Kommentar Flüchtlingspolitik: Mindeststandard Menschlichkeit
Das Gerede von „Wirtschaftsflüchtlingen“ lenkt ab von den Schicksalen der betroffenen Menschen. Es bleibt die Pflicht, ihnen zu helfen.
ber sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge wird hierzulande gern geredet, als handele es sich um Trickbetrüger, die redliche Menschen um ihr sauer verdientes Geld bringen wollen. Was für ein Zynismus. Schließlich muss man sehr verzweifelt sein, um sich in einem Schlauchboot aufs offene Meer zu wagen. Und in welcher Situation befindet sich wohl eine Familie, die ihr letztes Geld für einen Schlepper zusammenkratzt, wenigstens einen der Ihren auf den Weg zu schicken? Hinter jedem einzelnen Flüchtling steht eine lange Geschichte von Elend und Angst.
Das abfällige Gerede über „Wirtschaftsflüchtlinge“ ist ein bequemer Weg, um die Einzelschicksale nicht an sich herankommen zu lassen. Sonst müsste man ja Mitleid empfinden. Und dann? Dann wird es richtig schwierig.
Für das grundsätzliche Problem gibt es nämlich keine Lösung, die menschlich vertretbar und zugleich realistisch ist. Gut gemeinte Ratschläge, die auf die Verbesserung der Lage in armen Ländern abzielen, werden niemandem kurzfristig helfen. Und es ist wahr: Europa kann nicht alle Männer, Frauen und Kinder aufnehmen, die in ihrer Heimat keine Chance haben. Das ist schrecklich für die Betroffenen, und gerecht ist die Zufälligkeit des Geburtsorts wahrlich nicht. Aber aus diesem moralischen Dilemma gibt es keinen Ausweg. Jedenfalls ist bisher niemandem einer eingefallen.
Das zu akzeptieren bedeutet jedoch nicht, dass achselzuckend hingenommen werden darf, wenn Flüchtlinge elend verrecken. Es genügt eben nicht, wenn Frontex bei der Sicherung der europäischen Außengrenzen gelegentlich einige Schiffbrüchige unweit der Küste aufnimmt und im Übrigen darauf verweist, in internationalen Gewässern nicht zuständig zu sein. Tausende sind allein letztes Jahr ums Leben gekommen, und die Zahl steigt.
Neun Millionen Euro monatlich kostete die Operation „Mare Nostrum“ zur Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Italien wollte das nicht mehr allein bezahlen, und der Rest von Europa fand es auch zu teuer. Neun Millionen Euro: So viel kosten viele Bürogebäude in guter Innenstadtlage. Die Prioritäten, die das christliche Abendland setzt, sind eine Schande.
Die Rettung Schiffbrüchiger ist eine der ältesten zivilisatorischen Normen weltweit. Will Europa wirklich hinter diesen Standard zurückfallen?
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung