Griechenland-Reparationen: Eine unbequeme Forderung
Die jüdische Gemeinde Thessaloniki will Entschädigung für 1943 von der Reichsbahn deportierte Mitglieder. Bahn und Bundesregierung mauern.
Nur wenige kehrten zurück. Thessaloniki, einst vom jüdischen Leben geprägt, verlor tausende Einwohner in Auschwitz und Treblinka. Aber die Fahrtkosten von zwei Reichspfennig pro Erwachsenem und Kilometer wurden, so schreibt die Gemeinde in ihrer Forderung, den Deportierten abgepresst.
Unterstützung erfährt die Gemeinde bei ihrem Anliegen von der deutschen Initiative Zug der Erinnerung, die die Bahn seit Jahren immer wieder auf die Verstrickung ihrer Rechtsvorgängerin in Naziverbrechen hinweist. Auch die Linksfraktion im Bundestag nahm den Brief zum Anlass, eine Anfrage an die Bundesregierung zu richten. Sie hatte zuletzt immer wieder darauf gedrängt, den Griechen in der Reparationsfrage entgegenzukommen.
Die Antwort der Bundesregierung fällt knapp aus. Man zweifle nicht, dass diese Fahrtkosten den Juden aus Thessaloniki abgepresst worden seien – und dass sie eine entsprechende Entschädigung nie erhalten hätten. Im Übrigen sei der Bund aber der Ansicht, dass „die Rechtsfolgen aus dem NS-Unrecht spezialgesetzlich abschließend geklärt wurden“.
Die Regierung betrachtet die Angelegenheit als erledigt
Damit folgt die Regierung derselben Argumentation, mit der sie auch schon im Frühjahr Forderungen der griechischen Regierung abgelehnt hatte. Sie beharrt darauf, dass mit dem deutsch-griechischen Schuldenabkommen von 1960, spätestens aber mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag sämtliche Forderungen Griechenlands abgegolten seien.
Ronald Pofalla, Deutsche Bahn
Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke ist wütend: „So billig darf die Bundesregierung nicht davonkommen.“ Die in den 60er Jahren gezahlten 115 Millionen Mark seien damals einvernehmlich als Abschlagszahlung gehandelt worden, weshalb die Ansprüche griechischer Staatsbürger keineswegs erledigt seien.
Noch immer ist die Frage, ob die bisherigen Abkommen weitere Entschädigungen obsolet machen, ungeklärt. Tatsächlich musste Frankreich erst im vergangenen Jahr einwilligen, 60 Millionen US-Dollar an die USA zu zahlen – als Entschädigung für Deportationen von NS-Verfolgten durch die französische Bahn SNCF während der deutschen Besetzung. Es wird von der US-Regierung an die Opfer und ihre Erben verteilt.
Ob Deutsche Bahn und Bundesregierung einen ähnlichen Vergleich fürchten müssen, bleibt abzuwarten. Für die Deutsche Bahn schrieb Exkanzleramtschef Ronald Pofalla, heute für Politikbeziehungen im Konzern zuständig, einen höflichen Brief an die Initiative: Man sei sich der „historischen Verantwortung“ bewusst. Für Entschädigungen aber sei der Staat zuständig, genauer gesagt: das Bundeseisenbahnvermögen.
Die Regierung will den offenen Brief der Gemeinde „mit einer dem Thema gebührenden Sorgfalt“ beantworten. Bisher gibt es aber noch keine Reaktion.
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