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Kinderarzt kritisiert Beschneidung„Sie dürfen Kinder nicht betäuben“

Der Chef des Kinderärzteverbands sieht mehrere Widersprüche im Beschneidungsgesetz. Mängel bestünden vor allem in der Schmerzbehandlung.

Das Werkzeug des Beschneiders – Anästhesie ist nicht dabei. Bild: dapd
Heide Oestreich
Interview von Heide Oestreich

taz: Herr Hartmann, der Gesetzentwurf zur Beschneidung erlaubt diese nur, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführt wird. Was heißt das?

Wolfram Hartmann: Das kann nur bedeuten, dass die Kinder bei diesem Eingriff mindestens lokal betäubt werden. Wir wissen aus der Schmerzforschung, dass Schmerzzäpfchen oder Salbe nicht annähernd ausreichen.

Genau die wenden aber jüdische Beschneider oft an.

Da liegt auch der Widerspruch in diesem Gesetzentwurf. Lokalanästhesien oder Narkosen dürfen nur Ärzte legen. Der Gesetzentwurf sagt aber, dass auch andere „befähigte“ Personen die Beschneidung durchführen dürfen. Die dürfen aber keine Spritzen und schon gar keine Narkose geben.

Im Entwurf heißt es, es gebe keine gesicherten Erkenntnisse über eventuelle Traumatisierungen des Kindes.

Es gibt keine systematischen Studien darüber, das stimmt. Aber es gibt ja sogar Selbsthilfegruppen von traumatisierten Beschneidungspatienten. Denen hört nur niemand zu.

dapd
Im Interview: Wolfram Hartmann

ist ehemaliger Kinderarzt und Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Der Gesetzentwurf soll noch im Oktober den Bundestag passieren.

Wie hat sich Ihr Verband seine Meinung gebildet?

Wir sprechen uns schon seit Jahren gegen unnötige Eingriffe am intakten Körper des Kindes aus: Es gibt zum Beispiel eine Stellungnahme von 2008, in der wir Tätowierungen, Ohrlöcher, Piercings, Schönheitsoperationen und eben auch die Beschneidung ablehnen.

Wenn das Kindeswohl gefährdet ist, darf ein Kind nicht beschnitten werden, so der Entwurf. Was heißt das?

Das ist auch ein Widerspruch: Wenn man dem Kind Schmerz zufügt, verletzt man das Kindeswohl. Die frische Wunde landet in einer Windel voll Urin und Kot, oft ist eine Entzündung die Folge. In den USA sterben jährlich etwa hundert Kinder an den Folgen der Beschneidung.

Wenn das Kind protestiert, muss das berücksichtigt werden, so der Kabinettsvorschlag.

Das ist ein weiterer schwammiger Punkt. Macht ein Arzt sich strafbar, wenn er die Beschneidung durchführt, obwohl das Kind weint oder schreit? Ich würde den Gesetzentwurf so lesen.

Ihre Prognose für den Entwurf?

Er wird so nicht bleiben. SPD und Grüne denken offenbar nach. Falls der Entwurf so in Bundestag und Bundesrat durchgeht, werden Verfassungsjuristen klagen, und wir würden uns dem anschließen.

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17 Kommentare

 / 
  • DB
    Detlef Bosau

    @Herrn Frisch: Danke für die späte Einsicht. Sie sind neben Herrn Bühmann und Herrn Hartmann der dritte Arzt, der das öffentlich sagt.

     

    Die Leute von der AAP sind Ärzte, und auch in Deutschland wird die Beschneidung oft genug "hygienisch" propagiert.

     

    Wissen Sie, Ärzte werden den Ruf nicht los, daß Ihnen das Hemd näher sitzt als die Jacke, und solange Eltern IGEL Leistungen zustimmen können und Sie mit dem Verstümmeln kleiner Kinder Suppe auf den Teller kriegen, sehe ich unter der Dusche mehr Verstümmelungsopfer als Ärzte in der Suppenküche.

     

    Wie oft haben Sie die Indikationsstellung kritisch hinterfragt? Wie oft haben Sie bei "Mode-" oder "Hygienebeshcneidungen" dem Herrn "Brotfresser" widersprochen oder das Skalpell weggenommen?

     

    Wenn Sie das nie gemacht haben, ist Ihr Beitrag etwas wohlfeil.

     

    Detlef Bosau

     

    (Die Redaktion mag Ihnen gerne meine Mailadressse weitergeben, wenn Sie per PM antworten wollen. Der Anwurf war ziemlich hart. Aber hier in Deutschland wurden und werden Kinder aus "hygienischen Gründen" und ohne zwingenden Grund beschnitten, da haben unsere "Ärzte" genausoviel Blut an den Händen wie Mohelim und Sünnetci. Und das muß man auch mal offen sagen.)

  • DJ
    Dr.Hans Jürgen Fritsch

    Ich musste vor ca 35 Jahren als junger Assistenzarzt mitmachen. Die kleinen Buben taten mir leid, aber ich habe nicht weiter nachgefragt.

    Heute weiß ich, dass es Unrecht ist, egal ob falscher Glaube oder schlechter Arzt...

    Gott-wenn es ihn gibt-wäre traurig zu sehen, wie sein Ebenbild mit dem Messer verändert wird.

    Ich wünsche uns allen mehr Demut, in vielerlei Hinsicht, sonst gehen wir unter.

  • E
    Elvenpath

    @Eva:

    "haben bisher alle diese Männer gesagt, dass es ihnen gefällt."

    Wer sich freiwillig beschneiden lässt, hat seine Grüne dafür, zum Beispiel zu schneller Orgasmus. Da ist eine Beschneidung hilfreich, wie eventuell bei dem 16jährigen.

    Aber es gibt eben auch Männer, die von Natur aus spät zum Orgasmus kommen, für die ist eine Beschneidung eine Katastrophe.

    Wer als Kind beschnitten wurde kann gar nicht beurteilen, ob der Sex mit Vorhaut nicht schöner wäre. "keine Probleme" oder "es gefällt" mir sind extrem subjektive Aussagen.

    Und zu guter Letzt gibt kaum ein Mann gerne zu, wenn es sexuelle Probleme hat, oder unzufrieden mir seinem Sexualorgan ist. Besonders nicht gegenüber einer Frau.

     

    Ich habe eh Probleme damit, wenn Frauen für die Zwangsbeschneidung argumentieren. Sie sind ja nicht betroffen, da ist es leicht, dem anderen so etwas zuzumuten.

     

    Wie der Unterschied sein kann, hier mal nachlesen:

    http://www.taz.de/!101655/

     

    Und selbst wenn nur ein geringer Prozentsatz der Männer unter einer Beschneidung leidet, ist es ein KO-Kriterium für eine Zwangsbeschneidung, denn die Rechte dieser Männer werden schwer verletzt.

     

    Schade, dass es nicht die Möglichkeit gibt, beschnittenen Muslimen oder Juden eine Vorhaut zu simulieren, die das Gefühl wieder komplett herstellt. Ich denke, wenn ein Zwangsbeschnittener das Gefühl mit Vorhaut kennen würde, würde kaum einer sein Kind beschneiden lassen.

  • M
    MartyMcFly

    Endlich mal eine fundierte Aussage von einem Mediziner. Wobei da nichts besonderes drinsteckt, das sind alles Dinge, die ein Medizinstudent bereits spätestens im 5. Semester oder nach der ersten Famulatur auf einer chirug. Station weiß (Blutung: Blutvolumen eines Säuglings geht ungefähr in eine Cola-Dose, also Nachblutung kann schnell mal blöd enden, Infektion: absolut schmutzige Wunde durch Kot/Urin, operative Fehler, Narkoserisiko).

     

    Dieser Eingriff bedeutet für den Säugling nur Risiko, keinerlei Nutzen. Sowas gibt es sonst nur in der plastisch-ästhetischen Chirurgie. Und dort muss ein Erwachsener, mündiger Mensch massiv aufgeklärt werden über Risiken und mögliche Folgen, bevor er sich zu einem medizinisch nicht-indizierten Eingriff entscheiden kann. Wenn diese fundiert Aufklärung nicht stattfindet, dann kann der Arzt dran sein. Und hier soll jetzt ein einfaches "ja" eines Elternteils genügen. Kein Arzt der Welt würde leichtfertig eine Narkose bei einem Säugling durchführen, denn es ist riskant. Wie soll das also ein Mohel abwägen, der keinerlei medizinische Ausbildung genossen hat? Sowas landet dann in der Notaufnahme und alle sind ganz überrascht und schockiert, dass sowas blödes passiert ist...die Anzeige ist m.E. hochverdient.

  • F
    Fritz

    Es gibt eherlicherweise nur eine prozessuale Loesung. Betaeubt oder nicht, das Unrecht ist eher gering und geht Fremde nichts an.

  • MR
    Michael Roloff

    Die Tabuisierung jeglichen Vergleichs von männlicher mit weiblicher Genitalverstümmelung ist der große Skandal der Debatte. In beiden Fällen wird der empfindsamste und erogenste Teil des menschlichen Körpers amputiert oder schwer beschädigt. In beiden Fällen geht es in erster Linie um die Beschneidung menschlicher Sexualität. AND DONT FORGET THE ARCHIVE!!!

     

    http://evidentist.wordpress.com/2012/09/11/beschneidung-ignoranz-und-sexismus/

     

     

    http://analytic-comments.blogspot.com/2012/08/the-circumcision-debate-links-and.html

  • E
    Eva

    Egal ob religiöser Eifer oder nicht. Ich hab mehrere Männer mit beschnittenem Penis in meinem Leben getroffen.

     

    Und mal davon abgesehen, dass ich selbst sehr toll finde, haben bisher alle diese Männer gesagt, dass es ihnen gefällt. Der Eine, der sich es mit 16 hat machen lassen, sagt es wäre die beste Entscheidung gewesen.

     

    Traumatisch wird es, wenn Kinder unvorbereitet, schmerzhaft und am besten noch vor allen Leuten beschnitten werden oder es danach totgeschwiegen wird.

  • A
    Alex

    @David Berg:

     

    Zustimmung. Der Grund bei den Juden ist allerdings nicht weil Gott es wollte, sondern weil Abraham Gott etwas WICHTIGES opfern wollte. Er hat sich also PERSÖNLICH dazu entschieden auf etwas WICHTIGES zu verzichten um seinen Bund mit Gott zu verdeutlichen. Ein ganz und gar freiwilliges Opfer also. Interessant dass so viele jüdische Kleriker dies ihren eigenen Gläubigen so vehement verweigern wollen.

  • E
    emil

    ist ja interessant, dass dem kind zugebilligt wird protestieren zu können.

    klingt ja nach echter mündigkeit. warum entscheidet das kind nicht einfach selbst darüber...

  • H
    Horsti

    Der Grund warum die Beschneidung der weiblichen Klitorisvorhaut unter Strafe steht, die Beschneidung der männlichen Penisvorhaut straffrei bleibt, ist jetzt bitteschön welche?

  • J
    Jörn

    Schön dass ein Artikel mal die Widersprüchlichkeit des Gesetzentwurfes thematisiert. Auf der einen Seite sollen Rabiner dies ohne medizinisches Personal tun dürfen. Auf der anderen Seite wird so getan, dass Kindeswohl, Kindeswille und medizinische Standards durch simple Nebensätze gleichzeitig gewährleistet werden könnten.

  • G
    gewe

    Ich möchte mich bei Herrn Hartmann ausdrücklich dafür bedanken, dass er und sein Verband sich für den Schutz der Kinder einsetzt. Als Arzt wird er vielleicht ja eher ernst genommen - zum einen von den Eltern, die vor der Entscheidung stehen, ihr Kind beschneiden zu lassen und zum anderen von den Politikern, die in Kürze über die Legalisierung der Beschneidung abzustimmen haben. Als vierfache Mama hoffe ich, dass künftige Eltern nicht mehr zulassen, dass ihr Baby verletzt wird - an seinem Körper, an seiner Würde, an seinem Recht auf Selbstbestimmung. Babys müssen doch darauf vertrauen können, dass ihre Eltern sie beschützen!

  • AO
    Angelika Oetken

    Mittlerweile bin ich ja richtig froh darüber, dass das Kabinett diese Gesetzesvorlage so lapidar durchgewunken hat.

     

    Denn so wird sich die Diskussion sicherlich noch länger hinziehen.

     

    Sie ist wichtig, denn sie gibt Anlass, über grundlegende Dinge einen Diskurs zu führen:

     

    - wie viel bedeuten uns Kinderrechte?

    - in wieweit dürfen spirituelle oder ideelle Werte von Eltern Kinderrechte brechen?

    - wie viel wissen wir über die Sexualität von Männern?

    - in wie fern darf sich die Medizin für weltanschauliche Bedürfnisse instrumentalisieren lassen

     

    Ich hoffe, dass dieser Klärungsprozess so intensiv geführt wird, dass unsere Gesellschaft daran wächst und danke den vielen Medizinern, Psychiatern und Therapeuten, die sich für Kinderrechte stark gemacht haben, z.B. indem sie diese Petition ins Leben gerufen haben https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2012/_07/_23/Petition_26078.mitzeichnen.html

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, Betroffene sexualisierter Misshandlung in der Kindheit

  • S
    sol1

    "...es gibt ja sogar Selbsthilfegruppen von traumatisierten Beschneidungspatienten. Denen hört nur niemand zu."

     

    Dankenswerterweise hat ja die taz zwei Berichte von Betroffenen veröffentlicht.

     

    Hoffentlich wachen bald auch ein paar Bundestagsabgeordenete der Opposition auf. Das Internet wird nämlich nicht vergessen, wer diesen Gesetzentwurf der Schande durchwinken wird.

  • W
    Weinberg

    Infos in Wort und Bild für alle Beschneidungs-Befürworter und –Gegner:

    http://www.beschneidung-von-jungen.de/home/maennliche-beschneidung.html

     

    Was würde wohl Albert Einstein zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sagen?

  • M
    MiSchi

    Endlich jemand, der sagt, was Sache ist. Man sollte sich mal klar machen , was es bedeutet, einen Säugling bis zu einem halben Jahr ohne anständige Betäubung zu beschneiden. Vielleicht hilft es, sich einmal vorzustellen, wie das wäre, wenn einem die Zungenspitze mit der Kneifzange gekürzt wird.

  • DB
    David Berg

    Jeder nicht rückgängig zu machender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist abzulehnen !!

    Es geht doch nicht an, dass man ein ganzes Leben "verstümmelt" leben muss, nur weil die Eltern religiöse Eiferer sind !!

    Wer sagt denn, dass ich - wenn ich entscheidungsfähig bin - das so will ??

    Was wenn ich als Erwachsener gar kein Jude oder Moslem sein will und dann auf immer dieses Stigma der Bescheidung und somit Kennzeichen der Zugehörigkeit zu dieser Religion die ich ggf. ablehne, an mir tragen muss, nur wegen der Religion der meine Eltern anhingen...

    Wo bleibe ich !!??

    Das ist doch mein Körper und nicht der meiner Eltern !!!

    Und wenn ich Jude / Moslem werden will kann und will ICH das selber entscheiden und dann kann ich mich immer noch beschneiden lassen !!

    Das Gesetz ist eine Kuscherei, eine Unterwerfung gegenüber dem Islam und dem Judentum (denen sind wir ja verpflichtet, weil unsere Großväter Millionen umgebracht haben...).

    ICH will alleine bestimmen was mit MEINEM Körper passiert !!

    Ich will auch als Kind nicht die Füße geschnürt bekommen (wie bei den alten Japanern) und keine Nasen- oder Ohrenringe oder sonst wie verstümmelt werden, aufgrund eines "Glaubens" meiner Eltern !!!

    Und das "Gott" das so wolle.... haha, kann ja glauben wer will ... ICH nicht und deshalb will ich als wehrloses Baby nicht beschnitten werden....

    U.S.W. ..... !!!!

    Das ist nicht nur Körperverletzung, das ist Verletzung meiner Menschenwürde

    und meiner Religionsfreiheit...

    und weil es eine nicht rückgängig machbare Verstümmlung auf immer ist, ist das schwere Körper- und Seelenverletzung !!

    Aber der Zentralrat muss ja nur "mäh" machen und wir springen hinterher...

    Sorry, bin kein Rechter, nein, ich bin Mitglied der Grünen...

    und kenne persönlich das Leiden eines Beschnittenen.....