Homöopathie als Kassenleistung: Trostmedizin für schlechte Tage
Es ist zu einfach, sich über Homöopathie, Ayurveda und Komplementärmedizin lustig zu machen. Wichtig sind die Bedürfnisse, die dahinterstehen.
W er sich Videos über die Herstellung von Globuli anschaut, der staunt über den Hokuspokus. Da werden Zwiebeln klein geschnitten, in Alkohol eingelegt, die Flaschen nach genau festgelegten Verfahren auf Lederkissen geschlagen, es wird verdünnt und verdünnt. Man wähnt sich beim Druiden Miraculix aus den Asterix-Comics. Lustig. Doch mit Lächerlichmachen wird das Phänomen der Homöopathie nicht erfasst. Denn es verweist auf darunterliegende Wünsche an die Medizin, die man sich genauer anschauen muss.
Es gibt einen Antrag für den Parteitag der Grünen Mitte November, die Finanzierung der Homöopathie durch die gesetzlichen Krankenkassen zu untersagen, weil deren Wirksamkeit nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist. Auch Gegenanträge dazu existieren schon.
Warum streiten BildungsbürgerInnen über ein Verfahren, das auf einem Glaubenssystem mit esoterischen Elementen beruht? Weil der Wunsch nach Alternativen zur Schulmedizin so groß ist, weil die Schulmedizin Wünsche nach Heilung, nach persönlicher Zuwendung der Ärzte vielerorts nicht erfüllt. Diese Sehnsucht ist ein Phänomen, dem ein vielfältiges Angebot der sogenannten Komplementärmedizin, der ergänzenden Medizin, gegenübersteht. Es umfasst neben der Homöopathie die Traditionelle Chinesische Medizin, Ayurveda und viele andere Verfahren.
Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen die meisten Verfahren nicht. Einige, wie die Barmer Ersatzkasse und die Techniker Krankenkasse, finanzieren homöopathische Behandlungen, aber nur begrenzt und nur bei entsprechend zertifizierten Ärzten, nicht bei Heilpraktikern. Bei der Barmer wurden im Jahre 2018 nur 0,007 Prozent der Leistungsausgaben für Homöopathie aufgewandt, heißt es bei der Kasse. Es geht also gar nicht ums Geld. Sondern um die dahinterliegende, ungeklärte Frage: Welche Medizin sollte man gutheißen, welche grenzt an Scharlatanerie?
Als Maßstab für eine „gute“ Medizin gilt seit den 90er Jahren in Deutschland die sogenannte evidenzbasierte Medizin (EBM). Diese Medizin stützt sich vor allem auf klinische Studien mit Patientengruppen, getesteten Wirkstoffen, den Vergleich mit Scheinpräparaten, auf Behandlungen, Scheinbehandlungen, unbehandelte Kontrollgruppen. Es geht darum, Wirksamkeit empirisch nachzuweisen. Seitdem tobt der Krieg der Studien, er bezieht auch Wirkstoffe und Verfahren aus der Komplementärmedizin mit ein. Gingko etwa ist inzwischen als ein Mittel bei Demenz anerkannt, die Misteltherapie bei Krebs gilt hingegen als unwirksam.
Die evidenzbasierte Medizin fokussiert sich auf empirisch nachweisbare Wirksamkeit. Nebenwirkungen, die Gefahr von Resistenzen (etwa bei Antibiotika), die Frage der Lebensqualität (bei manchen Krebsbehandlungen) spielen eine untergeordnete Rolle. Viele Verfahren können nicht überprüft werden, weil ethische Gründe dem entgegenstehen, weil man etwa keine Scheinbehandlungen inszenieren kann. Die Bedeutung des Arzt-Patienten-Verhältnisses, die Bedeutung von Hoffnung, die beim Konsum vieler Arzneimittel einen positiven Effekt auslöst, dies wird von der evidenzbasierten Medizin nur als Placeboeffekt erfasst.
Dieser Placeboeffekt durchzieht aber auch die Arbeit von konventionell arbeitenden KassenärztInnen, ohne dass sich irgendjemand deswegen beschwert. Eine Hausärztin, die einer Patientin gegen ihre Schlafstörungen Baldrian empfiehlt, rät zu einem Präparat, dessen Wirksamkeit nicht eindeutig nachgewiesen ist. Das gilt auch für den Frauenarzt, der Präparate mit Stoffen aus der Traubensilberkerze gegen Wechseljahresbeschwerden befürwortet. Diese selbst bezahlten Heilmittel sind nicht besonders wirksam, haben aber auch nicht die Nebenwirkungen von rezeptpflichtigen Schlafmitteln oder Hormonpräparaten. Der Arztbesuch gibt der Patientin immerhin das Gefühl: Hier ist einer oder eine, die mir hilft, ich kann was tun gegen meine Beschwerden. Aus der Psychologie weiß man, dass Zuwendung und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit entscheidend sind für das Wohlbefinden.
Was aber sollen nun die gesetzlichen Krankenkassen mit dem Geld der Versichertengemeinschaft finanzieren? Es ist richtig, die Kassenleistungen auf Verfahren zu begrenzen, deren unmittelbare Wirksamkeit empirisch nachgewiesen ist – wozu die Homöopathie nicht gehört – weil alles andere uferlos ist. In Ordnung ist allerdings auch, wenn die gesetzlichen Krankenkassen Angebote der Komplementärmedizin, etwa Maltherapien oder Qi Gong, im stationären Bereich zahlen, zum Beispiel in Krebszentren. Damit wird zwar kein Krebs geheilt, aber die Lebensqualität verbessert.
Ansonsten braucht man auch für die Komplementärmedizin eine Ethik: Diese Medizin sollte niedrigschwellig sein, keine Geldschneiderei und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit fördern. Gurus sind mit Misstrauen zu betrachten. Kostenlose Ratschläge gibt es auch im Internet, etwa Ayurvedatipps für depressive Phasen: Man trinkt morgens ein warmes Glas Ingwerwasser, isst vorwiegend warme Speisen mit etwas Zimt, geht täglich mindestens eine halbe Stunde in der Natur spazieren und liegt nach einem Glas Milch mit Honig spätestens um halb elf Uhr abends im Bett. Schon fühlt man sich irgendwie selbstfürsorglich.
Komplementärmedizin ist eine Trostmedizin, ein Angebot an ordnenden Erzählungen, ob es sich nun um Yin und Yan (chinesische Medizin), die Typenlehre von Kapha, Pitta und Vata (Ayurveda) oder eben das „Ähnlichkeitsprinzip“ der Homöopathie handelt. Deswegen darf sie nie diktatorisch sein, sondern immer nur als Ergänzung zur Schulmedizin gelten. Unsere alternde Gesellschaft hat kaum Konzepte für den Umgang mit Abbau und Verfall. Auch die Komplementärmedizin kann nicht retten. Aber immerhin begleiten. Das muss man respektieren.
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