Kehrtwende in Österreich: FPÖ erhält Auftrag zur Regierungsbildung
Österreich droht ein deutlicher Rechtsruck: Nach dem Kurswechsel der ÖVP beauftragt Bundespräsident Van der Bellen FPÖ-Chef Kickl mit der Regierungsbildung.
Unter Buhrufen traf gegen 11 Uhr FPÖ-Chef Herbert Kickl ebenda am Ballhausplatz ein, wo mit Bundeskanzleramt und Präsidentschaftskanzlei das politische Herz Österreichs schlägt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen empfing ihn und erteilte ihm hinter verschlossenen Türen den Auftrag zur Bildung einer Regierung unter seiner Führung.
Nach den gescheiterten Verhandlungen und dem Kurswechsel der ÖVP hatte sich die Ausgangslage geändert, sagte der Bundespräsident. „Der Respekt vor dem Wählervotum gebietet es, dass sich der Wählerwille in der Regierung findet“, so Van der Bellen weiter. „Es ist meine verfassungsmäßige Aufgabe, die Chance einer Regierung mit mehr als 50 Prozent auszuloten“, sagte der Bundespräsident. Dieses Ausloten war offenbar positiv.
Kehrtwende bei der ÖVP
Van der Bellen hat nach eigenem Bekunden Kickl gefragt, ob er diese Verantwortung übernehmen wolle. Er wollte. Angesprochen wurden in dem einstündigen Gespräch auch die geopolitische Bedrohungslage, insbesondere durch den Angriffskrieg Russlands, die EU-Ausrichtung Österreichs und die Freiheit der Medien. Kickl selbst hat sich am Montag zunächst nicht geäußert.
Bemerkenswert ist der Kurswechsel der ÖVP. Sie hatte monatelang ausgeschlossen, mit der FPÖ unter Kickl zu koalieren. Nun hat sie ihren Kurs gedreht. „Wir sind bereit zu Koalitionsgesprächen“, sagte der neue ÖVP-Chef Christian Stocker, Nachfolger des zurückgetreten Karl Nehammer. Zuvor war Stocker einer der schärfsten Kickl-Gegner. „Die Kickl-FPÖ ist nicht nur eine Gefahr für die Demokratie, sondern eine ebenso große Gefahr für die Sicherheit Österreichs“, sagte er etwa.
Kaum war Nehammer zurückgetreten, änderte sich die Einstellung in weiten Teilen der ÖVP. Möglicherweise schon zuvor: Der Spielraum Nehammers in den Verhandlungen sei immer kleiner geworden, sodass er von Teilen seiner Partei zum Rücktritt fast schon gedrängt wurde, lautet etwa die Version des SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler. ÖVP und Neos zufolge lag das Scheitern vielmehr an der SPÖ, die nicht zu Kompromissen bereit gewesen sei.
Zuletzt war der Druck, rasch eine handlungsfähige Regierung zu formen, immer größer geworden. Auch der Bundespräsident führte am Montag dieses Argument an, da sich Österreich in einer anhaltenden Wirtschaftskrise befinde. Nun kommt es also zu Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP. Allgemein erwartet wird, dass die beiden Parteien rasch zusammenfinden. Einerseits wegen ähnlicher Vorstellungen in der Migrations- und Integrationspolitik, andererseits bei vielen Wirtschaftsfragen. Aber auch, weil beide bestrebt sein werden, rasch eine positive Erzählung zu finden.
Kickl fordert sofortigen Aufnahmestopp Geflüchteter
Ob und inwieweit es der ÖVP gelingt, die schärfsten Giftzähne der FPÖ zu ziehen, ist fraglich. Solche betreffen etwa die Europa- und Sicherheitspolitik. Kickl gilt als russlandfreundlich und würde die Unterstützung der Ukraine am liebsten beenden. Auch die Menschenrechte sieht er elastisch, denn er fordert einen sofortigen Aufnahmestopp Geflüchteter in Österreich.
Die ÖVP ist nun freilich in einer Position der Schwäche – zumindest verglichen mit der Ausgangslage im Herbst. Der Druck ist groß, dass sie liefert. An Neuwahlen kann sie derzeit kein Interesse haben, denn Umfragen zufolge würde die FPÖ dann noch deutlicher gewinnen.
„Die ÖVP wird in den anstehenden Verhandlungen nicht ihre Seele verkaufen“, sagte der Salzburger ÖVP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer. Wie glaubhaft das ist, ist fraglich, denn auch Haslauer koaliert entgegen früherer Versprechungen seit 2023 auf Landesebene mit der FPÖ.
Sollte es eine Einigung geben, könnte Van der Bellen zwar fordern, einzelne Minister oder Schwerpunktsetzungen aus dem Regierungsprogramm zu ändern. Grundsätzlich müsste er die neue Regierung aber angeloben – oder selbst zurücktreten. Da er den Regierungsbildungsauftrag nun ohne erkennbares Bauchweh und ohne weitere Umschweife an Kickl erteilt hat, ist mit gröberen Hindernissen dieser Art eher nicht zu rechnen.
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