Klinikfusion in Norddeutschland: Abtreibung von Gottes Gnaden
In Wilhelmshaven wollen die städtische und die katholische Klinik fusionieren. Künftig gibt es nur noch medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche.
HAMBURG taz | Mehr als 50 Kilometer zum nächsten Krankenhaus, das Schwangerschaftsabbrüche vornimmt – das wird für die Wilhelmshavenerinnen die Folge einer Fusion der zwei Kliniken im Ort sein. Das städtische Reinhard-Nieter-Krankenhaus und das von einem katholischen Verein getragene St. Willehad Hospital sollen zusammengehen. Im nächsten Jahr sollen die beiden Häuser in einer Gesellschaft geführt werden – später sollen sie in einem Neubau zusammenziehen. So steht es in einem Eckpunkte-Papier, auf das sich beide Häuser geeinigt haben. Der Stadtrat hat zugestimmt.
An der neuen Gesellschaft wird der katholische Verein etwa 20 bis 30 Prozent halten – doch er will bestimmen, an welchen Werten sich die neue Krankenhausgesellschaft orientiert. Eine „katholische Identität“ soll sich die neue Gesellschaft geben. Das heißt praktisch: Schwangerschaftsabbrüche sollen in dem dann überwiegend städtischen Unternehmen so gut wie nicht mehr durchgeführt werden dürfen – nur noch, wenn eine „medizinische Indikation“ vorliegt.
Das ist im Reinhard-Nieter-Krankenhaus anders. Bisher werden dort rund 70 Schwangerschaftsabbrüche im Jahr auf Wunsch der Schwangeren und nach der vorgeschriebenen Konfliktberatung vorgenommen. Darüber hinaus gibt es zwei Gynäkologische Praxen in Wilhelmshaven, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Das nächste Krankenhaus liegt in Varel – und ist ebenfalls katholisch. In Oldenburg und Westerstede gibt es die nächsten Krankenhäuser mit gynäkologischer Abteilung ohne „katholische Identität“ – die also Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
St. Willehad Hospital: Hinter der Klinik steht ein katholischer Verein, den es seit 1904 gibt. Betrieben wird das Haus von der Hospitalgesellschaft Jade-Weser. Das Krankenhaus hat circa 400 Mitarbeiter und rund 170 Betten.
Das Reinhard-Nieter-Krankenhaus hat eine Kapazität von 502 Betten. 1.200 Mitarbeiter arbeiten dort. Zu dem Haus gehören auch psychiatrische Einrichtungen - die sind von der Fusion völlig ausgenommen. Die Klinik ist in verschiedenen Gesellschaften organisiert, die der Stadt Wilhelmshaven gehören.
„Das ist untragbar für uns“, sagt Andreas Bergen, Geschäftsführer des Pro Familia Landesverbands in Niedersachsen, der auch eine Beratungsstelle in Wilhelmshaven betreibt. Sein Verband habe ein Problem mit katholischen Krankenhäusern, die losgelöst von Rechtsgrundsätzen ihre Werte durchsetzen wollten, sagt er. „Man muss den Frauen die Wahl lassen zwischen verschiedenen Arten des Schwangerschaftsabbruchs – ein Krankenhaus bietet andere Möglichkeiten als eine ambulante Praxis“, sagt Bergen.
Katholische Dominanz in der Gesellschaft
„Ich habe auch jetzt schon mehr Schwangerschaftsabbrüche als das Krankenhaus“, sagt die Gynäkologin Eva Klee aus Wilhelmshaven. Das seien 80 bis 100 im Jahr. Sie könne vermutlich mit ihrem Kollegen zusammen auch die Fälle aus der städtischen Klinik auffangen, sagt sie.
Es sei aber trotzdem schlecht, wenn es kein Krankenhaus im Ort gebe, das Schwangerschaftsabbrüche anbiete. „Es gibt Fälle, bei denen es sinnvoll und notwenig ist, dass ein Schwangerschaftsabbruch im Krankenhaus stattfindet: Wenn die Schwangerschaft sehr weit fortgeschritten ist oder die Patientin andere Erkrankungen hat, die einen ambulanten Eingriff zu riskant erscheinen lassen“, sagt Klee.
„Es gibt keine Alternative zur Fusion“, sagt Werner Biehl, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stadtrat von Wilhelmshaven und Vorsitzender des Krankenhaus-Ausschusses. Die Gebäude beider Häuser müssten dringend saniert oder modernisiert werden. „Es gibt immer noch Abteilungen, die nur eine Toilette auf dem Flur haben.“ Außerdem gebe es Überkapazitäten, die städtische Klinik stand vor der Insolvenz: Allein neun Millionen Euro Verlust 2012, für 2013 sind sechs Millionen Miese geplant.
Doch warum die katholische Dominanz in der Gesellschaft? „Wir haben als Rat den Eckpunkten zugestimmt, aber der Verwaltung auch klar gemacht, dass wir ein Problem damit haben, dass katholische Werte in der neuen Krankenhausgesellschaft gelten sollen.“
Dass die beiden Partner fusionieren, liegt vor allem am Sozialministerium in Hannover. „Aus Krankenhaus-planerischer Sicht ist es sinnvoll, beide Häuser in einem Neubau zusammenzuführen, um die stationäre Versorgung der Menschen vor Ort langfristig zu sichern“, sagt eine Sprecherin. Das hätte das Ministerium beiden Kliniken auch immer wieder vorgeschlagen. Das Ministerium hat angekündigt, das neue Gebäude zu bezuschussen. In welcher Form aber die Zusammenarbeit stattfinde, habe man nicht vorgegeben.
„Unserer Auffassung nach sollten die Krankenhäuser auch Schwangerschaftsabbrüche weiter anbieten dürfen“, sagt die Sprecherin. Das könne das Land aber nicht juristisch durchsetzen. Doch die Kirche solle diese Debatte zum Anlass nehmen, „um für sich zu prüfen, wie weit sie sich der modernen Gesellschaft öffnen möchte“.
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