Kommentar Protest NSA-Affäre: Der große Missbrauch fehlt noch
Massen gehen nicht gegen die NSA-Abhöraffäre auf die Straße. Es war eben doch nicht der „Tschernobyl-Moment“, der eine Massenbewegung schafft.
I n rund 40 Städten Deutschlands wurde am Wochenende gegen die NSA-Überwachung demonstriert. Das ist beeindruckend. Doch insgesamt nahmen nur etwa 10.000 Menschen an den Protesten teil. Das ist weniger fulminant. Und daran ist nicht nur die Hitze schuld.
Viele Menschen finden die Vorstellung gruselig, dass in den USA zumindest die Verbindungsdaten deutscher Telekommunikation jahrelang gespeichert und ausgewertet werden, ebenso dass der Geheimdienst NSA recht freien Zugriff zu unsere Daten bei Facebook, Google und Amazon hat. Konservative stören sich zudem an der Verletzung der deutschen Souveränität und der peinlich-hilflosen Rolle der Bundesregierung. Deshalb ist die NSA-Überwachung zu Recht ein Wahlkampfthema.
Dennoch gehen die Leute nicht massenhaft auf die Straße. Die Enthüllung der NSA-Programme war eben doch noch nicht der „Tschernobyl-Moment“, der eine Massenbewegung schafft. Wir wissen nun zwar um ein Risiko und befürchten das Schlimmste, doch das Risiko hat sich in voller Schärfe noch nicht realisiert.
Was für breite Empörung fehlt, ist ein offensichtlicher Missbrauch der Daten oder manifeste Folgen für Unschuldige. So wäre es sicher ein Megaskandal, wenn die NSA oder deutsche Partner beim Eingriff in die deutsche Innenpolitik erwischt würden, etwa indem sie Trolle in die Piratenpartei einschleust, um dort Zwietracht zu säen. Ein Riesenskandal wäre wohl auch, wenn harmlose Menschen verhaftet werden, nur weil die NSA-Computer deren Harmlosigkeit als besonders raffinierte Tarnung interpretieren.
Dass die US-Datensammlung schon an sich völlig unverhältnismäßig ist – auch zur Terrorabwehr –, genügt aber wohl noch nicht für eine Massenbewegung. Das ist die Erkenntnis des Wochenendes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch