Kommentar Asylbewerberzahlen: Reisefreiheit abgewickelt
Um Asylbewerber abzuwehren, drängt Deutschland die Staaten des Ex-Ostblocks dazu, Reisebeschränkungen à la Realsozialismus wiedereinzuführen.
E s ist erst wenige Wochen her, da haben die Unions-Innenpolitiker Panik verbreitet wie zuletzt in den 1990er Jahren: Sie warnten vor massenhaftem „Asylmissbrauch“ durch Roma aus Serbien und Mazedonien. Mit aller Kraft wollten sie das deutsche Asylrecht schleifen: Eine Lex Roma sollte her, die Visafreiheit für Serben sollte fallen, ebenso die Bargeldleistungen für Flüchtlinge, dazu wollten sie Listen mit sicheren Drittstaaten anlegen, deren Bürger keine Asylanträge mehr stellen können.
Dabei übertrieben sie gnadenlos: Im Jahr 2012 haben gerade mal 13.000 Menschen aus Serbien und Mazedonien um Asyl angesucht. Als berechtigt anerkannt wurden davon: 0.
Gebremst wurde Innenminister Hans-Peter Friedrich bislang glücklicherweise in Brüssel und von Sozialministerin Ursula von der Leyen. Warum im Dezember auch ohne Gesetzesverschärfung kaum noch Roma vom Balkan nach Deutschland gekommen sind, erklärt Friedrich dennoch wohlgemut damit, dass die von ihm durchgesetzte rigorose Express-Ablehnung ihrer Anträge sich eben herumgesprochen habe.
ist Redakteur der taz.
Tatsächlich dürfte auch Wirkung gezeigt haben, dass Serbien und Mazedonien auf Druck Friedrichs wieder Methoden aus den Zeiten des Realsozialismus ausgegraben haben: Um den drohenden Entzug der Visafreiheit in der EU abzuwenden, führten die Länder Ausreisesperren für ihre eigenen Staatsangehörigen ein. Wer im Verdacht steht, im Ausland einen Asylantrag zu stellen, wird an der Grenze aufgehalten, über den Entzug des Passes wird nachgedacht.
Es ist erst 20 Jahre her, dass sich die Staaten des damaligen Ostblocks abgewöhnt haben, ihre Bürger einzusperren. Wenn es um die Abwehr von Asylbewerbern geht, ist Deutschland auf dem besten Weg dazu, diese Zeiten wiederaufleben zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern