Kolumne Logbuch: Ein Ring fürs Dach der Welt

In 101 Tagen um die Welt.

Das Peace-Boot vor Anker. Bild: Christina Felschen

Worauf freuen Sie sich am meisten auf dieser Reise?“, frage ich die ältere Dame am Tisch mir gegenüber. Es ist meine letzte Reise“, sagt sie. Sie sei gerade in ein Pflegeheim gezogen, habe es aber nach einem Monat wieder verlassen, um hier aufs Peace Boat zu kommen. „Ich mache diese Reise, um meinen Hochzeitsring ins Meer zu werfen.“

Mehr verstehe ich mit meinem rudimentären Japanisch nicht. In diesem Moment kommt einer der erfahrensten Dolmetscher an Bord vorbei. Als er unseren Tisch in gebanntem Schweigen sieht, setzt er sich zu uns. „Ich habe einen Film gesehen, der Kraniche über dem Mount Everest zeigt. Sie haben nichts als ihre Flügel, sie brauchen nichts anderes im Leben. Ich will nichts horten, was ich nicht mehr brauche. Und Kinder, denen ich den Ring vererben könnte, habe ich nicht“, übersetzt er die Rede meiner Tischnachbarin

Fast 50 Jahre lang waren sie verheiratet, als ihr Mann starb. Das war vor fünf Jahren. Jetzt ist sie 75. „Ich will den Ring in den Ozean werfen. Und zwar in einer Meerenge mit Unterwasserströmungen, die den Ring auf ein Kontinentalschelf tragen könnte, das zum Massiv des Mount Everest gehört. Vielleicht wird er über die Jahrtausende aus dem Meer herausgehoben und erreicht einmal das Dach der Welt“, sagt sie. Sie versucht ein Lächeln. „Oder ein Fisch wird ihn schlucken, und wenn er aus dem Meer gefischt wird, findet ein anderer Mensch den Ring. Das fände ich schön.“

Wenige Stunden später treffe ich Sasha, eine junge Russin, die zwei aus Gräsern geflochtene Ringe an den Fingern trägt. Sie lächelt. Nun also doch! Seit Tagen schon kursiert das Gerücht, dass es bald eine Hochzeit an Bord geben könnte. Sasha nickt. „Wo wir die Ringe doch schon haben …!“

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