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Kommentar EU und UkraineDie Visumspflicht abschaffen

Kommentar von Barbara Oertel

Die Vorschläge aus Europa sind entweder bizarr oder nutzlos. Schröder wäre kein guter Vermittler in Kiew und Sanktionen helfen niemandem.

„Und weißt du, wen der Gysi dann noch als Vermittler für die Ukraine vorgeschlagen hat...“ Bild: dpa

W er auch immer bei den Straßenkämpfen am Dienstagabend in Kiew den ersten Schuss abgegeben hat: Fest steht, dass die Situation in der Ukraine gerade vollends aus dem Ruder läuft. Fest steht aber auch, wer dafür die Hauptverantwortung trägt: Wiktor Janukowitsch.

Seit Wochen spielt der Staatspräsident ein so undurchsichtiges wie unwürdiges Katz-und-Maus-Spiel mit der Opposition. Mal will er mit seinen Widersachern reden – oder tut zumindest so –, mal wieder nicht. Erfolgreich hat er es bisher geschafft, keine Forderung der Opposition zu erfüllen.

Er ließ die Debatte über Verfassungsänderungen im Parlament verschieben, stellte den Demonstrierenden ein Ultimatum und drohte mit noch härteren Maßnahmen. Und das, nachdem bei den Ausschreitungen am Dienstag mindestens 25 Menschen ihr Leben verloren hatten. Wer so agiert, hat Interesse nur am eigenen Machterhalt um jeden Preis – jedoch nicht daran, die politische Krise lösen zu helfen.

Wenn jetzt Linken-Fraktionschef Gregor Gysi vorschlägt, Gerhard Schröder solle in der Ukraine vermitteln, so mutet das aberwitzig an. Was ist bloß in Gysi gefahren? Bislang war er nicht als Freund des Exkanzlers bekannt. Und was Kiew betrifft: Einen weiteren Emissär aus Moskau, der alles dafür tut, um den russischen Einfluss aufrechtzuerhalten, braucht dort niemand.

Warnendes Beispiel Weißrussland

Auch die Drohung der EU, über die Führung in Kiew Sanktionen in Form von Einreisebeschränkungen und dem Einfrieren von Konten zu verhängen, ist vor allem Ausdruck der Hilflosigkeit angesichts der eskalierenden Gewalt in der Ukraine. Die Wirkung derartiger Strafmaßnahmen ist begrenzt, wie das Beispiel Weißrussland zeigt. Von einer Öffnung der weißrussischen Gesellschaft und politischen Reformen ist die Autokratie unter Alexander Lukaschenko weiter entfernt denn je.

Nein, anstatt sich in Betroffenheitsformeln und Solidaritätsbekundungen an die Adresse der ukrainischen Opposition zu ergehen, muss sich die EU jetzt endlich zu einer klaren Botschaft an den Nachbarn im Osten durchringen. Und das heißt: Abschaffung der Visumpflicht für alle ukrainischen Bürger und Bürgerinnen. Das nämlich wäre eine echte Unterstützung all derer, die seit Wochen auf dem Maidan für Veränderungen protestieren. Und ein klares Bekenntnis, dass sie in Europa willkommen sind.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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9 Kommentare

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  • S
    Stefan

    Die Visumspflicht ist eh Murks. Einfach nur viel gerenne. Kann mich noch erinnern als ich vor ein paar Jahren in Russland war, Einladung, Visum, OVIR usw. Wäre schön wenn man jederzeit ohne Visum nach Russland, Belarus und in die Ukraine reisen kann. Glaub aber nicht dran das sich da in Kürze was ändern wird.

  • G
    gast

    Es ist immer wieder erschreckend, wie wunderbar selbstherrlich Westler in der Welt Bescheid wissen und dies ohne Verzug anderen mitteilen. Ratschläge für die Ukraine also diesmal.

     

    Man könnte sich auch mal daran erinnern, wer so alles dieses ukrainische Geschehen angeheizt hat!

     

    Wie reagieren "wir" eigentlich auf Ratschläge von anderen?

  • Na, wenigstens stösst die taz hier nicht ins Sanktions-Horn wie die Grünen.

     

    Allerdings - von wegen keine Forderung der Opposition erfüllt - gab es eine Amnestie und die Rücknahme der verschärften Demonstrationsgesetze.

     

    Anscheinend gab es heute 'Waffenstillstand' mit der 'friedlichen Opposition'. Mal sehen, wie lang der hält. Es heisst, der 'Rechte Sektor' hätte heute einiges an Schusswaffen erbeutet.

  • A
    Arne

    Das hatten wir doch schon mit dem "Fischer/Volmer-Erlaß" von 2000.

     

    Damals wurden alle Visen, auch in der Ukraine auf Anweisung aus dem Außenministerium sehr großzügig gehandhabt. Es führte in erster Linie zu einer Zunahme von Schwarzarbeit, aber auch von Zwangsprostitution, weil es keinem Ukrainer nutzt, wenn er in ein Land reisen kann, wenn er die Geldmittel nicht dazu hat. Auch Menschenhandel war eine der Folgen davon.

    Ich glaube nicht, dass das die Situation der Menschen in der Ukraine wirklich verbessern würde, wenn sie hier im Westen sich für herabwürdigende Tätigkeiten zu einem noch herabwürdigenren Gehalt zum Kauf in allen möglichen Arbeitsbereichen anbieten würden.

     

    Sehr kurzfristig und sehr neoliberal gedacht. Außer einem Druck auf die eh schon schlechten Löhne hier wird wenig passieren. Das Kapital lacht sich höchstens eins über die Menge an rechtlosen Arbeitern, die ja als Nicht-EU-Bürger auch nur zeitlich befristet das Visum bekommen.

  • Meine Enttäuschung in die taz steigt auf grund der Berichterstattung bzgl Ukraine ins Unermessliche. Das immergleiche Draufschlagen auf Janukowitsch von der deutschen Presse ist völlig unkritisch und sinnlos. Und ja, Janukowitsch ist sicherlich kein lupenreiner Demokrat und ja, es wäre schön, wenn er weg ist. Fakt ist aber auch, dass Janukowitsch von einer Mehrheit gewählt wurde (in einer zwar nicht komplett demokratischen Wahl, das Ergebnis an sich zweifelte aber keiner ernsthaft an).

     

    Es gibt starke Kräfte in der Opposition die einfach nur nationalsozialistisch sind und nichts anderes als ein rechter Mob. Auch ist klar, dass die Proteste keinesfalls friedlich sind, sondern die Demonstranten mit Molotovcocktails und Schusswaffen bewaffnet sind.

     

    Janukowitsch hat in den letzten Wochen mehrfach Angebote gemacht, bspws. die Regierungsübernahme der beiden Spitzenpolitiker der Opposition - Das diese es nicht annehmen kann ich zwar nachvollziehen, aber was kann man denn noch viel mehr verlangen?

     

    Wenn ich mich morgen vor das Brandenburger Tor stelle, mit einer Glock im Holster und einem Molotovcocktail in der Hand und fordere, dass die Merkeln abtritt (die find ich auch doof), wird man mich dann auch als Freiheitskämpfer feiern und der Regierung die Hauptschuld dafür geben, wenn sie mich dann festnimmt/erschie0ßt/was auch immer?

  • G
    Grindlay

    Hallo Frau Oertel - was wissen Sie was Altkanzler Schröder nicht weiß oder andersherum, was weiß Schröder was Sie nicht wissen? Merken Sie etwas?

  • U
    ukrainer

    Danke TAZ!

  • P
    Peter

    So so, Abschaffung der Visumspflicht für die Ukraine. Und was genau ändert sich dann in diesem Land, wenn seine Bewohner frei in die EU einreisen können? Würden dann nicht vor allem viele junge und gut ausgebildete Menschen ihrem Land sofort den Rücken kehren?

    • T
      toddy
      @Peter:

      das und die Abschöpfung der Kaufkraft neben der Ausbreitung der Kriegs NATO ist Sinn der Sache...