Machtkampf in der Türkei: AKP-Regierung gegen AKP-Präsident
Der Machtanspruch von Präsident Erdogan verprellt seine eigene Regierung. Beide Lager liefern sich eine öffentliche Schlammschlacht.
ISTANBUL taz | „Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber Präsident Recep Tayyip Erdogan verstößt mit seinem Verhalten gegen die Verfassung.“ Diese Stellungnahme stammt nicht von einem Oppositionspolitiker, sondern vom stellvertretenden Ministerpräsidenten Bülent Arinc. Es ist der vorläufige Schlussakkord in einer „Horrorwoche“ für die AKP, die seit zwölf Jahren die Türkei regiert.
Erstmals seit die AKP Ende 2002 in Ankara die Regierung übernommen hat, zeigen sich deutliche Risse in einer Partei, deren Erfolgsgeheimnis es bislang war, durch enorme Geschlossenheit eine Stabilität zu garantieren, die sie von Wahlsieg zu Wahlsieg führte.
Ausgerechnet jetzt, zwei Monate vor der für die kommenden fünf Jahre entscheidenden Parlamentswahl Anfang Juni, ist diese Stabilität nun dahin. Der Hauptgrund dafür ist der unersättliche Machtanspruch von Erdogan. Der Konflikt war absehbar, als Erdogan im Sommer 2014 zum Präsidenten gewählt wurde, sich aber nicht mit der repräsentativen Rolle, die die Verfassung für den Präsidenten vorsieht, zufrieden gab.
Der neue Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und sein Kabinett erlebten von Beginn an einen Präsidenten, der in die Tagespolitik eingriff und Davutoglu öffentlich desavouierte.
Doch Davutoglu schluckte seinen Ärger hinunter bis zur Selbstverleugnung und gab sich in der Öffentlichkeit loyal zu Erdogan. Doch nachdem sich Erdogan Anfang letzter Woche sehr rüde bei dem sensiblen Thema des Friedensprozesses mit den Kurden gegen die Regierung stellte, platzte dem Regierungssprecher und stellvertretenden Ministerpräsidenten Bülent Arinc der Kragen.
Unerwünschte Einmischung
„Wir lieben unseren Präsidenten“, sagte er vor den versammelten Medien des Landes, „aber es ist nicht seine Aufgabe, in die Details des Friedensprozesses einzugreifen. Dafür hat dieses Land eine Regierung, und die tut ihre Arbeit.“
Nun ist Bülent Arinc nicht irgendwer. Zusammen mit Erdogan und dem früheren von Erdogan kaltgestellten Präsidenten Abdullah Gül war Arinc 2001 einer der drei Gründer der AKP. Das ist einige Zeit her, doch Arinc, der mit dem Ende dieser Legislaturperiode in den politischen Ruhestand geht, ist offenbar nicht länger gewillt, sich von Erdogan vorführen zu lassen.
Statt selbst zu antworten, ließ Erdogan einen der schlimmsten Wadenbeißer der AKP, den Bürgermeister von Ankara, Melih Gökcek, von der Leine. Per Twitter forderte Gökcek Arinc auf zurückzutreten: „Wir wollen dich nicht mehr“, schrieb er. Arinc keilte zurück und nannte Gökcek einen korrupten Politiker, der Ankara ruiniert habe.
Vorwürfe und Drohungen
Davutoglu konnte nicht länger schweigen und ermahnte Arinc und Gökcek, ihr „parteischädigendes Verhalten“ zu unterlassen, und dementierte einen Streit mit dem Präsidenten. Doch Arinc war nicht mehr zu bremsen. Er erneuerte seinen Vorwurf gegen Erdogan und kündigte Gökcek an, er werde für sein Verhalten „bezahlen“.
Damit ist der Machtkampf innerhalb der AKP eröffnet. Plötzlich scheint es möglich, dass die Partei die absolute Mehrheit nach zwölf Jahren verliert. Der Kampf in der AKP, wo mehr und mehr Parteifunktionäre beginnen, sich gegen den absoluten Machtanspruch Erdogans aufzulehnen, verspricht der Opposition neue Hoffnung.
Plötzlich präsentiert die kemalistisch-sozialdemokratische CHP mit Kemal Dervis einen weltweit anerkannten Wirtschaftsfachmann, der zum Hoffnungsträger gegen den Abschwung werden könnte. Und erstmals geben Umfragen der kurdisch-linken HDP-Koalition die Chance, die 10-Prozent-Hürde überwinden zu können. Die Wahl in der Türkei wird doch noch spannend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?