem Netzwerk organisiert – und es könnten deutlich mehr sein. Denn der Blick in die Lehrerzimmer zeige: Dort ist man oft noch weit entfernt von der kulturellen Vielfalt, die mittlerweile in vielen Klassenzimmer die Regel ist.

Ernüchternde Schulrealität

Auch die Befragungen offenbaren laut Studie eine „eklatante Diskrepanz zwischen den Erwartungen an die interkulturelle Sensibilität von Bildungseinrichtungen und der ernüchternden Schulrealität.“

So wünschen sich drei Viertel der befragten Eltern spezielle Informationsangebote für Eltern mit Migrationshintergrund - jedoch erlebt das etwa nur ein Fünftel an der Schule ihrer Kinder. Einen speziellen Deutschunterricht für Migranten halten über 80 Prozent für wichtig – rund 60 Prozent geben an, dass es so etwas nicht gibt.

Eine Öffnung der Schule bedeutet nach Ansicht der Wissenschaftler gleichzeitig eine Öffnung nach außen. Sie empfehlen, Eltern, aber auch den Moscheeverein von nebenan stärker mit ins Boot zu holen.

Kooperation sei das A und O bekräftigt Bouklloua, denn: „Die Schule der Zukunft wird eine Schule der Vielfalt sein – ob wir das wollen oder nicht.“

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5 Kommentare

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  • Whow - en passant!

     

    Hatte eigentlich in keiner Weise die Idee

    einen anti-Austenjane zu fabrizieren;

    eher was ergänzend mehr ins Blickfeld zu rücken - und schon gar nicht als

    "Herr Jurist" - was immer das dabei soll.

     

    Ok - Volksschule in einem Flüchtlingsstadtteil -

    mehrheitlich wurde russisch-polnisch-lettisch gesprochen. Herrn Reichwald störte das wie uns - (oder meine Eltern) keinen deut - was da die Eltern zur deutschen Sprache beisteuern konnten - hätten können -

    beantwortet sich von selbst.

     

    Als einer der besten auf die Penne Nr.1.

    Die Unterschiede waren gerade in deutsch - riesig; Meier II - jeden Tag - Diktat.

    Klassen - gut bei 25 - Abi - 15 je Klasse! Zweimal hintereinander backengeblieben - dann gings.

    (was meine Eltern wiederum nichts machte).

     

    Daß Schule in 'schland a struktur nicht selektiv angelegt ist - Gesamtschulen sind da auch nicht mehr frei vom roll back - ist mir neu.

    Meine zwei Runden kids mit Abi haben mir Gegenteiliges jedenfalls nicht erfahr- sowie beobachtbar gemacht.

     

    "…Sozialromantik- gar aggressive - Eltern haben zu liefern…

    (wo wenig ist - hat auch der Kaiser wenig recht;) Eltern Illusionen einreden - Recht auf Unterricht für die eigenen Kids - reingrätschen…"

     

    Eigentlich können Sie sich den Rest selber schreiben -

    frustrierte Lehrperson aus dem bürgerlichen Lager allenfalls typischer gewendeter Grünwähler - in Absicherung seiner vermeintlichen Pfründe - die es & alles - aber sowas von - satt hat.

    kurz - Ich bin nicht die Caritas;

    (Belege brauchts dafür erst gar nicht;)

  • Muß man die Pferdchen erst noch barren, ehe sie die Hürde nehmen?

    egal 2.0

     

    "…Das bedeutet, aus den Lehrkräften ist nicht viel mehr rauszuholen.…"

     

    Sorry - es geht nicht um - rausholen -

    es geht um Umdenkungsprozesse;

    Solange Lehrer/Schule in ihrer Grundstruktur auf Selektion getrimmt sind - nicht bereit sind - jeden dort abzuholen - wo er ist -

    &nicht auf dem Schirm haben -

    daß sie in der Summe mehr von ihren Schülern lernen können - als diese von ihnen - solange ist kein Licht am Ende des Tunnels.

     

    Vor ein paar Monaten - berichtete ein sog. unbegleitetes türkisches Kind (d.h. 14jährig+), vor einer atemlos staunenden bindesweiten Gruppe von 100 plus Richtern -

    wie es über Hauptschulempfehlung etc - ohne jeglichen ausländerrechtlich abgesicherten status -

    mit Hartnäckigkeit, Chruzpe und hie und da "helfende Hände" - sich durchs Leben geschlagen hatte - heute: Promovierter Jurist mit zwei Staatsexamen -

    Mit prompt gesicherten status!

    In seinem Dorf in der Nähe von Urfa war er ein guter Schüler gewesen;

    was aber hier in 'schland niemanden interessiert hatte.

     

    Von dem Metaller im Zug - vorher Hirte in Anatolien - dessen Sohn Mathe-Prof in Düsseldorf ist - erzähl ich ein andermal.

     

    kurz - die Idee - daß Kinder weniger begabt sein könnten - nur weils noch am deutsch hapert - ist aberwitzig -

    aber in den Köpfen -

    und dies wird befeuert durch unser selektives Schulsystem -

    solange nicht Lehrer "mißtrauisch betrachtet werden" -

    bei denen sich sog Schulversager häufen.

    http://www.taz.de/Migranten-im-Bildungssystem/!157121/

    • @Lowandorder:

      --- Teil 2 von 2---

      Problem:

      Viele Kinder (mit oder ohne "Migrantenstatus") können trotz Schulabschluss viel zu wenig.

      Das diskutieren wir dann unter: "Wieso will die keine/r von den bösen Betrieben ausbilden?"

      PS

      Ihre Eindimensionalität zeigt sich auch am "Ende" ihres emotionalisierten Statements - für "Schulversager" - Herr Jurist - sind nach den Schulgesetzen mindestens 3 Seiten verantwortlich:

      Staat - Eltern - ggf Lehrkräfte (deren Arbeitsbedingungen das jeweilige Land festlegt!)

      Was Sie hier behaupten und andeuten, ist durch diese Weglassungen falsch und polemisch.

      PPS

      Sie können nicht jede/n „da abholen, wo er steht" - dafür gibt es keine Mittel.

      Das ist (aggressive) Sozialromantik.

      Den Leuten sowas einzureden, führt dazu, dass Eltern sich Illusionen über die Möglichkeiten von Schule machen. - und selber passiv bleiben.

      Bleiben wir doch am Test und am Gesetz - Eltern haben zu liefern, damit die Schule funktioniert.

      Sonst muss mensch den Eltern helfen und nicht die Lehrkräfte beschimpfen.

      Im Folgenden bitte Fundstellen und kein Gelaber. Ich hab es satt.

    • @Lowandorder:

      ---Teil 1 von 2----

      Ich sprach weder von "Begabung" (was ist das?) noch von "Selektion". Ich wies auf die Grundbedingungen des Schulsystems hin, Herr Jurist.

      Und dazu gehört als notwendige Voraussetzung die Schulfähigkeit nach Landesschulgesetz der Kinder.

      Wie soll das anders gehen? Bringt die Bundeswehr jetzt auch den „Neuen“ erstmal Lesen und Schreiben bei? Sucht das Finanzamt meine Belege raus, wenn ich keine Ahnung habe? Nein.

      Wenn der Staat wenig für Bildung ausgibt, müssen die Kinder höhere Anforderungen erfüllen.

      Rechnen Sie doch mal vor, wie die Grundschul-Lehrerin mit 30 anderen Kindern auch nur einem einzelnen Kind nebenher noch Deutsch beibringen soll.

      Machen Sie mal.

      Das läuft nämlich nicht nebenher. Außerdem ist D als Zweitsprache ein anderer „Film“ als Grundschule. Das braucht Zeit und Expert/innen. Machen Sie in Ihrem Fach auch alle Teilgebiete selbst? Und zwar parallel zu ihren „normalen“ Fällen? Das wäre genial. Aber Sie haben auch nicht 25-30 „Fälle“ „parallel“ in einem Raum.

      (Wenn die Lehrerin meiner Kinder sowas versuchen würde, würde ich reingrätschen und deren Recht auf Unterricht einfordern. Und sie bitten, auf ihre Gesundheit zu achten – damit sie nicht ausfällt. Sonst habe ich als Mutter nämlich mehr Streß. Ich bin nicht die „Caritas“.)

      Wenn man diese Fakten und Bedingungen nicht einbezieht, kommt mensch über die Einzelfälle nicht hinaus – und verdreht auch noch den Sachverhalt.

      Sie nennen Einzelfälle, die zum Teil Jahrzehnte her sind.

      Sie spulen hier auf das Stichwort "notwendige Deutschkenntnisse" Ihre Routine-Lehrkräfte-Dresche ab. Da muss mehr Niveau rein.

      Wenn Sie vertreten, da käme mensch mit "Umdenken" weiter, dann ist das bloß eine perfide Ausbeutungsstrategie.

      Außerdem - wer sortiert denn noch aus?

      Die werden doch oft alle weitergeschoben mit „Gnaden-4“, damit man sich den von Ihnen genannten Vorwürfen nicht aussetzt.

  • Die Schulen in Deutschland sind voll, haben wenig Unterricht und die Lehrkräfte müssen im internationalen Vergleich viel arbeiten.

    Das bedeutet, aus den Lehrkräften ist nicht viel mehr rauszuholen.

    Ferner setzt die Grundschule in D schulfähige Kinder voraus.

    Also müssen die Kinder Deutsch können und motiviert und lernfähig sein.

    ("Nichtmigrationsvorder-/hintergründe" haben das gleiche Problem)

    Das ist für alle Kinder gleich.

    KInder, die von Anfang an nicht oder schlecht verstehen und dadurch weniger gut mitlernen können, bräuchten Eltern, die nacharbeiten. Wenn das nicht läuft, klappt die Bildung nicht.

    Gibt es viele nicht schulfähige Kinder in der Klasse, werden die Lernbedingungen für die anderen schlechter. Die entsprechenden Schulen werden dann von vielen Eltern, deren Kinder besser gefördert sind, gemieden. Abwärtskurs. Denn viel mehr Geld oder Stellen gibt es nicht.

    Wenn man das einfach "Inklusion" nennt, wird es nicht besser.

    Was tun?

    Entweder vor der Schule allen Kindern Deutsch beibringen - ausreichend für die Grundschule. Also gute Kitas mit kleine Gruppen und Deutsch als Zweitsprache-Lehrkräften.

    Oder in der Grundschule massiv fördern - aber da sind die Kinder schon mit dem Schulstoff beschäftigt.

    Was bleibt sonst?

    Forderungen an die bereits sehr geforderten Lehrkräfte stellen?

    Die haben keine Zeit.

    Die sollen ja nicht nur nacharbeiten, sondern auch fördern und fordern.

    Bei 30er Klassen ist das nicht zu leisten.

    Wieso sagt das keine/r?

    Fordert mal realistische Verbesserungen - von den Ländern.

    Die sind zuständig.

    Ohne Fachleute und mehr Geld und frühere Förderung wird das im Leben nix.