Jude und Palästinenser auf Reisen: „Die Tage haben uns näher gebracht“
Die Vorsitzenden einer palästinensischen und einer jüdischen Gemeinde in Niedersachsen waren zusammen in Israel und Palästina. Die Erfahrung war für beide positiv.
taz: Herr Fürst, Herr Shammout, hat der Angriff arabisch-stämmiger Jugendlicher auf eine jüdische Tanzgruppe in Hannover vor zwei Jahren das Verhältnis zwischen der jüdischen und palästinensischen Gemeinde verschlechtert?
Michael Fürst: Nein, überhaupt nicht. Wir führen seit drei Jahren einen Dialog und arbeiten an einem guten Zusammenleben.
Yazid Shammout: Wir tun gut daran, nicht wegen einer Einzelaktion eine ganze Gemeinde an den Pranger zu stellen. Außerdem waren es keine arabischen, sondern türkische Jugendliche.
Fürst: Was uns nach unserer Reise nach Israel viel mehr bewegt ist, dass wir dort mit Sorge sehen müssen, dass es einige Übergriffe von streng religiösen Juden in den besetzten Gebieten gibt, die selbstverständlich von den israelischen Behörden verfolgt werden.
Wie stark schlagen die Wendungen des Nahostkonflikts auf Ihre beiden Gemeinden durch?
Fürst: Wir können in Hannover nicht die Weltgeschichte bewegen. Wir können nur versuchen, im Kleinen ein Miteinander zu leben. Natürlich diskutieren wir gelegentlich über die Weltpolitik, aber wir versuchen, dem anderen nicht die eigene Meinung aufzudrängen.
YAZID SHAMMOUT, 52, Vorsitzender der palästinensischen Gemeinde in Hannover, wuchs als libanesischen Bürgerkriegsflüchtling in Ost-Berlin auf und promovierte Ende der 1980er-Jahre an der Humboldt-Universität in Wirtschaftsgeschichte. Nach einer Zwischenstation als Investmentmanager in Kuwait gründete er Anfang der 1990er-Jahren die Dana-Senioreneinrichtungen, eine Gesellschaft die Pflegeheime und Seniorenresidenzen betreibt.
Haben Sie in Israel und Palästina von Ihrem Dialog erzählt?
Shammout: Selbstverständlich, sonst wären wir beide ja nicht auf dieser Reise dabei gewesen.
MICHAEL FÜRST, 65, Vorsitzender des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, ist der Sohn von Überlebenden der Shoa. Er hat in Göttingen studiert, ist Fachanwalt für Medizinrecht und Partner der hannöverschen Kanzlei Gregor, Fürst, Steinig.
Wie wurde darauf reagiert?
Fürst: Sehr positiv.
Shammout: Extrem positiv.
Fürst: Nur ein Beispiel: Es gab ein Missverständnis zwischen der Staatskanzlei in Hannover und der deutschen Botschaft darüber, ob Dr. Shammout bei den Treffen mit dem Staatspräsidenten Schimon Peres und dem Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu dabei sein könne. Ministerpräsident David McAllister (CDU) stellte seine Delegation ohne Herrn Shammout vor, erwähnte aber, dass in seiner Delegation auch ein Palästinenser sei. Netanjahu sagte, er hätte ihn sehr gerne bei sich in der Staatskanzlei gehabt.
Könnte Ihr Dialog ein Modell für den Nahen Osten sein?
Shammout: Es wäre uns beiden genug, wenn dieses erfolgreiche Beispiel in anderen Bundesländern Schule machte.
Fürst: Wir haben in den Gesprächen dargestellt, dass wir einander zuhören. Dort wurde mehrfach gesagt, dass man derzeit nicht miteinander spreche. Wir versuchten, deutlich zu machen, dass das der entscheidende Punkt ist. Wenn man nicht miteinander spricht, dann bleibt es bei einem Stillstand. Und das ist eine gefährliche Angelegenheit.
Hat sich Ihre Sicht auf den Konflikt durch den Besuch geändert?
Shammout: Es hat uns beide bedrückt gemacht, zu sehen, dass es auf beiden Seiten keinerlei Bewegung gibt.
Kein Wunder: Es gibt einen konkreten Streit um Land und Macht…
Fürst: Es ist ein Streit um Land. Die Macht ist nicht mehr das Problem. Alle unsere Gesprächspartner haben die Zwei-Staaten-Lösung als die einzig mögliche gesehen.
Sie haben sicher gesehen, dass Israel die Zwei-Staaten-Lösung hintertreibt.
Fürst: Das ist eine sehr wertende Position von Ihnen. Das ist weder von Netanjahu noch von Peres noch von den sieben politischen Beratern, die wir getroffen haben, so gesehen worden.
Was haben Sie gesehen?
Fürst: Ich kann nicht feststellen, dass die Zwei-Staaten-Lösung von Israel hintertrieben würde. Das ist einer der Punkte, bei dem Herr Shammout und ich uns nicht einig werden. Israel versucht das Möglichste. Für Israel steht seine Anerkennung durch die Palästinenser an erster Stelle.
Haben Sie die Westbank bereist?
Fürst: Selbstverständlich.
Ist Ihr Eindruck der gleiche, Herr Shammout?
Shammout: Da stehe ich auf einem ganz anderen Standpunkt. Die Mauer, die Kontrollposten, die Expansion der Siedlungen mit allen brutalen Auswirkungen für die Menschen, die dort leben, die Einschränkung von deren Bewegungsfreiheit… Angesichts eines Siedlungsausbaus, wie es ihn in 30 Jahren nicht gegeben hat, verstehe ich die palästinensische Position voll und ganz: Worüber sollten wir verhandeln, wenn auf dem Boden Tatsachen geschaffen werden?
Was war denn der stärkste Eindruck, den Sie mitgenommen haben?
Shammout: Die unwahrscheinlich große Freude von Palästinensern in Israel wie auf der Westbank, dass erstmals innerhalb einer deutschen Delegation ein Palästinenser als Vorsitzender der palästinensischen Gemeinde teilgenommen hat.
Fürst: Was mich am meisten betroffen gemacht hat, war, dass von allen, zum Teil mit einer gewissen Verzweiflung, gesagt wird: „Es gibt nur die Zwei-Staaten-Lösung, aber wir wissen nicht, wie dahin kommen.“
Dafür gibt es doch die Verträge von Oslo, die Oslo Road Map.
Fürst: Die gibt ja nur den Weg vor, sagt aber nicht, wie man Gespräche führt.
Schreibt dieser Friedensplan von 1993 nicht vor, wie der zweite Staat entstehen soll?
Shammout: Die Delegationsteilnehmer haben mir alle übereinstimmend berichtet, dass die israelischen Gesprächsteilnehmer kaum von dem Zwei-Staaten-Modell als Lösungsansatz gesprochen haben. Es wurde zwar gesagt, dass es die Zwei-Staaten-Lösung gibt, aber das war’s und dann ging man zum Iran als Thema über. Wesentliche Themen wie der Siedlungsbau werden auf israelischer Seite kaum adressiert.
Stehen Sie sich beide nach der Reise näher oder ferner als zuvor?
Fürst: Die drei Tage haben uns einander näher gebracht. Das heißt aber nicht, dass wir unsere Meinung über den israelisch-arabischen Konflikt ad acta legen können.
Sind auch Emotionen hochgekommen in den paar Tagen?
Fürst: Es war für mich ein berührender Moment, als wir in Jaffa das Haus von Dr. Shammouts Großeltern gefunden hatten.
Shammout: Ich kann nur unterstreichen, was Herr Fürst gesagt hat. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zueinander, was sich sicher dadurch verbessert hat, dass wir drei Tage lang nah beieinander waren. Daran ändert auch nichts, dass wir in manchen Dingen unterschiedliche Ansichten haben. Nichtsdestotrotz haben wir eine große Gemeinsamkeit. Auch Herr Fürst erkennt an: „Es gibt Palästinenser und denen ist ein Unrecht getan worden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“