Flüchtlingspolitik im Mittelmeer: Lebensrettung extra light
Mit dem Programm „Mare Nostrum“ rettete Italiens Marine tausende Flüchtlinge. Nun wird es durch ein EU-Projekt ersetzt – mit kleinerem Einsatzgebiet.
ROM taz | „Frontex Plus“ statt „Mare Nostrum“, ein europäischer Einsatz anstelle der rein italienischen Patrouillenfahrten im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien: Diesen Kurswechsel verkündeten am Mittwoch in Brüssel die EU-Kommissarin für Innere Angelegenheiten Cecilia Malmström und der italienische Innenminister Angelino Alfano.
Vordergründig setzte sich damit Italien durch, das seit Monaten fordert, die Flüchtlingspolitik im Mittelmeer endlich auf europäische Beine zu stellen. 2014 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem alle bisherigen Rekorde bei der Ankunft von Flüchtlingen geschlagen wurden: Mehr als 115.000 Menschen fanden von Januar bis August auf völlig überfüllten Fischkuttern, löchrigen Lastkähnen oder lecken Schlauchbooten den riskanten Weg von den Stränden Libyens Richtung Norden, nach Lampedusa oder Sizilien.
Zum Vergleich: Selbst 2011, im Jahr des Arabischen Frühlings, summierten sich die Ankünfte auf nur etwa 50.000. Seitdem steigt die Zahl Tag für Tag weiter. In dieser Woche bargen Italiens Marine und Küstenwache erneut Hunderte Menschen auf hoher See. Die meisten Flüchtlinge stammen aus Eritrea oder Syrien, aus Äthiopien und dem Sudan. Diejenigen, die die Überfahrt überleben, kommen in die Erstaufnahmelager in den Hafenstädten Siziliens.
Vielen anderen aber wird das Mittelmeer weiterhin zum Grab. Allein in der letzten Woche wurden wieder etwa 600 Ertrunkene gemeldet. Seit Jahresanfang starben nach UN-Angaben 1.900 Menschen, allein in den letzten drei Monaten waren es 1.600 Personen – trotz „Mare Nostrum“. „Allein gelassen“ werde Italien in dieser dramatischen Situation – dies war die von der Regierung in Rom in den letzten Monaten vorgebrachte Klage. Schließlich sei die Straße von Sizilien „Europas Südgrenze“ – und die EU müsse als Solidargemeinschaft handeln.
Reaktion auf die Tragödien
Im Oktober 2013 hatten sich dort jene zwei Tragödien ereignet, auf die Italien mit der „Mare Nostrum“-Mission reagierte: Erst starben am 3. Oktober 367 Menschen vor allem aus Eritrea, als ihr Boot direkt vor Lampedusa kenterte; dann, nur acht Tage später, ertranken mehr als 200 syrische Flüchtlinge vor Malta, weil der Hilfseinsatz aus Italien wegen Kompetenzstreitigkeiten viele Stunden zu spät anlief.
„Mare Nostrum“ sollte Abhilfe schaffen, sollte weitere derartige Katastrophen verhindern. Ein Großkontingent von Schiffen der italienischen Marine, der Küstenwache, der Finanzpolizei, dazu Flugzeuge kontrollieren seit November 2013 lückenlos das Meer zwischen Libyen und Italien. Auch wenn ein Boot vor der libyschen Küste in Seenot gerät, eilen sie zur Hilfe.
Doch die Kosten – 100 Millionen Euro pro Jahr – mag Italien allein nicht tragen. Angeblich wurde jetzt für Abhilfe gesorgt. „Frontex Plus“ heißt die Zauberformel; von Ende November 2014 an sollen europäische Kräfte den Einsatz übernehmen. Mit welchen Mitteln dieser allerdings finanziert werden soll, steht völlig in den Sternen.
EU-Kommissarin Malmström und Innenminister Alfano ließen auf ihre gemeinsamen Pressekonferenz wissen, jetzt seien die EU-Mitgliedsstaaten gefragt; sie müssten Flugzeuge und Schiffe zur Verfügung stellen. Zusagen werden bisher nur von Frankreich und Spanien erwartet – ob sich auch andere bewegen, blieb offen.
Sicher ist dagegen ein anderer zentraler Punkt: Das Einsatzgebiet für „Frontex Plus“ soll drastisch kleiner sein. Während Italiens „Mare Nostrum“-Mission sich bis unmittelbar vor die libysche Küste erstreckte, sollen in Zukunft wieder nur die „Außengrenzen der EU“ – sprich in diesem Falle die Gewässer Italiens – das Einsatzgebiet begrenzen. Flüchtlinge, die vor Libyen ertrinken, dürfen dann keine Hilfe mehr erwarten – weder von Italien noch von Europa.
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