Kommentar Netzrückkauf in Hamburg: Direkt ist besser
Wenn es um Energie geht, sollte der Bürger selbst entscheiden: Das ist das Fazit des Volksentscheides über das Hamburger Stromnetz.
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D ie Hamburger wollen, dass ihre Stadt das Strom-, Gas und Fernwärmenetz wieder selbst betreibt. Das ist das Ergebnis des Volksentscheids in der Hansestadt, der zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfand und mit 51 Prozent Zustimmung denkbar knapp endete.
Doch selbst wenn es andersherum ausgefallen wäre: Hamburg zeigt, dass die Idee, Strom und Wärme jenseits von Profitinteressen einzelner Konzerne unter öffentlicher Kontrolle zu betreiben bestechend einfach und logisch ist – und BürgerInnen überzeugt. Das ist das Entscheidende, jenseits von Parteiinteressen.
Unternehmensverbände und selbst Gewerkschaften waren gegen eine Rekommunalisierung, ebenso wie SPD und CDU. Beide Parteien bekamen in Hamburg zusammen 72,3 Prozent der Stimmen für den Bundestag, viele ihrer Wähler votierten aber in der Frage der Energieversorgung gegen die beiden Volksparteien. Bei Grünen und Linken war es andersherum: In der Bundestagswahl erhielten sie zusammen nur 18,1 Prozent. Die Unterlegenen siegten aber mit Blick auf die Volksabstimmung, sie waren für die Initiative „Unser Hamburg, unser Netz“ eingetreten.
Die Hamburger Abstimmung zeigt also, wie wichtig direkte Volksabstimmungen sind, wenn es um die Kontrolle öffentlicher Güter wie Wasser, Strom, Wärme geht – Staat oder Wirtschaft. Der Wille der BürgerInnen und der Wille ihrer Repräsentanten klaffen hier offenbar besonders weit auseinander.
Dabei sind Privatisierungen oft nur verkappte Steuererhöhungen. Erst klingelt kurzfristig die Staatskasse, wenn Infrastruktur verkauft wird, anschließend werden die Bürger gezwungen, die Dienstleistungen von den Unternehmen einzukaufen. Die vermeintlichen Effizienzgewinne privater Betreiber sind allzu oft ein Trugbild. Warum soll ein Unternehmen effizient arbeiten, wenn ihm von der staatlichen Bundesnetzagentur feste Renditen versprochen werden?
In Hamburg muss nun die Stadt laut des Volkswillens Eon und Vattenfall ein Kaufangebot für die Energienetze unterbreiten. Lehnen die ab, muss die Stadt mit anderen Anbietern um die Konzession zum Betrieb der Netze auf ihrem Territorium bieten – und kann auch verlieren. Selbst, wenn sie gewinnt: Dass sich der auf Kredit finanzierte Kauf von Strom, Wärme - und Gasnetzen über die Gewinne refinanziert, ist nicht ausgemacht.
Die öffentliche Hand kann damit mehr gestalten, trägt allerdings auch ein unternehmerisches Risiko. Ein Stadtwerk konkurriert am Ende unter anderem mit den Unternehmen, denen Hamburg die Netze möglicherweise abjagt. Die Energiewende schließlich dauert mindestens 40 Jahre – mit erheblichen Unwägbarkeiten über die finanziellen Gewinne, die den Hamburgern im Fall einer Rekommunalisierung in der Volksabstimmung jetzt versprochen wurden.
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