Fortschreitende Digitalisierung: Neues Silicon Valley nicht nötig

Google, Facebook und Apple stammen alle aus einem Tal in Kalifornien. Weil dort die Geistestradition fehlt. Das ist gut so. Dort.

Und er kümmert sich doch. Facebook-Chef Mark Zuckerberg spendet hier 25 Millionen Dollar an Ebola-Opfer Bild: AP

Das Silicon Valley kommt jetzt übrigens auch nach Gmünd. Meldet Gmünd. Das liegt daran, dass ein Unternehmer aus Niederösterreich, wo das 5.324-Einwohner-Städtchen Gmünd sich befindet, kürzlich in Kalifornien war und beschloss, dass es diese Kultur, mit der dort junge Start-up-Gründer von Anfang an gefördert werden, auch in Europa geben muss, also auch in Österreich, sprich: Gmünd. Es gibt in der Gemeinde nun einen Kubator, ein „an europäische Verhältnisse angepasste Version der Silicon Valley Tech-Zentren“, wie dieser Kubator mitteilt.

Junge Unternehmer können ihre Ideen einreichen. Dann wird entschieden, wer bei der Entwicklung der Ideen unterstützt wird.

Der Wunsch, das Silicon Valley zu exportieren, ist gerade ziemlich verbreitet. Man hätte nicht nur in Gmünd gern eines, sondern auch in der 365-Einwohner-Gemeinde Skolkowo am Rande Moskaus oder in Berlin, wo man im Regierungsbezirk Mitte schon vor Jahren von einer Silicon Alley und vor einigen Monaten mit Googles Hilfe erst ein neues Silicon Valley namens „The Factory“ eröffnet hat.

Erst am Donnerstag stellte auch die Kanzlerin auf einer Internetkonferenz der Firma Vodafone fest, Berlin habe eine vielversprechende Start-up-Szene. Um sofort selbstkritisch zu fragen: „Wie können wir für junge Leute, die ein Start-up gründen wollen, noch bessere Rahmenbedingungen schaffen?“ Es fehle das Geld, stellte Angela Merkel fest. Die Wagniskapital-Kultur sei noch nicht so weit entwickelt, wie sie es sein könnte. Intel-Präsidentin Renée J. James pflichtete ihr später bei: „Der Grund, warum wir so viele innovative neue Start-ups im Silicon Valley haben: Wir finanzieren viele neue Start-ups.“

Schafft die High-Tech-Industry genug Jobs?

Im Lauf des Tages kamen die Konferenz-Teilnehmer dann auch auf eine der drängendsten Fragen der zunehmenden Silicon-Valleyisierung zu sprechen: Schafft die High-Tech-Industry genug Jobs, um all jene zu ersetzen, die sie abschafft? Eine kurze Umfrage im Saal ergab ein klares Ergebnis: Nein.

Das stellt auch taz-Chefreporter Peter Unfried in seiner Ganzen Geschichte „Jungs, die auf Titten starren“ in der taz.am wochenende vom 6./7. Dezember 2014 fest: „Während das Silicon Valley einen großen Einfluss auf Lifestyle und Technik hatte, hatte es ganz und gar nicht den positiven für den Arbeitsmarkt, wie seine Unterstützer behaupten. Die Tech-Industrie war nie eine Job-, sondern eine Rationalisierungsmaschine. „Eine ökonomische Enttäuschung“, nennt es der Autor George Packer, der nicht nur gerade das viel beachtete Merkel-Porträt „The quiet German“ im New Yorker veröffentlicht hat, sondern in diesem Jahr auch mit seinem Buch „Die Abwicklung“ in den deutschen Bestsellerlisten landete. Packer, einer der prominentesten politischen Reporter der USA, ist im Silicon Valley aufgewachsen. Wie kaum ein anderer kann er deshalb präzise beobachten, wie sich das Tal in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. Und wie die neue Start-up-Kultur der Westküste die Werte der alten Ostküsten-Elite infrage stellt, die sich der europäischen Geistesgeschichte verbunden fühlt.

„Ja, Kalifornien ist vorn, der Osten hat jetzt Angst vor dem Silicon Valley“, sagt Packer in der taz.am wochenende. Das frühere Überlegenheitsgefühl der Ostküste sei dabei, sich in einen Minderwertigkeitskomplex zu verwandeln.

Es ist ein anderer Minderwertigkeitskomplex als der, den ein Venture-Kapitalist den europäischen Silicon-Valley-Nachahmern Anfang des Jahres in der britischen Zeitung The Guardian unterstellt hat. Da ging es fast ausschließlich um den ökonomischen Erfolg. Die Auseinandersetzung zwischen Ostküstenkultur und Westküsteninnovation berührt wesentlich grundlegendere Fragen. Es ist der Clash zweier Denkschulen.

„Die Jungs haben etwas Neues in die Welt gebracht“

Hans Ulrich Gumbrecht, der deutsche Literaturwissenschaftler, verfolgt das Denken der Tech-Unternehmer von seinem Büro an der Universität Stanford aus, der Hauptkaderschmiede des Valley. „Er weiß längst“, schreibt taz-Reporter Unfried, der Gumbrecht besucht hat, „dass es umgekehrt ist, wie Europäer oder Ostküstler denken: Das Fehlen der Geistestradition ist die große Stärke des Valley. Diese Stärke besteht in der Freiheit. Von Tradition, die das Weiterdenken verhindert. Von Trägheit. Man hat nicht schon immer etwas so gemacht und kann es aus diesem Grund anders machen.“

Die Hoffnung, mit dieser geistigen Stärke, ließen sich einige der zentralen Probleme der Menschheit auch nur annähernd lösen – also Klimawandel, Finanzkrise, Überwachungskultur, Ungerechtigkeiten aller Art – braucht man allerdings gar nicht erst haben, schreibt Unfried. Schließlich steht die Lösung all dieser Probleme nicht unbedingt im Fokus der sonst sehr problemlösungsorientierten Start-up-Unternehmer. Unfried würde ihnen das allerdings nicht vorwerfen: „Die Jungs haben etwas Neues in die Welt gebracht. Weil sie es konnten, weil sie es wollten, weil sie keiner daran gehindert hat. Das ist jetzt auch ein Problem, aber darin steckt die einzige Lösung: Wir müssen uns auch etwas Neues einfallen lassen.“

Wir brauchen kein zweites, drittes und fünfundzwanzigstes Silicon Valley. Weder in Gmünd, noch in Berlin und auch nicht unbedingt in Skolkowo. Wir brauchen etwa anderes.

Die Frage ist nur: was? Kann man den Erfindungsreichtums Kaliforniens auch in Europa erwecken, um auch all jene Probleme zu lösen, die das Silicon Valley bisher ignoriert?

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Die Ganze Geschichte „Jungs, die auf Titten starren“, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 6./7. Dezember 2014.

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