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Merkel vergleicht Eurozone mit OstzoneGewagte Parallelen

Die Kanzlerin droht damit, dass Berlin keine Hilfen mehr für Krisenländer bereitstellt. Sie warnt vor einem Crash der Währungsunion – und zieht Parallelen zur DDR.

So schnell wie Merkel es gern hätte, wird's wohl nichts: Beschlüsse wurden auf Oktober 2014 vertagt. Bild: ap

BRÜSSEL taz | Ist der Kanzlerin beim EU-Gipfel vergangene Woche der Kragen geplatzt? Das berichtet die französische Tageszeitung Le Monde. Angela Merkel habe die Eurozone mit der DDR verglichen und die EU-Chefs vor einem Zusammenbruch gewarnt, heißt es in dem Bericht. Zudem habe die Kanzlerin indirekt damit gedroht, dass Deutschland keine weitere Hilfen mehr für Eurokrisenländer bereitstellen könnte.

Zur Eskalation kam es offenbar bei der Debatte über die „Reformverträge“, die Merkel den Euroländern vorschreiben möchte, damit sie Reformen nach dem Muster der Agenda 2010 durchführen. Nicht nur Frankreich, Italien und Spanien weigerten sich, mitzuziehen.

Auch die traditionellen Verbündeten Holland, Finnland und Österreich hatten Vorbehalte. Es gehe nur „Millimeter um Millimeter“ voran, räumte Merkel hinterher ein. Was sie nicht sagte: Hinter den Kulissen muss es gekracht haben.

Merkel war offenbar so sauer auf das Nein ihrer EU-Partner, dass sie ihre Contenance verlor und gewagte Parallelen zu eigenen DDR-Erfahrungen zog. „Ich bin in einem Staat groß geworden, der das Glück hatte, dass ihm Westdeutschland in der Not geholfen hat“, sagte Merkel laut Le Monde.

„Für Europa wird dies niemand machen“, habe sie drohend hinzugefügt. „Wenn sich alle so verhalten, wie es unter dem Kommunismus möglich war, dann sind wir verloren“, wird die Kanzlerin weiter zitiert. „Ohne den nötigen Zusammenhalt wird die Gemeinschaftswährung früher oder später platzen“, zitiert das gewöhnlich zuverlässige (und regierungsnahe) Blatt aus Paris Merkel.

Um den Widerstand zu brechen, habe sie die schlimmsten Momente der Eurokrise in Erinnerung gerufen: den Beinahe-Rauswurf Griechenlands, der das Ende des Euro hätte bedeuten können. „Solange ich Kanzlerin bin, werde ich allen helfen“, habe die Kanzlerin gelockt, um dann zu drohen: Sie wisse nicht, ob sie dazu noch ein zweites Mal fähig sein werde.

In den Pressekonferenzen war davon keine Rede mehr. Im Gegenteil: Merkel stellte das Treffen als Erfolg dar. „Auch wenn der Fortschritt hier langsam ist, bin ich nach der gestrigen, auch sehr breiten Diskussion doch optimistisch, dass das sehr zielstrebig weiter verfolgt wird“, sagte sie am Freitag.

Die Fakten sprechen eine andere Sprache: Beschlüsse wurden auf Oktober 2014 vertagt. Es war bereits die dritte Verschiebung seit Ende 2012, als Merkel das ungeliebte Projekt aus dem Hut zauberte.

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9 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Ich verstehe die Aufregung und Empörung um Merkels Vergleich nicht so ganz: die ideologische Verbohrtheit ihrer Europapolitik, die sich ausschließlich an den Interessen ihrer mächtigen Freunde aus Industrie- und Bankkreisen orientiert, erinnert stark an die jegliche Einsicht in die Realität verweigernde Haltung der DDR-Führung in ihrem Niedergang. Das passt schon was unsere Kanzlerin da sagt, freilich anders als sie es wohl meint, aber nolens volens doch sehr treffend.

  • LU
    Leserin Ute

    Wirtschaftsprofessoren wie Prof. Sinn, Prof. Hankel und der AfD-Chef Prof. Lucke haben genau diese Probleme, über die Frau Merkel und die EU jetzt fallen schon seit einigen Jahren vorrausgesagt. Das bedeutet, dass Frau Merkel und ihr Beraterkreis wenig Ahnung in der Eurokrise gezeigt haben, wenn sie es erst jetzt gemerkt haben, dass ihre "tollen" Rettungsideen nicht funktionieren. Für Deutschland aber auch alle anderen EU-Länder ist das katastrophal, da der Wohlfahrtsverlust wie die hohe Arbeitslosigkeit und die hohen Länderschulden enorm ist.

    Hätte Merkel nicht so stur ihr Politik durchgesetzt, sondern Länder aus dem Euro ausscheiden lassen, wir hätten viele Rettungs-Milliarden gespart und in Bildung und Infrastruktur investieren können. Stattdessen wurden die Fehlinvestionen der Banken und großen Spekulanten und Hedgfonds durch uns Steuerzahler gerettet, damit diese weiter spekulieren können.

  • MA
    Mandy aus Ostberlin

    Merkels Realismus verblüfft mich immer wieder. Nur mit einem hat Sie unrecht. In der Ostzone war es selbst 1989 noch besser als bspw. in Griechenland heutzutage. Da gab es keine 30% Arbeitslose und Obdachlose und hungernde Schulkinder waren auch unbekannt.

  • Wenn die Kanzlerin schon so aus der Fassung gerät dann wird es Höchste zeit seine Euros in Real werte zu Tauschen.

    Jede Währung die in einem Verzinsten Schuldgeld system Agiert ist nach einer gewissen zeit zum scheitern verurteilt (Exponentielles Wachstum von Schulden und Guthaben)

    Informationen kann man dazu auf den Seiten der AZK und Wissensmanufaktur finden

    • K
      Karl-Gustav
      @Schlender Markus:

      Gold ist gerade sehr günstig zu haben, und Silber noch bis zum 31.12. zum verminderten Mehrwertsteuersatz. Also greifen sie zu!

  • In den Koalitionsverhandlungen hörte man ganz wenig über Merkels weitere Europapläne. Dass sie aber zusammen mit der EU-Kommission ihre neoliberalen Diktate in allen Staaten durchsetzen will, erwähnt zumindest glücklicherweise die taz. Danke!

     

    Ansonsten erfährt der deutsche Wähler wenig über die Absicht, alle Staaten in die Troika-Kontrolle mit ihrem Privatisierungsmantra einzubinden. Wenn die Kanzlerin so außer Kontrolle gerät und die EU mit der DDR vergleicht, muss der Gegenwind offenbar enorm sein.

     

    Dennoch muss man befürchten, dass bis im Oktober die Regierungen Resteuropas kuschen, bzw. dass sie von den marktradikalen Privatsendboten aus Banken, "Wissenschaft" und Beraterfirmen entsprechend konditioniert werden.

    Und die SPD, auf die so viele außerhalb Germaniens gehofft hatten, hat für das -schon von Seehofer ausgekippte - Linsengericht "Mindestlohn" alles abgesegnet, was man aus Griechenland, Spanien und Portugal schon kennt.

  • L
    Lowandorder

    "… „Ich bin in einem Staat groß geworden, der das Glück hatte, dass ihm Westdeutschland in der Not geholfen hat“, sagte Merkel laut Le Monde.…"

     

    Tja - wer so seine eigene Geschichte verkennt,

    ist gezwungen sie als Farce zu wiederholen;

    gut, daß die übrigen Aktöre nicht so panne sind

    und darauf keine Lust haben.

     

    Wer eine 'schlandfarbene Halskette sich umlegt,

    leidet ganz offensichtlich nicht nur an Geschmacksverirrung, hat vielmehr sonderwegs mehr als ein Rad ab;

    der autet sich endgültig und europaweit

    als nachhaltig-spätgeschädigtes Ex-FDJ-Winkelement.

     

    Denn Marxismus-Leninismus in der kruden Version des Realen Sozialismus mußten bekanntlich auch Physiker über sich ergehen lassen;

    und als Mädchen des Meister-Bimbes der Blühenden Landschaften und Verwalters der Portokassen war derartige Nachhilfe ja zudem kontraproduktiv.

     

    Langsam glaube ich allerdings wirklich, daß das 2010/Wettbewerbspaket eine perfide Ablenkungsstrategie mittels todgeborenen Kindes

    ist, um unverhohlen Lohn-dumping-orientiert weiterzumachen - " bis die Welt in Scherben fällt".

    Was sonst bezweckt jemand - der so hohl-hoch pokert?

  • NS
    Na sowas

    Wie immer in der Euro-Krise: Nichts als leere Drohungen.

    • DC
      Don Carlito
      @Na sowas:

      Nichts als leer Drohungen? Frau Merkel - ich mag sie wirklich nicht besonders- steht genauso an der Wand , wie sie es sagt. Wenn die Südländer so weiter machen wie bisher, wird Deutschland dass nicht mehr schultern können und ganz gewiss auch nicht schultern wollen. Und was dann? Dann kracht es gewaltig. Es wird einen grossen Schlag geben. 5 Jahre Niedergang in Deutschland und dann ist Europa überwunden. Deutschland wird sich dann auf die asiatischen/amerikanischen Märkte konzentrieren und der rest von Europa wird idyllisch - wie der ehemalige Ostblock. Und der Hass von Deutschen und Südeuropäern auseinander wird grenzenlos sein.