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Krebskranker über Netzkampagne„Sprung vom Drei-Meter-Brett“

Claudius Holler, Ex-Pirat und Unternehmer, hat keine Krankenversicherung und erkrankte an Hodenkrebs. Sein Spendenaufruf ging viral.

Claudius Holler: „Krebs ist ein Arschloch“ Screenshot: www.youtube.com/user/ClaudiusHoller
Gareth Joswig
Interview von Gareth Joswig

Taz: Herr Holler, wie groß war Ihre Hemmschwelle, mit einer Erkrankung wie Hodenkrebs an die Öffentlichkeit zu gehen?

Claudius Holler: Ich bin ein öffentlicher Mensch und gebe im Internet viel mehr Dinge preis als andere. Aber eine derart intime Geschichte habe ich noch nie in die Öffentlichkeit getragen. Es hat mich sehr viel Überwindung gekostet. Nachdem ich das Video aufgenommen habe, konnte ich es erst zwölf Stunden später auf Youtube stellen. Es war wie ein Sprung vom Drei-Meter-Brett.

Was haben Sie vorher geglaubt, wie der Aufruf funktionieren wird?

Ich hätte nie gedacht, dass es solche gigantischen Ausmaße annehmen würde. Ich kann das alles noch gar nicht einordnen: Überall blinken Nachrichten bei mir und es poppen andauernd neue Artikel auf. Mein Bruder hilft mir beim Sortieren. Tausende Direktnachrichten sind noch ungelesen. Letzte Nacht hatte ich nur drei Stunden Schlaf. Ich habe Anfragen von Zeitungen, Fernsehen, Internet – eigentlich bräuchte ich jetzt ein eigenes Sekretariat.

Wie viel Geld ist beisammen? Werden Sie ihr Ziel von 9000 Euro erreichen?

Das Ziel kann ich noch gar nicht definieren. Ich habe noch nicht mal den Arztbesuch gezahlt, bei dem der Krebs diagnostiziert wurde. Und ich weiß nicht, ob sich die Krankenkassen mit den 9000 Euro zufriedenstellt. Aber die habe ich jedenfalls zusammen. Nächste Woche habe ich noch eine Kernspindtomographie, wenn da noch mehr gefunden wird und ich eine Chemo brauche, kann ich den ganzen Sommer nicht arbeiten. Dann reichen 9000 Euro wohl nicht.

Und wenn Sie Geld übrig haben?

Ich bin ohnehin dabei, eine gemeinnützige GmbH zu gründen. Jeden Euro, der über ist, würde ich da hineinstecken. Ich möchte das Thema von unversicherten Menschen in Deutschland in den Fokus rücken. Ich weiß, wie es sich anfühlt, mit Halsweh einen Bonbon zu lutschen anstatt zum Arzt zu gehen. Immer in der Hoffnung, dass es nichts Ernstes ist. Es müsste eine staatliche Mindestversicherung geben, aus der überhaupt niemand herausfallen kann.

Die Deutsche Internetgemeinde gilt als eher schlechtgelaunt und zynisch. Wie sehen Sie das nach Ihrem Aufruf?

Es hat eine Menge Kulturpessimismus in mir erstickt. Nicht mehr als eine handvoll Leute haben mir negatives Feedback gegeben. Unter dem Strich ist das alles überwältigend. Das Video gibt viel Angriffsfläche. Aber auf das bisschen Negative, was kam, kann ich entspannt scheißen, weil das Positive deutlich überwiegt.

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12 Kommentare

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  • toll. hät ich auch machensollen statt 70

  • Es ist leider recht einfach auf GKV zu fliegen wenn mensch nicht einfach irgendwo einen Job macht, sondern selbst was auf die Beine stellt. Dann ist Krankenversichung gleich ein ganz schöner Batzen Geld. Es sind mindestens um die 170€ im Monat die sich addieren solange mensch nicht zahlen kann. Da kriegst du von keinem Amt Hilfe solange du deine Firma nicht aufgeben willst.

    Genaueres zu der Situaion von Sven findet ihr in seinem Video: https://youtu.be/UwwnfGReHHk

    • @TobiasK:

      Aber das stimmt doch gar nicht. Sozialleistungen wie ALG2 sind nur vom Einkommen und Besitz abhängig, die bekommt man (zusammen mit der Krankenversicherung) auch als Unternehmer, wenn man keine oder zu wenig Einkünfte hat. Man muss sich natürlich drum kümmern und genau das scheint nicht passiert zu sein.

    • @TobiasK:

      Wenn ich als Gründer nicht in der Lage bin den Beitrag für eine KV in meinem Unternehmensplan glaubhaft und realistisch zu verankern, bin ich eben kein Unternehmer.

      Die vielen alternativen Zugangswege zur GKV zu erläutern, erspare ich mir hier. Die werden einem z.B. von der BAfA ausführlich dargestellt.

      Eine Firma, die den eigenen Lebensunterhalt nicht sichert aufzugeben, ist keine Schande sondern eine Frage der Vernunft.

      • @Trabantus:

        "Wie kann man denn bitte aus der gesetzl. Krankenversicherung aussteigen?"

         

        Die Krankenversicherung bei der gesetzlichen ist für Selbständige freiwillig, Man kommt aber nur raus, wenn man anderswo -z.B. privat versichert ist. Die 780€ im Monat an die AOK zahl ich gerne, denn ich weiß, dass damit das Gesundheitssystem am Leben gehalten wird:

         

        sinnlose Vorsorgeuntersuchungen, Selbstbedienung für die Pharmaindustrie, tolle Jobs für Krankenkassen-Selbstverwaltungs-Funktionäre, hohe Ärzteeinkommen, durchschnittlich 17! Arztbesuche pro Jahr.

         

        Das steigert doch das Bruttosozialprodukt.

  • "Nicht mehr als eine handvoll Leute haben mir negatives Feedback gegeben."

     

    Es ist ein mutiger und gewagter Schritt, mit diesen Ereignissen in die Öffentlichkeit zu gehen. Öffentlichkeit heisst, seine Privatheit und damit auch die Geschütztheit aufzugeben. Denn genau darum geht es ja, um Sichtbarkeit. Was sichtbar ist, wird wahrgenommen und eventuell auch bewertet. Wie bewertet wird, ist jedem Rezipienten selbst überlassen.

     

    Ich habe Mitgefühl mit Menschen, die an Krebs erkranken und deren Leben(squalität) bedroht ist. Mit allen, auch denen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, für die C. Holler aber eine Symbolfigur sein könnte.

     

    In dem youtube clip hatte ich die Wahrnehmung, dass es C. Holler wichtig ist, sein altruistisches Engagement zu betonen. Ich persönlich fände es schade, wenn solidarische Hilfe und Unterstützung im Krankheitsfall nur für "gute" Menschen bereitsteht. Es wäre schön, wenn dies unabhängig vom gesellschaftlichen Engagement für Menschen in Not im Allgemeinen bereitsteht. Auch für nicht so "gute" Menschen.

  • also bei so schlecht hinterfragten und recherchierten Beiträgen wie das angebliche Interview mit C. Holler frage ich mich schon, weshalb ich einer der gut 7000 bin, die hier für die 'taz' noch extra zahlen!!!

  • Also, erstmal wünsche ich ihm alles Gute und freue mich für ihn und für alle Beteiligten, dass das Geld zusammengekommen ist.

     

    Aber man muss sich schon ganz schön blöd anstellen, um in diese Lage zu geraten. Er hätte jederzeit ALG2 beantragen können und wäre damit krankenversichert gewesen. Auch als selbständiger Unternehmer ohne Einnahmen. In der Tat muss man sich fast schon Mühe geben um in seine Situation zu geraten.

     

    Ich will nicht sagen, dass ich dafür kein Verständnis hätte (ich bin auch mal zwischen Arbeitnehmertum und Künstlersozialkasse steckengeblieben und hing in der Luft wie Schrödingers Katze, was die Krankenversicherung angeht), aber das war schon leichtfertig bis blöd.

     

    Die Heilungschancen bei Hodenkrebs sind übrigens sehr gut, wenn man sich einen Krebs aussuchen könnte, sollte man diesen nehmen...

     

    Aber ja, es ist schon ein Witz, dass man hierzulande eine KV haben MUSS, es aber durchaus möglich ist, keine zu haben. Das sollte man wirklich ändern und bei fehlender KV automatisch den Staat einspringen lassen. Letztlich ist es eh so, dass man behandelt wird, schlimmstenfalls ist man halt anschließend ruiniert und davon hat keiner was. Das gehört geändert.

  • Wie kann man denn bitte aus der gesetzl. Krankenversicherung aussteigen?

     

    Als ich (aufgrund der recht langen Behördenwege) keine Versicherung für fünf Tage hatte wurde mir gleich eine Strafe von bis zu 5000€ angedroht falls ich keine Kv diese Tage vorweisen könne...

  • "Es müsste eine staatliche Mindestversicherung geben, aus der überhaupt niemand herausfallen kann."

    Gibt es schon lange in Deutschland. Man muss sich ihr regelrecht entziehen.

    • @Trabantus:

      Wie geht das, sich der Mindestversicherung zu entziehen?

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Trabantus:

      Ja, für Selbständige sind's so um 370€ (mit PV). Da werden gleich fiktive Einnahmen (Gewinn) von über 2000/Monat zugrunde gelegt.

      Ich glaube, dass es sogar in den USA mittlerweile für einen freelancer billiger ist, sich zu versichern. Dann aber wundert man sich, dass wir keine Nation der Gründer sind.